Die Geschichte rund um die Beziehung von Investition und Sparen hat eine lange Geschichte und war oft Gegenstand hitziger Debatten. Das Witzigste was zur Motivation von Investitionen aufgrund einer Entscheidung zum Sparen herangezogen wird (in dem Sinne, daß die Ersparnis der Investition vorausgeht), sind stets die Robinson Geschichten, welche motivieren sollen, daß sich die Produktivität einer Ökonomie nur durch die sogenannte Mehrergiebigkeit der Produktionsumwege erreichen ließe. Aus dieser Argumentationsfigur wird dann geschlossen, daß die Aktivitäten zur Produktion eines Kapitalgutes die volkswirtschaftliche Ersparnis sei. So weit so gut, das kann man ja machen, so wie die Austrians es tun die stets davon schwadronieren, daß dann, wenn „Kapitalgüter“ produziert werden, eine Zeit angebrochen ist, in der man nicht konsumieren kann – also hungern muß. Möglicherweise haben die da die Phase der industriellen Revolution im Sinn, wo die Industrialisierung mit dem Elend von Millionen von Arbeitern einherging. Sklaverei ist sicherlich eine Methode, um zu Wohlstand zu kommen – allein es löst nicht das funktionelle Problem, welches darin besteht, wie man selbst unter Ausbeutungsbedingungen zu einem Gewinn kommen kann, weil die Frage des Mehrwerts (= Mehrergiebigkeit der Produktionsumwege) sich nicht automatisch in persönlichen Wohlstand verwandeln läßt.
Die Entwicklung der Vorstellung, warum Investition eine Folge des Sparens sein soll und automatisch mit der Anschaffung von Kapitalgütern assoziiert wird, muß man unter Auslassung des Robinson-Märchens in Etappen darstellen, weil sich sonst die dahinterstehenden Theorien nicht identifizieren lassen.
A) Die klassische Version behandelt I und S als Einheit und ist eine Konsequenz dessen, was das Grundkonzept der allgemeinen Gleichgewichtstheorie beinhaltet. Dort verfügen die Haushalte über die in ihrem Eigentum stehenden Ressourcen, indem sie diese den Unternehmen für die Produktion überlassen. Das liegt im Wesentlichen an dem Umstand, daß in dieser Welt die Haushalte ihre Entscheidung zwischen Konsum und Nicht-Konsum fällen und damit von vornherein alles was die Unternehmen als Produktionsmittel verwenden definitionsgemäß der Nicht-Konsum der Haushalte ist, also ihre Ersparnis. Damit ist eine Differenz von dem, was die Haushalte den Unternehmen an Ressourcen übertragen zu dem, was die Unternehmen zur Investition einsetzen von vornherein nicht einmal denkbar. Der Charakter dieser „Ersparnis“ als Nichtkonsum beleuchtet sehr schön den Umstand, daß die angeblich erforderliche Enthaltsamkeit diese Ressourcen nicht zu konsumieren, letztlich nur das puritanische Weltbild illustriert, wo die Erlösung für die Schwernisse der Gegenwart in einem aufgeschobenen Konsum liegt.
(Interessanterweise gilt diese Entscheidungssituation auch für einen Haushalt, der nichts weiter anzubieten hat als seine Arbeitskraft. Denn dieser entscheidet sich halt zwischen dem Konsum von Freizeit und eben dem Nicht-Konsum von Freizeit. Da aber Freizeit als ein Gut definiert wird, welches mit einem positiven Grenznutzen in die Nutzenfunktion eingeht stellt sich der – mehr oder weniger – kuriose Effekt ein, daß ein Arbeitsloser per definitionem einen positiven Nutzenwert aus der Vermeidung des „Arbeitsleides“ zieht, indem er „Freizeit“ konsumiert, auch wenn er dabei verhungert. Man mag eine derartige Argumentation für idiotisch halten, dennoch ist sie Teil der konventionellen Theorie des Arbeitsmarktes – aber das nur am Rande.)
