Monatsarchiv: August 2012

Europäische Geldspaltung

Unter dem Titel „Europäische Geldspaltung“ ist am 10. August 2012 im österreichischen Standard ein viel zu wenig beachteter Artikel erschienen, der ein Thema behandelt, welches es verdient hat näher beleuchtet zu werden. Es geht dabei um die sogenannte Fragmentierung der Geldmärkte. Darunter kann man verstehen, daß im Gegensatz zur Anfangsphase des EURO, wo dem allgemeinen Dafürhalten nach sich ein Geldstrom in die „Südländer“ ergoß, nunmehr allenfalls Banken desselben Staates sich gegenseitig noch Kredite im Rahmen des allgemeinen Interbankenmarktes einräumen. Ein Interbankenmarkt zeichnet sich ‚grosso modo‘ durch einen mehr oder weniger kurzfristigen Liquiditätsbeistand aus, der darauf beruht, daß die täglichen Salden zwischen Ein- und Ausgängen an Liquidität irgendwie ausgeglichen werden müssen. Siehe: Was ist clearing?

Ein gespaltener Geldmarkt bedeutet damit, daß das eigentlich normale „Vertrauen“ der Banken untereinander nicht existiert, so daß es bei Zahlungssalden nicht zu einer Stundung, sondern zu einem Zahlungsbegehren kommt, welches nur durch die Übertragung von Zentralbankliquidität beglichen werden kann. Das dahinterstehende Problem hängt damit zusammen, daß eine Marktsegmentierung ein Anzeichen dafür ist, daß die Banken der jeweiligen Länder ein unterschiedlich hohes Bonitätsniveau aufweisen, welches offensichtlich nicht mehr durch die Erhöhung des Risikozinses kompensierbar ist. Wäre ein Ausfallrisiko noch kalkulierbar, könnte es im Risikozins eingepreist oder alternativ versichert werden. Dies ist auf dem EURO-Interbankenmarkt offenbar derzeit nicht der Fall.

„In particular for the money markets, the report stated that the cross-border secured and unsecured money market has become increasingly impaired. This is reflected, among other factors, in the pricing of risk in the repo market, which has become more dependent on the geographic origin of both the counterparty and the collateral, in particular when these stem from the same country.“ Quelle ECB

Nun kann man sich fragen, warum es nicht ausreichend sein soll, daß Banken innerhalb eines Landes die entsprechenden Geldbeträge hin- und herschieben und wo der eigentliche Vorteil liegt, wenn Banken auf EURO-Ebene Kreditbeziehungen unterhalten. Schließlich ist ein EURO so gut wie der andere, auch wenn einige besonders Spitzfindige herausgefunden haben wollen, daß Geldscheine mit der Serienkennung „Y“ (Griechenland) möglichst nicht mehr angenommen werden sollten.

Das hängt an zwei Dingen:
– einmal an der Tatsache, daß in einem einheitlichen Währungsraum eine Geldanlageentscheidung nach der Abwägung zwischen Ertrag und Risiko in einer unkalkulierbaren Situation stets dazu neigen wird, den sicheren Hafen zu wählen
während
– auf der anderen Seite die ersten EURO-Jahre die Vorstellung erzeugt haben, daß ein einheitlicher Währungsraum auch zu einheitlichen Zinsen führen müßte.
Ersteres ist unmittelbar einleuchtend, während letzteres zwar das persönliche Gerechtigkeitsempfinden befriedigen mag, jedoch von den Üblichkeiten – ausgerechnet – des Interbankenmarktes in keiner Weise nahegelegt wird.

Punkt a) die Kapitalflucht in den sicheren Hafen ist unmittelbar mit den TARGET-Salden verbunden, wobei die Verkettung der TARGET-Salden mit Leistungstransaktionen nur Verwirrung zu stiften geeignet ist. Zum hinter die Ohren schreiben: Bestandsveränderungen können etwas mit Leistungsvorgängen zu tun haben, müssen aber nicht! (Kapitalflucht ist zahlungsbilanztechnisch gesehen eine Übertragung und hat mit Leistungstransaktionen nichts zu tun.) Dies ist an dieser Stelle jedoch nicht Thema.

Punkt b) scheint im Zusammenhang mit der von der EZB erklärten mangelhaften Transmission der geldpolitischen Impulse eher ein Theorieproblem zu sein, als ein valides geldpolitisches Ziel, geschweige denn eine anzustrebende (gerechte) Gleichgewichtssituation. Das Unverständnis der EZB resultiert denn auch daraus, daß das ominöse ‚law of one price‘ ja eigentlich auf den ach so effizienten Finanzmärkten doch am ehesten durchzusetzen sein müßte. Was stellt man aber fest? Daß die Zinsspreads inzwischen eine Höhe erreicht haben, bei der die Finanzierung des öffentlichen Zinsendienstes sowie die ‚rollover‘-Finanzierung des Staatsschuldenstandes mehr und mehr in die Bedrouille gerät.

