Monatsarchiv: Dezember 2012

4 Tage im Dezember

Mühle01Nun ist ja die Weltgeschichte nicht arm an bedeutungsvollen Daten, ob nun die Iden des März oder ‚the 5th of November‘, aber ob nun die ‚…four-day period in mid-December…‘  (von 2012) dieses Potential hat in die (ökonomische) Geschichtsschreibung einzugehen, muß zwar abgewartet, darf aber in der Zwischenzeit bezweifelt werden. Obwohl: es geht immerhin um nichts Geringeres als einen umgekehrten „Volker-Moment“, der in der Rückschau durchaus als Sieg der US-Notenbank gegen die Inflation gesehen werden muß.

Zur Erinnerung: 1979 wurde P. Volcker zum ‚chairman‘ der FED ernannt und wurde in der Folgezeit durch eine geldpolitische Strategie bekannt, die durch eine strikte Geldmengenverknappung geprägt war. Dies erfolgte vor dem Hintergrund steigender Inflationsraten in den 70er Jahren, deren Höchststände durch das deutliche Überschreiten der 10% Marke geprägt waren. Der Verlauf der ‚disinflation‘ war durch so schöne Dinge wie Rezession, steigende Arbeitslosigkeit und Unternehmenszusammenbrüche, ganz zu schweigen von den Insolvenzen etlicher 3.Welt-Staaten geprägt. Der „Lohn“ dieser Politik wird in den 20 Jahren ‚great moderation‘ gesehen, eine Phase, die mit Globalisierung, niedriger Inflation und steigender „Weltprosperität“ in Verbindung gebracht wird. So weit der Kinderkram!

Nun ist die Diskussion um den „Volcker-Moment“ schon etwas älter und betrifft eher die Diskussion um das sogenannte ‚NGDP-targeting‘, wo als inzwischen nicht mehr neuester Schrei der ökonomischen Hexenküche allen Ernstes vorgeschlagen wird, die Zentralbank möge doch eine Steuerung des nominalen Was-auch-immer-Sozialprodukts vornehmen. Dies deswegen, weil ja das ‚real GDP‘ sich durch monetäre Maßnahmen angeblich nicht verändern ließe, da ja nach Dafürhalten der Theorie der rationalen Erwartungen die Individuen durch Geldmengenveränderungen nicht getäuscht werden können, sie mithin frei von Geldillusion seien. Heiliger Bimbam – dagegen ist ja Bimbes was Reales!

Doch jenseits aller möglichen ökonomischen Phantasiewelten scheint sich inzwischen anzudeuten, daß Zentralbankpolitik zur letzten verbliebenen Politikoption geworden ist, was sich an dem Widerspruch zeigt, einerseits die Unabhängigkeit der Zentralbank aufs Innigste zu beteuern, während auf der anderen Seite die Zentralbanken zunehmend das Geschäft der Konjunkturpolitik zwar nicht de jure, aber immerhin de facto übernehmen, zu der die Politik aufgrund vielfältigster Selbstbindungen immer weniger in der Lage ist. Im Gegensatz zu der damaligen Volcker-Politik der Inflationsdämpfung hat die Geldpolitik heutzutage jedoch die ungleich undankbarere Aufgabe eine ökonomische Verhaltensänderung, und zwar hinsichtlich einer Steigerung der Investitionsneigung hervorzurufen, deren Ergebnis ein möglichst fühlbarer Wirtschaftsaufschwung sein möge.

Dabei werden zwei Dinge entweder übersehen oder als selbstverständlich gegeben betrachtet:

a) Zum einen kann eine Zentralbank, wenn sie expansiv wirken möchte, lediglich ein Angebot machen, um eine Steigerung des „Geldumlaufs“ zu bewirken, im Gegensatz zu einer Restriktionspolitik ist sie dabei jedoch stets auf die Mitwirkung ihrer ‚counterparts‘ angewiesen. Immerhin besitzt eine Strategie der Liquiditätsausweitung aufgrund der unbeschränkten Liquidität der Zentralbank eine vergleichsweise hohe Erfolgswahrscheinlichkeit.

und

b) Zum anderen ist die Vorstellung, daß die Senkung eines möglichst langfristigen Zinses eine wesentliche Voraussetzung für Investitionen sei, aus einer Theorie geboren, welche einmal voraussetzt, daß sich aufgrund von Preissenkungen für ein Wirtschaftsgut eine korrespondierende Steigerung der Nachfrage nach eben diesem Gut (quasi-per-definitionem) einstellt, sowie daß eine Zinssenkung – wenn schon keine hinreichende – so doch wenigstens eine notwendige Bedingung für die (mehr oder weniger marginale) Steigerung der Rentabilität von Investitionen sei. Daß es sich dabei um eine mikroökonomische Betrachtung handelt, die durch die allgemeinen Umsatzerwartungen der Unternehmer in keiner Weise gedeckt sein muß, läßt diesen Aspekt des hochwohlgelobten Transmissionsmechanismus als schwächstes Glied erscheinen.

