Fiskalpakt und Geldvermögen: eine unheilige Ehe

Die meisten Menschen kennen den Witz von dem Betrunkenen, der nachts an eine Laterne gelehnt auf den Boden starrt. Von einem Passanten angesprochen erklärt er, daß er seinen Schlüssel suche. Auf die Nachfrage, wo er ihn verloren habe, antwortet er, daß er seinen Schlüssel irgendwo im Dunklen verloren habe, aber er nur hier an der Laterne suchen könne, weil es hier heller sei. Man lächelt darüber, weil so unmittelbar einsichtig ist, daß die Lösung an einer falschen Stelle gesucht wird und mit diesem Ansatz endlos fortgesetzt werden kann.

Man sollte sich allerdings darüber klarwerden, daß derartige Absurditäten keinesfalls nur derartige Karikaturen betreffen. Wie man weiß, schreibt das Leben intensivere und realistischere Geschichten, als Geschichtenerzähler jemals erfinden können. Eine der schönsten Beispiele für derartige Verirrungen findet sich immer dann, wenn wieder mal der Versuchunternommen wird, auf die Existenzialfrage des Kapitalismus – die Nachhaltigkeit von Schuldbeziehungen – dahingehend eine Antwort zu formulieren, die Lösung in politischen Korrekturen bzw. in höheren politischen „Strukturen“ zu suchen. So läßt sich durchaus vermuten, daß die politische Lösung Fiskalpakt und ESM allenfalls Lösungen für ein politisches Problem sind und die Verbrämung mit ökonomischer Terminologie nicht das ökonomische Problem der EURO-Zone adressiert.

So vorbereitet hat man instinktiv das Gefühl, daß diese Lösung auch keine Lösung darstellt. Denn die Vergrößerung von Aufsichts- und Kontrollproblemen kann nur dann erfolgreich sein, wenn das was kontrolliert und beaufsichtigt werden soll, auch kontrolliert und beaufsichtigt werden kann. Dies darf man nach allem, was im Verlauf der kurzen Geschichte des EURO vorgefallen ist massiv bezweifeln. Und vor dem Hintergrund, daß souveräne Staaten immer alternative Entscheidungsmöglichkeiten haben ist fraglich, ob die Durchsetzungsfähigkeit von Regeln überhaupt wirksam gestaltbar ist. „In einer Union aus Demokratien ist es unmöglich, souveräne Länder zur Einhaltung von Regeln zu zwingen, wenn diese von Bürgern dieser Länder nicht mehr akzeptiert werden.“ Daniel Gros

Die unsubstantiierte Erwartung, daß die Hypertrophierung von Kontroll- und Aufsichtsinstitutionen das ökonomische Problem lösen, wie das Geflecht interdependenter Schuldbeziehungen auf ein nachhaltiges Maß zurückgeführt werden kann, ist mehr als naiv. Und das ausgerechnet vor dem Hintergrund, daß die Diagnose der ökonomischen Krise je nach Gusto wahlweise in einer „Ansteckungstheorie“ (Lehman), in einer zu „billigen Geldschöpfungstheorie“ (fiat-money), in einer falsch berechneten „Risikodiversifizierungstheorie“ (Bankenkrise) oder in einer „Sozialausgabentheorie“ (Staatsschulden) gesehen wird. Denn von einer Lösung müßte man erwarten können, daß sie alle Einzelaspekte, wenn schon nicht umfassend, so doch von der Tendenz her zu lösen geeignet ist.