Der Clou hängt natürlich an der Frage, inwieweit die „Südbanken“ zur Refinanzierung auf die „Nordbanken“ zurückgreifen können oder nicht. Dieser (derzeit kaum vorhandene) Rückgriff wird erst dann wieder möglich sein, wenn die vorhandenen ‚collaterals‘ wieder als satisfaktionsfähig eingestuft werden. Die im EURO-Interbankenmarkt akzeptfähigen ‚collaterals‘ sind aber eben i.d.R. die Staatspapiere, die derzeit von den „Nordbanken“ hinsichtlich der „Südschuldverschreibungen“ aktuell nicht (kaum) akzeptiert werden. (Deswegen ist ein Wertpapier-RTGS-System derzeit kein vordringliches Vorhaben!)

Was macht also eine EZB, die aufgrund ihrer theoretischen Grundrichtung an das ‚law of one price‘ glauben muß? Richtig, sie wird versuchen darauf hinzuwirken, daß die ‚collaterals‘, welche den Interbankenmarkt wieder in Gang setzen würden, einem Mindeststandard genügen, so daß sie wieder in Inter-EURO-Geldmärkten als akzeptabel, d.h. als beleihbar gelten. (Salopp gesagt könnte dann auch die Bundesbank wieder griechische Papiere von „ihren“ Banken als Refinanzierungspfand akzeptieren – ist zwar derzeit gegenstandslos, jedoch unter solchen Voraussetzungen prinzipiell möglich.) Denn solange die EZB einen Mindestpreis ausruft (und garantieren kann) ist ein Staatswertpapier sowohl innerhalb als auch außerhalb! des EURO-Raumes (mit Haircut) beleihbar. Insofern ist der Hintergrund der gegenwärtigen Debatte darüber, ob die EZB für Staatspapiere ein Mindestkursziel definieren kann weniger eine Angelegenheit von Gerechtigkeitserwägungen, sondern davon, daß die EURO-Geldmärkte wieder zu einem einheitlichen ‚modus operandi‘ zusammenfinden.

Der gewünschte Effekt eines einheitlichen EURO-Geldmarktes wird sich jedoch auf diese Weise kaum herstellen lassen. Allegorisch ausgedrückt versucht die EZB gerade, die nicht mehr kommunizierenden Gefäße (Geldmärkte) mit einem ‚bypass‘ künstlich zu verbinden, um der Legende Nahrung zu geben, in EURO-Land gäbe es tatsächlich so etwas wie eine einheitliche Geldpolitik. Nun ja, ‚de jure‘ gibt es sie tatsächlich, ‚de facto‘ ist es immer noch so, daß jedes EURO-Land bei der Frage, welche Bonitätsnormen für das nationale Bankensystem verbindlich sind, eine unterschiedliche Antwort bereithält.

Letzteres kann auch eine EZB durch die Garantie eines ‚collateral‘-Mindestpreises nicht nivellieren. Da scheint es wirklich um kulturhistorische Aspekte zu gehen, nämlich um die Frage, ob die Nachhaltigkeit bei der Durchsetzung von Geldschulden so geartet ist wie in den „Überschußländern“ oder ob es vergleichsweise laxe Üblichkeiten (40:40:20) bei der Eintreibung von Geldschulden gibt wie in den „Südländern“. Der menschliche Intellekt mag sich dagegen sträuben zu akzeptieren, daß die Qualität der Durchsetzung des Schuldendienstes darüber entscheiden soll, wer kreditwürdig ist und wer nicht. Aber es nützt nichts, es ist so! Warum? Weil Schulden eine soziale Verknüpfung darstellen. Heißt was? Eben: dort wo soziale Bindungen stark sind, entstehen Erfolgsgeschichten!

Abstrakt hin oder her!

Werbung

Ein Kommentar

Eingeordnet unter Finanzmarkt, Wirtschaftspolitik

Können Zentralbanken das Preisniveau beeinflussen?