Wichtig an dieser Stelle zu betonen ist der Umstand, daß es sich hierbei um reale! Ressourcen handelt und in keiner Weise um Geld. Dieses Defizit wird meistens dadurch beschönigt, daß behauptet wird, daß es sich schließlich um die „wahre“ Ökonomie handeln würde und somit auf diese Weise die ehernen Grundsätze der Wissenschaftlichkeit eingehalten würden.
A1) Damit diese Story nicht allzu albern klingt wird dann das Geld als Tauschmittel eingeführt, was dann mit Hilfe der Quantitätstheorie und der darauf aufbauenden primitiven Banktheorie zu der Version führt, daß die Geldersparnis den Konsumverzicht der Haushalte reflektiert, dem automatisch die nicht konsumierten Ressourcen entsprechen. Diese Banktheorie erzeugt dann die unsägliche Vorstellung, daß Banken die Ersparnisse (Nichtkonsum!) von Haushalten an die Unternehmen weiterleiten würden und sich so durch den Zinssatz (als negatives bzw. positives „Anreizmittel“) Investition und Ersparnis zum Ausgleich bringen ließen. Im Grunde ist Geld in dieser Theorie lediglich ein homomorphes Abbild dessen, was von der Grundtheorie als wahre Vision des ökonomischen Prozesses bereits „unverrückbar“ vorformuliert worden ist. Aus diesem simplen Analogschluß (von Gütern bzw. von Ressourcen auf Geld) zieht eine ganze Wissenschaft den Schluß, daß das Geldystem lediglich ein Schleier wäre, der bloß den Blick auf die „wahren“ ökonomischen Realitäten verstellen würde. (Man mag es kaum glauben, daß diese primitiven Vorstellungen es tatsächlich geschafft haben, das einzige „Wissenskorsett“ in ökonomischer Hinsicht zu werden, was sich auch daran zeigt, daß derartige Argumentationsmuster täglich über den Nachrichtenticker gehen und dann auch noch als „gesichertes Wissen“ präsentiert werden. Sancta simplicitas!)
B) Die zweite Beziehung zwischen I und S entspringt der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, wo auf einer monetären Grundlage die (Netto-) Investitionen durchaus richtig als Identität zu der volkswirtschaftlichen Ersparnis definiert werden (wobei an dieser Stelle eine Betrachtung über die Kausalität der beiden Variablen unterbleibt). Dabei ist zu beachten, daß die volkswirtschaftliche Finanzierungsrechung (als Teilbereich der VGR) durchaus sieht, daß die monetäre Ersparnis ein Reflex des (Netto-) Kreditvolumens ist. Immerhin ist dieser Begriff der Ersparnis von dem Begriff der Ersparnis aus A) fundamental verschieden, weil bereits an dieser Stelle Ersparnis als Differenz von monetären Bruttoinvestitionen einerseits und Abschreibungen (Kredittilgungen) andererseits definiert wird. Diese Version von Ersparnis stellt darauf ab, daß Ersparnis als Phänomen der Differenz von Bruttoinvestition und Abschreibung (+/- Finanzierungssaldo) daraus resultiert, daß monetäre Größen darüber entscheiden, was in einer Gesellschaft als (monetäres) Erfolgskriterium entscheidend ist. Aber auch wenn die VGR durchaus wichtige Erkenntnisse über diese Beziehungen liefert, bleibt dennoch der intertemporale Aspekt der Kreditverhältnisse in letzter Konsequenz unadressiert. Darüberhinaus ist in der VGR die Bruttoinvestition definiert als ein Zugang des Sachvermögens, so daß auch hier wieder der Vorstellung gehuldigt wird, daß Investitionen direkt mit der Bildung von Sachkapital verbunden seien.