Was ist der Fiskalpakt statt dessen? Die Geburtsurkunde eines verwaltungstechnischen Monstrums, über dessen Wirkungsweise und Effektivität so gut wie nichts bekannt ist. Bekannt ist nur eins: die Erwartungen, die er erfüllen soll, die sich dahingehend präzisieren lassen, daß die „Märkte“ wieder ihrer Aufgabe der Staatsfinanzierung nachkommen mögen. Im Wesentlichen werden also mit dieser Konstruktion lediglich politische Aspekte adressiert und die eigentliche Frage, wie mit den hinter den Ausprägungen der Krise noch existierenden Ursachen umgegangen werden soll, schlichtweg ignoriert. Dabei sollte man sich passenderweise vergegenwärtigen, daß in der politischen Diskussion im wesentlichen nur Krisenerscheinungen diskutiert werden und nicht die originären Aspekte, welche das transnationale Schuldengeflecht zu einem Problem machen.

Das ist das eigentliche Desaster: daß nämlich der Fiskalpakt lediglich ein politisches Problem löst, die Verantwortung für die Entwicklung der nationalen staatlichen Schuldenstände auf ein supranationales Gremium zu verschieben, so daß nationale “Fehlentwicklungen” nicht mehr der jeweiligen Administration zurechenbar sind. Wenn man so will wird damit eine Pseudolösung für ein Pseudoproblem formuliert, weil die Ursachenzurechnung der vermeintlichen EURO-Krise auf die überbordende Staatsverschuldung nur das Randproblem privatwirtschaftlicher Geldvermögensbildung betrifft. Denn wie soll sich denn privates Geldvermögen sonst “sicher” anlegen lassen, wenn die privatwirtschaftliche Verschuldungsbereitschaft aufgrund der sinkenden Gewinne inzwischen sehr zu wünschen übrigläßt. Denn hier liegt eine der wesentlichen Ursachen für die Aufblähung der gesellschaftlichen Verschuldungsstände, daß nämlich die private Nachfrage nach sicheren Geldvermögensforderungen durch die unternehmerische Verschuldung nicht mehr alimentiert werden kann und damit Staatsschulden nicht Ausdruck sozialpolitisch motivierter Verschwendungssucht sind, sondern die Tendenz reflektieren, Geldvermögen in sicheren zinstragenden Titeln anzulegen. Man kann es drehen und wenden wie man will: Staatsschulden sind nichts anderes als der buchhalterische Gegenposten des privaten “Sparens”.

Wiewohl das nun wirklich keine neue Erkenntnis ist, wird der wirtschaftspolitische Diskurs immer noch mit dem Fokus der Schädlichkeit von Staatsschulden geführt, womit automatisch der zwangsläufig einhergehende Aspekt, nämlich die Akkumulation von Nettogeldvermögen des privaten Sektors, ausgeblendet wird. Und damit schließt sich der Kreis zu dem eingangs angeführten Betrunkenen, der die Lösung seines Problem dort sucht, wo er suchen will, die komplementäre Seite der Geschichte jedoch im Dunklen beläßt. Diese Unterlassung – die Existenz von positivem Nettogeldvermögen und dem dualen Gegenstück, dem negativen Nettogeldvermögen, gedanklich nicht als Einheit zu sehen – macht die Diskussion um die Schuldenkrise zu einem besonderen Beispiel diskursiver Skurrilität.

Das Mantra: “Sparen gut, Schulden böse” hat sich anscheinend zu einem politikleitenden Popanz entwickelt und ist inzwischen dabei die Erkenntnis zu verstellen, daß der Kreditgeldkapitalismus sein Lebenselixier daraus bezieht, daß Schuldrelationen im Vertrauen auf eine regelmäßige Bedienung (nicht Tilgung!) eingegangen werden. Dieses Prinzip – in Verbindung mit der Abschreibung fehlgeschlagener Investments – macht jedoch den Erfolg des Kreditgeldkapitalismus aus.

Man kann mit “Schuldenbremsen” natürlich versuchen diese Kraftquelle zu verstopfen. Die “Märkte” wird man bei den dann eintretenden Folgen jedenfalls in keiner Weise beeindrucken können!