Die Interventionen der EZB auf den Bondmärkten scheuchen offenbar eine ganze Reihe von Kritikern auf, die mit Sündenfallargumenten für eine “Neuausrichtung der EZB-Politik” plädieren. Hauptzielrichtung dabei ist die Stützung der Bondkurse “angeschlagener” Staaten, was mit dem originären Auftrag der EZB nicht zu vereinbaren sei. Dieser bestehe vorrangig darin die “Bewahrung der Preisstabilität” als oberstes Ziel zu verfolgen, während sowohl eine Intervention auf den Geldmärkten (Banken, LTRO) sowie Interventionen auf den Bondmärkten nicht zu den Kernaufgaben der EZB zählten. Insoweit diese Aufgaben nicht in den einschlägigen Statuten stehen, haben diese Kritiker natürlich recht. Und auch damit, daß dort die Preisstabilität als oberstes Ziel definiert ist, auch wenn der Begriff Stabilität inzwischen mit einer Wachstumsrate des Preisniveaus von 2% verknüpft wird. Aber Kuriositäten beiseite!

Eine der am wenigsten hinterfragten Annahmen der Ökonomie betrifft die Frage, was die Zentralbanken eigentlich beeinflussen können. Daß diese Frage so gut wie nie gestellt wird, läßt sich darauf zurückführen, daß seit dem Aufkommen der Quantitätstheorie und deren Propagierung als “Gleichung, Identität, Tautologie” eine Diskussion darüber entbehrlich scheint. Danach kann eine Zentralbank jederzeit einen unerwünschten Anstieg des Preisniveaus dadurch verhindern, daß sie über Diskonterhöhungen sowie kontraktive Offenmarktpolitik eine Kreditkontraktion bei den Geschäftsbanken herbeiführt, was sich für deren Kunden als Kündigung von Kreditlinien und Erhöhung von Sicherheiten bemerkbar macht. Als Konsequenz führt das zu einer Kontraktion des Wirtschaftslebens mit damit einhergehender Arbeitslosigkeit, die wiederum einen Lohnauftrieb ins Gegenteil zu verkehren in der Lage ist, womit Preisauftriebstendenzen durchaus gestoppt werden können. Die mit einer derartigen Politik zu erzielenden Ergebnisse lassen sich auf eine einfache Formel bringen: Operation geglückt, Patient tot!

Eine Zentralbank mit einem ausschließlichen Mandat zur Wahrung der Preisstabilität kann natürlich so vorgehen, ob das wünschbar ist, sollte man natürlich diskutieren. Was aber dabei nicht aus dem Auge verloren gehen darf ist der Umstand, daß letztlich jegliche noch so abstrakte Finanzmarktoperation darauf zielt eine Lohnentwicklung einzudämmen, die im Grunde genommen die wesentlichste Ursache für eine Binneninflation ist – Außeninflationen können sowieso nicht mit binnenwirtschaftlichen Mechanismen abgefangen werden. Dieser Aspekt wird derzeit unter der Überschrift “Divergenz der Lohnstückkosten” diskutiert. Das wirft die Frage auf, ob die Zentralbanken – außer durch indirekte Maßnahmen – überhaupt auf die allgemeine Lohnentwicklung Einfluß nehmen können/ wollen, oder ob ihr Auftrag nicht doch im Grunde genommen völlig anders gestrickt ist.

Kann denn nun im Gegensatz zum kontraktiven Desaster die EZB überhaupt etwas tun, um expansiv zu wirken? Zwei Dinge kommen in Frage:
a) den angeschlossenen Geschäftsbanken
und/ oder
b) dem Staat Kredite erteilen.
(Ja, es gibt noch die Zinspolitik, aber die ist so offensichtlich unwirksam, daß sich eine Behandlung erübrigt.)

Fall a) Die EZB erteilt Kredite an die Geschäftsbanken und das in einem außergewöhnlichen Ausmaß. Irgendwie scheint in der EZB das Vertrauen in die Geschäftspolitik der Banken derart hoch zu sein, daß sie es für verantwortbar hielt, eine Vollzuteilung auf 3 Jahre vorzunehmen. Eine derartige Politik sieht aber gerade nicht danach aus, als würde sie auf eine Begrenzung des von den Banken ausgereichten Kreditvolumens zielen. Infolgedessen wird von einer derartigen Politik auch keine dämpfende Wirkung auf eventuell sich abzeichnende Lohnentwicklungen zu erwarten sein. Es liegt also keine restiktive Politik vor, im Gegenteil kann man den Eindruck bekommen, daß diese Politik auf eine Kreditexpansion der Banken zielt. Die Idee ist schon richtig, allein, in Zeiten einer Bilanzrezession ist davon nicht viel zu erwarten.