Das Frappierende an der ganzen Angelegenheit ist jedoch, daß in diesen 4 Tagen, in denen die FED, die BOJ und die BoE zu einem Doppelmandat hinsichtlich des Ziels „Arbeitslosenrate“ eingestimmt wurden, die EZB in keiner Weise – zumindest offiziell – gewillt ist, eine multipolare Zielstellung – Geldwertstabilität plus Arbeitslosenrate, das Revival der „Phillips-Kurve“ – überhaupt auch nur anzudeuten.

Der Knaller ist also: die EZB ist die einzige (wenn man China mal ausnimmt) bedeutende Zentralbank, die immer noch ein monodimensionales Ziel verfolgt, da offenbar der Einfluß der Bundesbank immer noch groß genug ist, um in Europa das Primat der Politik der Strukturveränderungen durchsetzen zu können. Das erinnert an die Situation nach der Wende, als auch nicht klar war, wie sich die BRD hinsichtlich der „Kosten der Vereinigung“ positioniert. Das Ergebnis ist bekannt. Statt zwei Prozent Mehrwertsteuer (Wahlkampf CDU) wurden drei Prozent (Koalitionsbeschluß CDU-SPD) zusätzlich erhoben und damit die Staatsverschuldung auf ein erträgliches Maß begrenzt. Das gleiche Muster kündigt sich auch hier an. Die Schäuble-Nummer beruht auf dem gleichen Spiel – nur eine Nummer größer!

Man mag zwar sagen, daß die Politik der EZB auch nicht den Statuten, wie sie in Maastricht vereinbart wurden, entspricht, aber unter den Blinden ist die EZB genau dann einäugige Königin, wenn sie sich der Versuchung versagt, die Frage der Förderung einer nachhaltigen, industrielastigen Ökonomie mit einer Ausweitung des Liquiditätspotentials beantworten zu wollen. Die viel kolportierte Binsenweisheit, daß mit Zentralbank-Geld(-Politik) keine nachhaltige Konjunkturentwicklung  erzeugt werden kann ist ja insofern richtig, als es immer der Kooperation der Unternehmen (und nicht der Liquidität saugenden „Finanzmärkte“) bedarf, um „anständige“ Resultate hervorzubringen.

Das macht aber die 4-Tage-Geschichte auch so kurzläufig: der Irrglaube der FED etc. besteht darin, mit Hilfe der Zinsbeeinflussung aus der vermeintlichen(!) einzelwirtschaftlichen Steigerung der Rentabilität schlußfolgern zu wollen, daß damit auch eine gesamtwirtschaftliche Rentabilität erzeugt wird – und damit das seit Jahren virulente Krisenphänomen des Kapitalismus adressiert werden kann. Das ist aber nicht der Fall, denn die Erhöhung des Volumens der Zahlungsmittel – was anderes kann eine Zentralbank nicht – macht noch keine Konjunktur aus. (Wer an die Schwalbe und den Sommer denkt, denkt richtig!) Konjunktur ist dann, wenn die Leute kaufen wie blöde – sonst nicht, das hat aber mit Zentralbankpolitik nichts zu tun – Ricardo-Barro-Neutralitätstheorem hin oder her!

Wäre es so, dann würden die Unternehmen auch so reagieren, wie es die anglo-Ökonomie es vorsieht – allein so ist es nicht und wird es auch nicht mehr werden – allen treuherzigen Beteuerungen seitens der Wirtschaftsforschungsinstitute und der versammelten Presse und leider auch der GfK zum Trotz.

Verfluchte Makroökonomie!

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Geld oder Kredit – who cares? Banken!