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2 Kommentare

Eingeordnet unter Finanzmarkt, Geldtheorie, Wirtschaftspolitik

2 Antworten zu “Fiskalpakt und Geldvermögen: eine unheilige Ehe

  1. Pingback: Kleine Presseschau vom 14. Juni 2012 | Die Börsenblogger

  2. Ich schlackere mit den Ohren: diese glaskaren Formulierungen der tieferen Problemstellung! Besonders:
    „… die Vergrößerung von Aufsichts- und Kontrollproblemen kann nur dann erfolgreich sein, wenn das was kontrolliert und beaufsichtigt werden soll, auch kontrolliert und beaufsichtigt werden kann. Dies darf man nach allem, was im Verlauf der kurzen Geschichte des EURO vorgefallen ist massiv bezweifeln.“
    „… von einer Lösung müßte man erwarten können, daß sie alle Einzelaspekte, wenn schon nicht umfassend, so doch von der Tendenz her zu lösen geeignet ist.“ [Genau!]
    „Die … Erwartung, daß die Hypertrophierung von Kontroll- und Aufsichtsinstitutionen das ökonomische Problem lösen, wie das Geflecht interdependenter Schuldbeziehungen auf ein nachhaltiges Maß zurückgeführt werden kann, ist mehr als naiv“.
    „in der politischen Diskussion [werden] im wesentlichen nur Krisenerscheinungen diskutiert und nicht die originären Aspekte, welche das transnationale Schuldengeflecht zu einem Problem machen.“
    „der Fiskalpakt [löst] lediglich ein politisches Problem …, die Verantwortung für die Entwicklung der nationalen staatlichen Schuldenstände auf ein supranationales Gremium zu verschieben, so daß nationale “Fehlentwicklungen” nicht mehr der jeweiligen Administration zurechenbar sind.“

    Trotzdem bin ich einerseits nicht ganz einverstanden und andererseits fehlt mir noch eine – m. E. entscheidende – Dimension.

    Zitat: “ … Staatsschulden nicht Ausdruck sozialpolitisch motivierter Verschwendungssucht sind, sondern die Tendenz reflektieren, Geldvermögen in sicheren zinstragenden Titeln anzulegen. Man kann es drehen und wenden wie man will: Staatsschulden sind nichts anderes als der buchhalterische Gegenposten des privaten ‚Sparens‘.“

    Der zweite Satz ist natürlich richtig; das ist ja schlichte Saldenmechanik (von Ihnen hier insoweit vereinfacht, weil die privaten Investitionen fehlen, aber der aufmerksame Leser weiß, dass Sie diese natürlich mitdenken).
    Mit dem ersten Satz habe ich indes ein Problem. Er etabliert eine Kausalitätsbeziehung (quasi: ‚privates Sparen erzwingt Staatsschulden‘), wo ich allenfalls eine Interdependenz sehen kann: Sozialstaatshypertrophie und Sparüberschüsse verschränken sich in einem sozusagen kollusiven Zusammenwirken zu einem problematischen Amalgam. Schließlich haben die deutschen Sparüberschüsse die griechische Regierung ja nicht zu ihrer klientelistischen Personalpolitik gezwungen.

    Einen Kausalzusammenhang könnte man nach dem Systemzusammenbruch etablieren, in der Form, wie wir ihn in der Debatte ja auch tatsächlich vorfinden:
    ‚Nachdem die Privaten ihr Geld nicht mehr verleihen, muss jetzt der Staat (oder gar: die Notenbank!) Geld verleihen und/oder verschenken, um die fehlende Nachfrage schaffen“.