Fall b) Die EZB erteilt Kredite an diejenigen Staaten, bei denen gewissermaßen ein Käuferstreik zu verzeichnen ist. Nun ist ja aus saldentechnischen Gründen ein sektorales Geldvermögen der privaten Haushalte nur dann zu erreichen, wenn entweder der Unternehmenssektor oder der Staat eine Nettoverschuldung zuläßt bzw. hinnimmt. Da nicht nur in Deutschland die Lust der privaten Haushalte auf Unternehmensinvestitionen mit variablem Ertrag äußerst mäßig ist, spielen die Festverzinslichen und insbesondere die Staatsverschuldung bei der Bildung von privatem Nettogeldvermögen traditionell eine besondere Rolle. Nun ist aber derzeit der Unternehmenssektor recht zögerlich, was die Bildung von negativem Nettogeldvermögen (alias Investitionen) angeht, so daß lediglich der Staat als Anbieter festverzinslicher Wertpapiere in Frage kommt.

Da in EURO-Land die Investoren aber einen Schreck vor der 60%-Schuldenstandsgrenze bekommen haben ist es schnell einsichtig, daß es beim leisesten Kriseln zu einem Käuferstreik kommen muß, weil sofort die Sicherheit des staatlichen Schuldendienstes in Frage steht. Da aber staatliche Bonds genau dann anfangen unbedienbar zu werden, wenn die prospektiven Käufer sich vor ihrer eigenen Courage fürchten, bleibt letztlich nur noch die Alternative, fällige Staatsschulden durch die EZB aufkaufen zu lassen. Einen Grund dafür, daß eine derartige Politik zu einer Begrenzung eines potentiellen Lohnwachstums führen könnte, kann man sich noch nicht mal als Staatsschulden-Softliner einfallen lassen. Da aber in diesem Fall die Staatsverschuldung lediglich das Anlagevolumen der Privaten substitutiert kann auch davon kein wirklicher Effekt hinsichtlich der gewünschten expansiven Wirkungen erwartet werden.

—–

Es sieht irgendwie so aus, als würde die viel beschworene „Glaubwürdigkeit der Zentralbanken“ deswegen erforderlich sein, weil Zentralbanken eben das, wofür sie angeblich stehen sollen, überhaupt nicht leisten können. Denn wenn die Preisniveauentwicklung sich nach den Lohnstückkosten richtet (diese Tatsache wird von Markttheoretikern höchstens mit spitzen Fingern angefaßt) entfällt praktisch für die Zentralbank die Macht zur Inflationssteuerung. Damit fällt aber auch das geldtheoretische Glaubensbekenntnis, welches die Quantitätstheoretiker seit über 200 Jahren in die Welt posaunen, daß nämlich die Steuerung einer mysteriösen Geldquantität eine Veränderung der absoluten Preise einer Ökonomie nach sich ziehen würde, komplett in sich zusammen.

Denn letztlich ist es doch so: die Frage der Verteilung bzw. Verwendung der zur Verfügung gestellten Zentralbankgeldmenge kann eine Zentralbank garnicht kontrollieren. Sie müßte sich zu diesem Zweck eigentlich die Finanzbeziehungen der Banken untereinander auf dem Interbankenmarkt zunutzemachen. Denn dort unterliegt die Qualität der Geschäftsbeziehungen untereinander einer laufenden Bonitätskontrolle dergestalt, daß bei Abweichungen sofort die Interbankenzinssätze sich ändern: overnight-Zinsen sinken bei steigender Bonität und steigen bei sinkender Bonität. Das wäre DER Anhaltspunkt, um zu einer Nivellierung des Bonitätsniveaus in EURO-Land zu kommen. Wer dem nicht entspricht muß halt höhere Zinsen zahlen und wird irgendwann von einer Marktrefinanzierung abgeschnitten. Das sind gesunde Mechanismen!

Und genau diesen Mechanismus hebelt die EZB mit ihren 3-Jahres LTRO´s in aller Ruhe und dann noch mit der Überzeugung, daß das die richtige Strategie sei, einfach aus. Anders: sie amputiert sich selbst und vergißt, daß sie eigentlich dazu da ist den Flohzirkus der nationalen Zentralbanken mit ihren unterschiedlichen Philosophien über die Nachhaltigkeit von Zentralbankpolitik unter ein Dach zu bekommen! SO wird das mit dem EURO nichts!

 

3 Kommentare

Eingeordnet unter Finanzmarkt, Ordnungspolitik, Wirtschaftspolitik

ESM-Haftung? Wozu eigentlich?