C) Sobald man anfängt Ökonomie als ein Phänomen von Geldströmen zu sehen wie es in der Tradition eines M. Copeland noch bekannt war, muß man sich auch den Bedingungen stellen, die sich aus der Existenz von Geldvermögensbeständen ergeben. Das hat den kuriosen Effekt, daß monetäre Ersparnis, die nur sinnvoll definiert werden kann, wenn ein Wirtschaftssubjekt über Nettogeldvermögen verfügt, von vornherein ein Reflex der Ausgabeentscheidungen der Unternehmen ist, und damit nicht mehr als eine souveräne Entscheidung der Haushalte interpretiert werden kann, wie es das Grundmodell der liberalen Ökonomie postuliert.
Das hat was damit zu tun, daß die Bildung von Nettogeldvermögen essentiell daraus resultiert, daß ein Wirtschaftssubjekt eine Geldzahlung aufgrund einer realen Leistung erhält – prototypisch dafür steht die Einkommenserzielung aufgrund des Verkaufs von Arbeitsleistung. (Die zweite Art der Erzielung von Nettogeldvermögen steht nur Unternehmern zur Verfügung – der Überschuß der Erträge über die Aufwendungen. Dabei darf man nur nicht Umsatz mit Gewinn verwechseln – auch volkswirtschaftlich gesehen nicht! Das passiert immer dann, wenn unbesehen der Spruch präsentiert wird, daß die Ausgaben des Einen doch das Einkommen des Anderen sei – darüber muß man sich aber an dieser Stelle nicht aufregen.)
Diesen Aspekt des Wirtschaftslebens hat die konventionelle Wirtschaftstheorie noch nicht realisiert, weil immer noch die Vorstellung vorherrscht, daß Ersparnis stets einen realen d.h. materiellen Hintergrund haben müßte. Dabei entsteht das Mißverständnis aus dem Umstand, daß die konventionelle Wirtschaftstheorie Investition stets in „realem Kapital“ sieht und nicht in dem, was tatsächlich Investition bedeutet. Dazu kann man sich ein meist mißverstandenes Diktum in Erinnerung rufen, daß auch und insbesondere reale Investitionen letztlich vorgetane Arbeit sind. Nimmt man das ernst bedeutet das schlichtweg, daß man nur in Arbeit investieren kann, weil auch die Preise (Kosten) von Maschinen sich aus einer Kombinationskette von Arbeitsleistungen zusammensetzen.
An dieser Stelle wird das Versagen der ‚mainstream‘-Ökonomie deutlich: sie kann aufgrund ihrer epistemologischen Selbstbeschränkung nicht erkennen, daß Investition stets und immer Investition in (vorgetane) Arbeitsleistungen bedeutet. Das mag sich zwar ein bißchen marxistisch anhören, ist es aber nicht! Denn der intellektuelle Widerspruch ist nicht akzeptieren zu wollen, daß reale Investitionsgüter immer durch den Einsatz von Geld bzw. durch die durch Geld zur Erzeugung von Investitionen gesteuerte Arbeit erst geschaffen wird. Etwas Anderes zu behaupten bedeutet einen 200jährigen Irrtum zu pflegen, der die Ökonomie in das Desaster geführt hat, in dem sie sich gegenwärtig befindet!
Der zentrale Widerspruch liegt in der Verwechslung von natürlichen Ressourcen mit Realkapital: das Erstere betrifft die Wirtschaftsweise, die Arbeit zur Erzeugung von Wohlstand instrumentalisiert, während das andere einen (Real-) Fetisch darstellt, welcher bis heute dafür verantwortlich ist, daß die Ökonomie nicht über das Stadium einer Prätheorie hinausgekommen ist, weil sie nicht akzeptieren will, daß auch Realkapital aus einer Kette von Arbeitsleistungen entstanden ist. Wenn man irgendwo ein gutes Beispiel für den Begriff „Hypostasierung“ braucht – hier findet man ihn, weil hier zum wiederholten Male ein Phänomen für den Inhalt angesehen wird. Nicht zuletzt deswegen wird heutzutage die Investiton in Realkapital als produktivitätsfördernd gefeiert, während Arbeit stets als zu minimierender Kostenfaktor interpretiert wird. Blöder gehts nicht!