TrogDie Diskussion um die Frage, ob Sichtforderungen sinnvoll als „Geld“ interpretiert werden können ist auf der einen Seite eine formelle Diskussion um die Frage, ob das, was auf der Passivseite der Zentralbankbilanz steht – nämlich der Zentralbankgeldumlauf – nun eine Verbindlichkeit darstellt oder nicht. Denn soweit man die Eigenschaft des ZBG-Umlaufs eine Verbindlichkeit zu sein bejaht, läßt sich der Analogschluß zu den Sichtforderungen der Geschäftsbanken ziehen, womit ein eindeutiges Trennungskriterium nicht mehr existiert. Der einzige Unterschied wäre dann nur noch, daß eine Zentralbank niemals illiquide in ihrem selbst emittierten Geld werden kann, während das bei Geschäftsbanken schon mal schiefgeht – was dann die Zentralbank auf den Plan ruft, die dann als ‚lender of last resort‘ fungieren soll, womit sich das Liquiditätsproblem für die (größeren) Geschäftsbanken weitgehend erledigt.

Auf der anderen Seite ist es hier in keiner Weise ein Selbstzweck eine Diskussion wieder anzuzetteln, die bereits vielfältig ausdiskutiert zu sein scheint. Es geht also dabei nicht um einen Streit um „des Kaisers Bart“, sondern um die Frage, welche Funktionsbestimmungen in Bezug auf Geld man vertritt. Dabei ist die Funktionsbestimmung „Tauschmittel“ allgemein die geläufigste Zuschreibung bei der Frage: „Was ist Geld?“. Zweifel an dieser Zuschreibung sind deswegen angebracht, weil diese Antwort nicht Ergebnis einer geldtheoretischen Analyse ist, sondern sich aus der Notwendigkeit ergibt, die relativen Preise des ökonomischen ‚mainstream‘-Modells in absolute Preise zu transformieren, ohne die Kohärenz des zugrundeliegenden Modells zu beeinträchtigen. Daß damit ein Bauchgefühl á la „Man sieht ja, daß man Geld und Güter tauschen kann!“ und damit lediglich eine Erfahrungstatsache als Theorieersatz herangezogen wird, wird bei der Plausibilisierung einer derartigen Zuschreibung meistens stillschweigend unterschlagen. Nun soll hier nicht die alte epistemologische Frage aufgeworfen werden, ob Empirie ohne Theorie überhaupt sinnvoll machbar ist oder nicht. Aber wie man seit Galileo und Kepler weiß (und wahrscheinlich auch schon seit Aristoteles, denn bei Aristoteles steht ohnehin schon alles) lassen sich Erkenntnisse auch ohne direkte Anschauung gewinnen, resp. auch dann gewinnen, wenn die phänomenologische Betrachtung das Gegenteil dessen auszusagen scheint als das, was die Theorie aus anderen Erwägungsgründen ableitet. (Wer es etwas moderner haben will: das Higgs-Boson gab es vor der theoretischen Berechnung nicht und danach ein paar Jahrzehnte auch nicht. Jetzt schon – und manche sagen: immer noch nicht!)

Was könnte es also sinnvoll machen, den Unterschied von Zentralbankgeld und Sichtforderungen herauszuheben?
Der Versuch einer Skizze:

Das Eine (ZBG) ist ein Zahlungsmittel bzw. dasjenige Medium, in dem eine schuldbefreiende Zahlung möglich ist. Kennt man vom Bäcker: man schließt mit dem Verkäufer einen Vertrag, indem qua Angebot und Annahme eine zweiseitige übereinstimmende Willenserklärung zu einem gegenseitigen Schuldverhältnis führt. Was führt nun zum Ziel der ganzen Operation, welches darin besteht, daß der Kunde ein Gut übertragen bekommen möchte, während der Verkäufer eine Ware übertragen möchte und das mit einer möglichst schuldbefreienden Zahlung? Richtig, die Übertragung des Geschuldeten.

Das Andere ist die Referenz auf Geld. Referenz auf Geld bedeutet, daß es einen Verfügungsanspruch gibt, über einen bestimmten Geldbetrag disponieren zu können, indem einem Dritten (der Geschäftsbank) der Auftrag erteilt wird, die Übertragung des Herausgabeanspruchs an den Empfänger zu übernehmen. Was dabei offenbar eintritt ist die vieldiskutierte Tatsache, daß in einem Bankensystem – im Gegensatz zu der Barzahlung – die Notwendigkeit 100% Zentralbankgeld für die Abwicklung der Transaktionen vorhalten zu müssen offenbar in dieser Ausprägung nicht gegeben ist. Aus diesem Umstand folgert eine ganze Diskussionsrichtung, daß dort ein „fraktionelles Reservesystem“ vorliege, welches gewissermaßen auf Kosten der Bankkunden nur einen Teil der umgesetzten „Geldmenge“ zur Abwicklung aller Transaktionen verwende. Damit einher ergeht der Vorwurf an die Banken „das Geld der Einleger“ für ihre Zwecke zu verwenden, indem es (rechtswidrig) weiterverliehen werde. Soweit die eine Seite.