Die Diskussion um die Haftungsfrage in Bezug auf den ESM bewegt sich in einem Spektrum, welches davon geprägt ist einerseits auf eine festgeschriebene Haftungssumme für den ESM insgesamt und damit für alle Teilnehmerländer hinzuweisen, während andererseits die verklausulierten Möglichkeiten der Haftungsausweitung beklagt werden, die zu einer teilweisen Entäußerung der Macht der Parlamente hinsichtlich ihres Haushaltes führen würden. So verschieden die Positionen auch begründet werden mögen, in einer Hinsicht sind sie identisch: die Frage, ob es überhaupt zu einer Haftung der beteiligten Staaten kommen muß, wird in beiden Fällen stillschweigend als gegeben und notwendig vorausgesetzt.

Um das zu verstehen ist es notwendig, sich die Grundkonzeption des ESM mal unter die Lupe zu holen. Die Grundidee ist ganz einfach: man bilde einen Fonds aus vielen Einzahlungen, lasse diesen auf den Finanzmärkten weiteres Geld aufnehmen und stütze damit Staatshaushalte und Banken, die mit ihrer Verschuldungslage nicht mehr zurecht kommen. Und dann bleibt nur zu hoffen, daß die finanzielle Spritze die finanzielle Schieflage auch bewältigen hilft. So die Theorie.

Was ist aber nun der Grund dafür, daß die beteiligten Staaten, welche die Rolle des Bürgen übernehmen einen nicht unerheblichen Betrag einzahlen sollen und mit dieser Summe und darüberhinaus eventuell möglichen Nachschüssen für die Kreditvergabe des ESM auch haften sollen? Der Grund kann ja nur der sein, daß die Einzahlungen den Risikopuffer bilden sollen, der im Insolvenzfall eventuelle Verluste aus dem Engagement des ESM abfangen soll. Wie man weiß gehen solche Konstruktionen immer nach hinten los, denn der Bürge ist bei solchen Geschichten immer zweiter Sieger!

Irgendwie kann es aber nicht Sinn und Zweck einer supranationalen Behörde sein, fällig werdende Bürgschaftsversprechen einzutreiben, die in der Erwartung abgegeben werden, daß der Eintritt des Bürgschaftsfalles nicht zu erwarten ist. Würde der ESM tatsächlich einen Bürgschaftsfall vorsehen, müßten die prospektiven Risiken bereits zum Zeitpunkt einer Kreditvergabe eigentlich als schwebende Verbindlichkeiten in den Staatshaushalt eingestellt werden. Wie man weiß, faßt kein Finanzminister einen derartigen Posten zur Bilanzierung ins Auge, sicherheitshalber wird in Staatshaushalten noch nicht mal bilanziert.

Soweit aber nicht davon ausgegangen wird, daß der Bürgschaftsfall jemals eintritt, muß es eine Sicherung dafür geben, daß ein derartiger Fall zuverlässig vermieden werden kann. Diese Sicherheitsleine wird darin bestehen, daß der ESM, der wie inzwischen bekannt noch nicht einmal eine Banklizenz braucht, von der EZB einen unbeschränkten Zugang zu frischem Geld erhält, um dann, wenn es selbst für den ESM zu teuer werden mag, sich auf den Finanzmärkten neue Kredite zu holen, die zur Erfüllung seiner Aufgabe notwendigen Kredite zu einem Friedenszins auch tatsächlich von der EZB zu erhalten. Besonders nett bei der Geschichte ist natürlich, daß der ESM als suprastaatliche Organisation per definitionem keine staatliche Organisation ist und daher die EZB unbefangen – selbstverständlich nach strengen Richtlinien – dem ESM eine unbeschränkte Kreditlinie einräumen kann. Schließlich ist es ja dann der ESM, der Staaten direkt finanzieren kann und nicht die EZB – selten so gelacht!

Die Sache hat natürlich einen Hintergrund, der darin zu suchen ist, daß mit der Errichtung der EZB die nationalen Zentralbanken als letzter Rettungsanker für eine eventuell notwendig werdende direkte Staatsfinanzierung offiziell ausgefallen sind. Dies hängt mit der Diskussion zusammen, daß der EURO für die beteiligten Nationen eine Fremdwährung darstellt und damit die Souveränität der Nationalstaaten einen empfindlichen Dämpfer hinnehmen mußte, der solange nicht fühlbar war, wie die ach so rationalen Finanzmärkte ihrem Herdentrieb nachgingen und – wie üblich – dringenderweise Bauwüsten oder Staatsapparate finanzieren mußten. Wie man weiß sind derartige Dinge immer solide Finanzanlagen!