Man kann es auch anders ausdrücken: Investition ist Geldverwendung für Arbeit, nicht für Maschinen, die letzten Endes durch Arbeitsleistungen und dementsprechende Kosten geschaffen wurden! Ein Kalecki hat das noch gewußt! Dabei ist die Gedankenkette ganz einfach: der Kauf einer Produktionsanlage bei dem Produktionsmittelhersteller führt dazu, daß er dadurch den Erlös seiner Produktionsmittelkosten (Abschreibungen bzw. Kredittilgung), sowie seine Lohnkosten bezahlen muß und hoffentlich noch einen Gewinn realisiert. Dieser Prozeß – die Produktionskette noch ein paar Stufen weitergedacht – führt dazu, daß man im Endeffekt bei reinen Lohnkosten ohne nennenswerten Kapitalkostenanteil landet und sei es bei den unter menschenunwürdigen Bedingungen schuftenden Lohnarbeitern, die z.B. Coltan für die Smartphone-Produktion aus dem Boden kratzen müssen.
Das noch schlimmere Desaster der ‚mainstream‘-Ökonomie besteht daraus, daß diese Vorstellung von Sparen als Konsumverzicht auch noch unbesehen per Analogschluß nicht nur auf die Tauschmittel-Geldwirtschaft, sondern auch auf die Kreditgeldwirtschaft übertragen wird und zwar mit fatalen Konsequenzen. Denn diese Vorstellung bedeutet in der Konsequenz, daß der Sinn und Zweck von geldorganisierter Produktion, deren zentrale Aufgabe darin besteht, aus natürlichen Ressourcen (‚from scratch‘) etwas Reales zu schaffen, nicht mehr gesehen wird. Dabei ist geldorganisierte Produktion davon geprägt zusätzliche (Arbeits-) Prozesse in den gesellschaftlichen Zusammenhang der Arbeitsteilung mit einzubeziehen, ein Prozeß, der sich stets und ständig in sich entwickelnden Ökonomien abspielt. Daß das von der konventionellen Ökonomie nicht gesehen werden kann! liegt daran, daß in dieser Welt die zur Verfügung stehenden Ressourcen stets voll ausgelastet sind – und das auch dann, wenn die Wohlfahrt dieser Gesellschaft zum großen Teil darin besteht, daß die Haushalte eben Freizeit konsumieren. Denn auch das ist letztlich ein sogenanntes wohlfahrtsökonomisches Optimum!
Aber genug der intellektuellen Kuriositäten! Wenn man die Robinson-Welt verläßt und sich ansieht, wie die heutige Welt aussieht, stellt man fest, daß das, was die volkswirtschaftliche Statistik als Ersparnis definiert, ein Derivat der Investitionsentscheidungen der Unternehmen ist, denn alles was – wohlgemerkt – monetäre Ersparnis sein kann ist ein Ergebnis der Verschuldung von Unternehmen, deren Motivation daraus gespeist wird einen monetären Gewinn zu erzielen. Soweit man das Problem der Staatsverschuldung einmal beiseite läßt, besteht die gesamte monetäre! Ersparnis einer Gesellschaft aus offenen Kreditlinien, die aus (unternehmerischen) Schulden resultieren und sonst nichts. Das liegt halt daran, daß es zu einem Nettogeldvermögen nur dann kommen kann, wenn ein Kreditnehmer Nettokäufe vornimmt, welche mit einer buchhalterischen Konsequenz als Nettogeldvermögen eines davon begünstigten Wirtschaftssubjektes führen – und zwar ohne wenn und aber! Aber das ist ja schon wieder keine Ökonomie… weil damit die Idiotie des methodologischen Individualismus nicht adressiert wird…