Welche Vorstellung ist zu entwickeln, wenn man einen anderen Zusammenhang sehen möchte? Dieser geht davon aus, daß Geld nicht irgendwie vom Himmel fällt oder auf den Feldern wächst oder aus nicht erklärbaren „Einlagen“ entstammt, deren Herkunft nicht nachvollziehbar sind, sondern sich aus der Zahlungsverpflichtung einer Zentralbank ergibt, was sich dann in der Forderung einer Geschäftsbank gegenüber der Zentralbank oder in einem Kassenbestand der Geschäftsbank widerspiegelt. Soweit eine Geschäftsbank mit Zahlungsmitteln ausgestattet ist, ist sie auch befähigt Kredite zu vergeben, deren Eigenschaft es ist, teilweise oder vollständig mit einem Zahlungsmittelabfluß verbunden zu sein. Die Einräumung eines Kredits begründet die Schaffung von Sichtforderungen, über die der Inhaber der Sichtforderungen nach Belieben verfügen kann. (BTW: Wenn diese Sichtforderungen des Kreditnehmers an z.B. seinen Angestellten übertragen werden, der sein Konto bei einer anderen Bank hat, sieht es tatsächlich so aus, als würde bei der Empfängerbank eine „Einlage“ entstehen. Nur: die ist ja nicht aus dem Nichts entsprungen, sondern bei der Krediteinräumung der überweisenden Bank entstanden! Es handelt sich also lediglich um eine Verlagerung der bei der Krediteinräumung geschaffenen Sichtforderungen!) Dabei kommt es mit der Ausdifferenzierung des Interbankenmarktes zu dem bekannten Effekt, daß die Einräumung eines Kredits nicht stets damit verbunden ist, daß die Bank zu 100% sich zusätzliches Zahlungsmittel beschaffen muß, sondern nur für den Teil, der von ihrem eigenen Hause  (temporär) wegüberwiesen wird, da sie – aus ihrer Perspektive – ihre Herausgabeverpflichtung hinsichtlich der Zahlungsmittel an eine andere Bank „weitergibt“. Dabei wird die Bank, die in den Auszahlungsanspruch nunmehr gegen sich eintritt auch darauf bestehen müssen, daß das Herauszugebende – das Zahlungsmittel – ihr auch tatsächlich übergeben wird – in bar oder moderner als Übertrag einer Forderung auf Zentralbankgeld bei der Zentralbank.

Wozu das alles? Nun, um zu motivieren, daß bei einer säkular sinkenden Bargeldquote das Liquiditätsmanagement einer Bank stetig größeres Gewicht erhält und eben dieser Umstand bewirkt, daß die Funktion von Zentralbankgeld als direktes Tauschmittel zunehmend in den Hintergrund, dagegen die Funktion von Zentralbankgeld als Mittel zur Steuerung des Bonitätsniveaus im Interbankenmarkt immer mehr in den Vordergrund tritt. Der entscheidende Hebel dafür sind die Kosten der Beschaffung von Zentralbankgeld, weil der Gewinn der Geschäftsbank um so höher ausfällt, je geringer die Liquiditätskosten sind, die bei einem sich einstellenden Liquiditätsbedarf entweder aus den Zinskosten am Interbankenmarkt, freien Geldmarkt oder den Zinskosten gegenüber der Zentralbank anfallen. Damit wird aber der Bonitätsstandard des Aktivportfolios zum entscheidenden Parameter (’shiftability‘) hinsichtlich der Beschaffungskosten, wobei ein hoher Bonitätsstandard durch relativ geringe Geldbeschaffungskosten geprägt ist, während Banken mit geringerem Bonitätsstandard höhere Geldbeschaffungskosten aufwenden müssen, um ihren Liquiditätsstatus hinsichtlich der Zentralbankgeldabflüsse ausreichend hoch zu halten.

Man muß wohl noch viel darüber schreiben, aber die säkulare Veränderung, die daraus besteht, daß Zentralbankgeld zunehmend als Steuerungsinstrument des Ausgleichs von Liquiditätsproblemen der Banken begriffen werden muß, kann man nicht mehr ignorieren. Insofern ist die Funktion des Geldes als Tauschmittel als Aspekt einer spezifischen (Tausch-)Theorie nicht ganz unberechtigt, aber hinsichtlich der Ausdifferenzierung des Finanzsystems hoffnungslos defizitär. Die Funktionsbestimmung von Geld innerhalb einer Kreditgeldtheorie fokussiert primär das Liquiditätsproblem und analysiert (statt der Erleichterung von Tauschprozessen) die Zahlungsmitteleigenschaft des Geldes hinsichtlich des Liquiditätsausgleichs bei Banken und schließlich dessen Funktion bei der Herausbildung eines allgemein akzeptierten Interbanken-Bonitätsstandards.