Es fehlt also für die Staaten die letzte Zuflucht zu Geld. Nun ist das aber mit dem Kreditausfallrisiko so eine Sache: wenn man nicht davon ausgehen muß, daß ein Kredit – weil der ESM ihn jederzeit selbst rollieren kann – jemals ausfällt gibt es auch keinen Grund dafür eine Risikoprämie zu fordern. Dann richtet sich der Zins für Staatsanleihen nach allgemeinen Ertragsgesichtspunkten – im Fall unterschiedlicher Nationalwährungen nach der Frage der jeweiligen Aufwertungs- bzw. Abwertungswahrscheinlichkeit. Diese gibt es – für manchen zum Leidwesen – in EURO-Land nicht. Damit ist die Idee hinter dem ESM auch schon identifiziert: es geht darum, für Staatsschulden einen letzten unbedingten Aufkäufer zu finden, der es mögliche machen soll, daß Staatsschulden bei Fälligkeit in jedem Fall eingelöst werden, was eine Spekulation mit Staatspapieren im Grunde genommen hinfällig macht. Denn Staatsschulden, die bei Fälligkeit in jedem Fall eingelöst werden, unterliegen auch einen Tag vorher nicht einem Haircut, deswegen am vorvorgehenden Tag auch nicht usw…

Soweit wäre die Welt ja wieder schön, wenn – ja wenn das Volumen des ESM für die Bedürfnisse von EURO-Land ausreichend wäre. Es sieht nicht danach aus, daß es das ist, so daß die Frage der Haftung, wenn tatsächlich die Einlagen der Teilnehmerstaaten die alleinige verfügbare Haftungsmasse ausmachen sollen, ein im Grunde genommen existenzbedrohliches Thema werden würde. Denn werden die Bürgschaften sowie eventuelle Nachschüsse fällig, gerät augenblicklich die gesamte Konstruktion in die Schieflage. Diese Schieflage mit den ganzen damit verbundenen politischen Tumulten kann nur dann abgewendet werden, wenn es tatsächlich zu einer unbeschränkten Kreditlinie seitens der EZB zugunsten des ESM kommen sollte. Denn damit wären sämtliche Spekulationen gegen den ESM – und damit gegen die einzelnen Nationalstaaten – nutz- und aussichtslos bzw. mit Verlusten verbunden.

Das Witzige an der Sache ist jedoch: sollte es zu einer unbeschränkten Kreditlinie kommen, wäre der ganze „Einlagenzauber“, sowie die gesamte Diskussion über die Höhe und Folgen der staatlichen Haftung für den ESM reine Makulatur – man könnte dazu auch Phantomdebatte sagen. Denn: eine Institution, die über unbeschränkte Liquidität verfügt benötigt keine Haftungsmasse und kann auch ohne weiteres mit negativem Eigenkapital operieren, ohne daß damit die Zahlungsfähigkeit in irgendeiner Weise angetastet wäre. (Das gilt selbstverständlich auch für die EZB, denn die EZB mit „Kapital“ auszustatten ist wie Wasser zur Quelle zu bringen – machbar aber unsinnig!)

Man muß es einfach so sehen: das Design des ESM ist dazu gedacht um die Beschränkung der direkten Staatsfinanzierung herumzukommen und gleichzeitig den Haftungsfall auszuschließen, der sich bei einer Beschränkung des ESM selbstverständlich automatisch einstellen würde. (Das hat nichts mit bösen Finanzmärkten zu tun – aber das ist ein anderes Thema!) Insofern ist die ganze Diskussion um Haftung oder nicht bzw. Banklizenz oder nicht insgesamt für die Katz. Denn beide Diskussionen erübrigen sich mit einer Zusage der EZB an den ESM hinsichtlich des unbeschränkten Kreditrahmens. Daß dies nicht im ESM-Vertrag steht liegt doch nur daran, daß ja die EZB „unabhängig“ ist und deswegen auf unabhängige Weise das beschließen wird, was bereits in trockenen Tüchern ist. Alles andere wäre ein Himmelfahrtskommando!

Soweit wäre ja alles ganz nett. Was wirklich bedenklich ist, sind die Konditionalitäten an diejenigen Länder, die einen ESM-Antrag stellen – das hat dann wirklich nichts mehr mit Demokratie zu tun! Es gibt aber auch einen positiven Effekt für die Demokratie: sollte es wieder zu einem Lehman-Moment kommen, können sich die Staaten dann im Schnellverfahren die Liquidität besorgen, die sie seinerzeit nur gegen das Versprechen bekommen haben, die Banken zu retten! Das wäre tatsächlich mal ein Schritt in Richtung des Primat der Politik!