    Ich denke aber, „that in discussing these financial flows, it is always useful to think about who is ultimately paying what to whom and for what“
    (wie Nikos Tsafos vom Blog GreekDefaultWatch in Antwort auf einen Kommentar von mir so trefflich formulierte – http://www.greekdefaultwatch.com/2012/06/is-krugman-right-about-greece.html?showComment=1340540565743#c1308407082926272922)

    Warum soll der Steuerzahler blechen, oder der Konsument (via Inflation), wenn das Problem doch die Geldsparer sind, bzw. genauer: die Unterkonsumtion.
    Das deuten Sie m. E. auch selber an mit dem Satz:
    „… wie [wenn nicht in Staatsanleihen] soll sich denn privates Geldvermögen sonst “sicher” anlegen lassen, wenn die privatwirtschaftliche Verschuldungsbereitschaft aufgrund der sinkenden Gewinne inzwischen sehr zu wünschen übrig läßt. “

    Wir hätten es also mit dem schon von Keynes vorhergesehenen (aber vielleicht bereits zur Zeit der Great Depression, also schon zu seiner Zeit vorhandenen?) Missverhältnis zwischen (Geld-)Sparen und der Kapitalabsorptionsfähigkeit zu tun (das ich schon früher in meinem „Rentenreich“ in der Debatte UV vs. KdV identifiziert hatte – http://www.beltwild.de/rentenreich.htm).

    Ich sehe -3- mögliche Wege um dieses Kapitalvermögen sozusagen zu ‚deleveragen‘:
    – Teilenteignung durch Besteuerung (technisches Problem der vollständigen Erfassung und Verhinderung von Ausweichreaktionen; weiteres Problem: potentielle Behinderung notwendiger Investitionen)
    – Inflation (extrem ungerecht, zumal die herrschende Lehre die Menschen ja ins Vorsorgesparen gejagt hat und bei der Pflegeversicherung noch immer diesen m. E. katastrophalen Kurs hält).
    – Die privaten Gläubiger müssen die Verluste aus den Zusammenbrüchen der Schuldner voll tragen. (Gerechtigkeitsproblem: wie bei „Inflation“).
    – Für die Zukunft: Altersvorsorge weltweit vom Kapitaldeckungsverfahren (bei uns: „wieder“) auf das Umlageverfahren umstellen.

    Allerdings muss man bei diesen Lösungswegen im Auge behalten, was der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser in seinem FTD-Artikel „Bankenkrise Vergesst den Vergleich mit 1931“ (19.6.12 – http://www.ftd.de/politik/europa/:bankenkrise-vergesst-den-vergleich-mit-1931/70051842.html) so formuliert:
    „Der historische Vergleich hinkt, wenn sich die Grundlagen geändert haben. Heute ist das Bankenproblem in eine umfassende Krise des Kapitalmarkts eingebettet, deren Akteure nur vordergründig die Banken sind. Tatsächlich dominieren institutionelle Anleger in den USA seit Langem die Regeln des Kapitalmarkts. Wer den Umsatz macht, bestimmt auch die Musik. Allein für den Aufbau privater Altersversorgung suchen sie Anlagen für rund 35.000 Mrd. Euro. In Deutschland betragen die Rentenanwartschaften rund 7000 Mrd. Euro, werden aber innerhalb des Sozialstaates am Kapitalmarkt vorbeigeführt.“

    Sofern man diese Darstellung der Dinge und meine ‚moralische‘ Folgerung akzeptiert stellt sich die Frage, wie man ‚die Großen‘ schwitzen kann ohne ‚das Kleinvieh‘ zu rupfen, das aber andererseits doch auch einen großen – oder gar den größten? – Teil des umherfliegenden (nicht als ‚Düngemittel‘ eingesetzten) Finanz’mists‘ produziert haben und noch produzieren.

    Meinen Sie, dass wir damit den Kern des Problems fokussiert haben?
    Wenn nicht, müssten wir weiter suchen, denn Ihr Text identifiziert die eigentlichen Wirkzusammenhänge (gewissermaßen die ‚Letztkausalitäten‘) m. E. noch nicht mit letzter Schärfe.

    Wie auch immer: Auf jeden Fall herzlichen Dank für die Anregung, die Ihr brillantes Posting mir für eine neue Formulierung meiner (alten) Gedanken geliefert hat. Ich werde diesen „Kommentar“ wohl auch bei mir selbst als Posting einstellen.

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