Pointiert ausgedrückt: Zentralbankgeld steuert die Geschäftspolitik von Banken. Kredit steuert die wirtschaftliche Aktivität der Privaten. Das Mißverständnis liegt darin, daß allgemein angenommen wird, daß eine Zentralbank das Volumen der Kredite direkt steuern würde, wofür die Theorie des Geld-Kredit-Multiplikators bzw. das ‚fractional banking‘ stehen. Dabei kann eine Zentralbank nur die Bonität der von den Banken vergebenen Kredite steuern, indem sie durch eine relative(!) Verknappung von Zentralbankgeld jede Einzelbank dazu zwingt zur Refinanzierung von Zentralbankgeldabflüssen auf dem Interbankenmarkt um Kredit nachsuchen zu müssen.

Die Entwicklung der Zahlungs- bzw. Liquiditätsausgleichstechnologie erzeugt Motivationsstrukturen bei den Geschäftsbanken, die sich durch die alleinige Zuschreibung an Geld, lediglich als Tauschmittel zu dienen, nicht erklären lassen. Denn das Liquiditätsmanagement der Geschäftsbanken ist nicht nur ein Motivationsfaktor um Refinanzierungskosten zu sparen, sondern erzeugt den Zwang für jede Geschäftsbank auf die Bonität der anderen Geschäftsbanken achten zu müssen. Das heißt aber, daß die Einschätzung über die Bonität der Korrespondenzbanken zu einer unabdingbaren Leitlinie der Geschäftsbankenpolitik wird. Die Geschäftsbesorgung Zahlungsmittelverkehr bzw. die daraus folgende zentrale Bankenfunktion „Sicherung des Liquiditätstatus“ wird damit zu einer sozialen, reziproken Interbanken-Überwachungsfunktion, was die Bonität des Aktivportfolios jeder Bank angeht. So wird auf einmal der Effizienzaspekt der Geschäftsbankenpolitik Refinanzierungskosten zu sparen auf einmal zu einem Steuerungsfaktor, den eine Zentralbank dazu verwenden kann, um einem Bankensystem einheitliche Bonitätsstandards anzuerziehen! Damit wird die Trennung von Geld und Anspruch auf Geld (Sichtforderungen) zu einem währungspolitischen Parameter, welcher sich nicht erschließt, wenn Schuldverhältnisse von Geschäftsbanken unbesehen auch zu „Geld“ gerechnet werden.

Der Umstand, daß Geld Schulden ausgleicht und somit Banken – als Schuldner der von ihnen selbst erzeugen Verbindlichkeiten – stets zu einer Liquiditätssicherung zwingt, zieht die Grenzlinie zwischen einer Tauschmitteltheorie des Publikums im Gegensatz zu einer Liquiditätssicherungstheorie der Banken durch die Funktion von Zentralbankgeld als Ausweis von Zahlungsfähigkeit. Dabei ist das Phänomen, daß Geld auch zu Zahlungen verwendet wird, so gesehen ein Anachronismus – Bestrebungen zur Abschaffung des Bargeldes sind mittlerweile vielfältig vorhanden. Jedoch ist nach vorstehenden Ausführungen selbst bei einer kompletten Abschaffung des Bargeldes die Existenz von Zentralbankgeld dennoch erforderlich, weil auch dann die Frage des Ausgleichs von Interbankenforderungen an den geltenden Zahlungsmittelstandard gebunden bleibt, mithin Zentralbankgeld als Ausweis von Zahlungsfähigkeit unmittelbar unabdingbar ist.

Die Tauschmittelaufgabe des Geldes mag zwar historisch primär zu der Metafunktion des Geldes, der Etablierung von Tendenzen zu einem einheitlichen Bonitätsstandard, sein. Dessen Akzeptanz bedeutet jedoch anzuerkennen, daß die Entwicklung der Zahlungstechnologie in Verbindung mit der Ökonomisierung des bestehenden Zahlungsmittelvolumens einen neuen Sachverhalt schafft, der im Gegensatz zu der Theorie des Tauschmittels als emergente Erscheinung der modernen Finanzwirtschaft gesehen werden muß. Und nun wird es schwierig…

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