 

2 Kommentare

Eingeordnet unter Finanzmarkt, Wirtschaftspolitik

Unser ökonomischer Mainstream: Aufzucht und Hege

Was die Grundfragen der Volkswirtschaftslehre angeht, kann man sich zunächst klarmachen, daß historisch gesehen ein ethisches Problem der Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit Fragen der sozialen Organisation bildete. Dabei handelt es sich im wesentlichen um die Frage, ob gemessen an den Organisationsmechanismen geschlossener Wirtschaftsformen, etwa der Stammes-, Dorf- oder feudalistischen Gesellschaften, eine Theorie der Ökonomie formuliert werden kann, die den seinerzeit aufgekommenen liberalistischen Gesellschaftstheorien und -philosophien ein angemessenes Fundament liefern könnte. Pointiert ausgedrückt lautete das zu lösende Problem, ob eine liberale Gesellschaft, in der jedes Individuum nach seinem Gutdünken handeln würde, das Postulat der christlichen Sozialethik Verantwortung auch für den Nächsten zu tragen, erfüllen könnte.

Eine erste Antwort auf dieses Problem wurde von Adam Smith, der daher als der Vater der Nationalökonomie angesehen wird, gegeben, indem er versuchte nachzuweisen, daß durch eine marktvermittelte Interaktion selbständiger Individuen eine Verbesserung der Lage der Gesellschaft insgesamt eintreten würde. Sein Argument beruhte im wesentlichen darauf, daß durch die Institution des Tauschs eine Wohlfahrtsverbesserung deswegen zustandekomme, weil Tauschpartner nur dann in einen Handel einwilligen, wenn sie beide einen Vorteil daraus ziehen würden. So gesehen verfolgt zwar jedes Individuum seinen eigenen Vorteil, ohne jedoch dabei den Vorteil des Handelspartners selbstherrlich ignorieren zu können; insofern würde die Verfolgung des Eigeninteresses sogar zu einer Wohlfahrtsteigerung der Gesellschaft führen.

Die (heute nicht mehr so) moderne Volkswirtschaftstheorie (neoklassischer Provenienz) setzt sich selbst zum Ziel, die genannten Aspekte in einem einzigen Modellentwurf zu integrieren, so daß sich für sie die Aufgabenstellung wie folgt darstellt:

  • – Sie muß eine Handlungs- bzw. Entscheidungstheorie liefern, in der separierte Akteure ihr individuelles Optimierungskalkül verfolgen.
  • – Sie muß eine Koordinationstheorie liefern, die das Ergebnis induziert, daß die Pläne und Aktionen der einzelnen Entscheidungseinheiten miteinander kompatibel sind.
  • – Sie muß den Nachweis liefern, daß die so entstandene ökonomische Situation gewissen Optimalitätsanforderungen genügt.

Die allgemeine Gleichgewichtstheorie bzw. die neoklassische mikroökonomische Totalanalyse, die sich der Behandlung dieser Problemkreise widmet, läßt sich gemäß ihrer Erklärungsziele in drei Bereiche aufgliedern:

  • -Haushaltstheorie
  • -Unternehmenstheorie
  • -Markttheorie

Eine zentrale Voraussetzung dieser Theorie ist die Annahme der vollkommenen Konkurrenz, was in diesem Zusammenhang bedeutet, daß alle existierenden Entscheidungseinheiten die Preise aller Güter als ein vorgegebenes Datum hinzunehmen gezwungen sind.

Daraus folgt: Da die Haushalte in ihrer Gesamtheit über alle Ressourcen der Gesellschaft verfügen, läßt sich bei gegebenen Preisen und gegebenen Präferenzstrukturen ein eindeutiges Faktorangebot sowie eine korrespondierende Güternachfrage ableiten. Diese Ableitung der Güternachfrage und des Faktorangebots der Haushalte ist die Aufgabe der HAUSHALTSTHEORIE. Das methodische Kriterium für das Kalkül der Haushalte ist das Prinzip der Nutzenmaximierung.

Daraus folgt: Bei gegebenen Preisen und gegebener Technologiemenge können in jedem Unternehmen optimale Produktionspläne erstellt werden, woraus sich ein bestimmtes Güterangebot und eine korrespondierende Faktornachfrage ergibt. Die Ableitung der Faktornachfrage und des Güterangebots ist die Aufgabe der UNTERNEHMUNGSTHEORIE. Das methodische Kriterium für das Kalkül der Unternehmen ist das Prinzip der Gewinnmaximierung.

Die zentrale Koordinationsinstanz im Kontext der MARKTTHEORIE ist der Preismechanismus, der die Aufgabe hat Güter- bzw. Faktorangebot bzw. -nachfrage in Übereinstimmung zu bringen. Paßt sich der Preis auf dem Markt gemäß der Überschußnachfrageregel an, so läßt sich unter geeigneten Bedingungen zeigen, daß ein Preissystem existiert, welches gewährleistet, daß die Überschußnachfragen für alle Gütermärkte gleich Null sind. Dieses Gleichgewicht ist gleichzeitig Paretooptimal, d. h. es sind unter den spezifizierten Bedingungen keine weiteren Tauschgewinne mehr möglich. Mit diesem Nachweis, daß eine individualistische Gesellschaft über marktorganisierte Koordinationsmechanismen zu einem effizienten Zustand gelangen kann, in dem die Ressourcen der Gesellschaft optimal genutzt werden, konnte der liberalen Gesellschaftsphilosophie die moralische Legitimationsgrundlage geliefert werden.

Pikanterweise ist die schwächste Stelle der hier skizzierten Orthodoxie das Preissetzungsproblem: wenn alle Akteure die Preise als Datum hinnehmen müssen, bleibt niemand mehr übrig, der die Preise setzen kann. Aus diesem Dilemma ist es zu erklären, daß in der Preisbildungstheorie die Fiktion des Auktionators ins Leben gerufen werden muß, der in seiner Funktion als allwissender Koordinator als Rationalisierung der „Marktkräfte“ agiert, um den Ausgleich von Angebot und Nachfrage zustande zu bringen. Außerhalb der statischen, d. h. im Kontext der dynamischen Preistheorie lassen sich dagegen bestimmte Bedingungskonstellationen in Bezug auf die Preisanpassung finden, die die Stabilität des gesamten Systems auch in einem dynamischen Kontext sicherstellen – sicher bzw. stabil ist ein Gleichgewicht jedoch nicht unbedingt.

Diese Existenz- und Optimalitätstheoreme der allgemeinen Gleichgewichtstheorie begründen für die Mehrheit der Ökonomen das unerschütterliche Vertrauen in den Marktmechanismus, und bilden so die intellektuelle Basis für das Postulat, den Marktkräften soweit wie irgend möglich Raum zu verschaffen, eine in wirtschaftspolitischen Diskussionen immer wiederkehrende Forderung. Insbesondere in Bezug auf eine Preisflexibilisierung auf dem Arbeitsmarkt birgt diese Position erheblichen sozialen Zündstoff. Die Frage der systematischen Wirkungen von Lohnreduktionen auf die konjunkturelle Lage und den Wirkungen auf das Beschäftigungsniveau ist auch heute noch umstritten.

Der Umstand, daß es in diesem Modell keine Geldpreise gibt, sondern nur relative Preise (1 Biber = 2 Hirsche), die im Grunde nur die reale Tauschrelation zueinander bestimmen bringt natürlich die Geldtheorie sofort auf die schiefe Bahn, da eine Tauschwirtschaft kein Kreditgeld, sondern ein Tauschmittel braucht. Daraus erklärt sich auch, daß die Geldtheorie aka Quantitätstheorie im Grunde nur die – nicht modellimmanente – Tauschmittelfunktion versucht zu rationalisieren. Von dieser Krankheit, eine Begründung für Geld innerhalb eines Modells zu finden, welches überhaupt kein Geld benötigt, hat sich die ökonomische Theorie bis heute nicht erholt!

Selbstverständlich bleiben in einem derart offen formulierten Modell noch viele diskussionswürdige Fragen unerörtert. Gleichwohl bietet es für die angerissenen Probleme eine im Mainstream als befriedigend empfundene Lösung, die sich als ausreichend überzeugend erwiesen hat, um das Denken der meisten Ökonomen entscheidend zu prägen. Das hat als Konsequenz, daß selbst wenn sich das Modell der allgemeinen Gleichgewichtstheorie als defizitär in vieler Hinsicht herausstellen sollte, es dennoch wichtig ist sich diesem Modell zu widmen, da es in jedem Fall den Schlüssel zu der Erkenntnis enthält, warum Ökonomen so denken wie sie denken. So interpretiert ist nicht der Realitätsgehalt dieses Modells das Entscheidende, sondern die sozialen, ökonomischen und wissenschaftlichen Konsequenzen die auf ihm beruhen. D.h. nicht „Realitätsnähe“, sondern die Wirkungen auf gesellschaftliche Verhältnisse sind das Kriterium dafür, die Bedeutung dieses Ansatzes zu bewerten.

5 Kommentare

Eingeordnet unter Wirtschaftstheorie