Normalerweise ist ja Ambrose Evans-Prichard (wo hat der eigentlich den Doppelnamen her?) ungefähr so sachlich und neutral wie die ehemalige DDR-Postille „Neues Deutschland“. Aber wenn er nicht aufpaßt, rutscht ihm doch mal etwas Sinnvolles heraus:
„Germany’s ESM share is capped at €190bn, so what happens if Spain and Italy are forced to step out of the rescue machinery because they themselves are in too much trouble to fund the mechanism?
The Court made it clear that Germany will not automatically pick up the slack.“
Der entsprechende Twitter-Sprech: s.o.
Was dann passiert ist klar: der ESM kann dann nicht seinen vorgesehenen Umfang von 750 Mrd. € erreichen, es sei denn, der Bundestag und -rat usw. stimmt einer diesen Ausfall kompensierenden Erhöhung des Haftungsbetrages zu. Das führt natürlich zu einer lustigen Situation, wenn eine Erhöhung des Haftungsbetrages damit begründet werden muß, daß ein Haftungsträger seine Haftungsaufgaben nicht wahrnehmen kann und deswegen die verbleibenden Haftenden ein entsprechend höheres Haftungsvolumen beschließen müssen. Ich freue mich schon auf die kreativen Darstellungen, warum derartige „alternativlose“ Beschlußvorlagen „einen wichtigen Beitrag zu einer gemeinsamen Rettung des EURO“ sein sollen. Well: gemeinsam kann man auch allein sein, schon lustig!
Das sind aber noch die harmlosen Aspekte.
Ärgerlich wird der aktuelle Richterspruch deswegen, weil die jüngst erweiterten Kriterien für einen Aufkauf von Staatsanleihen durch die EZB offensichtlich auf der Abschußliste des Bundesverfassungsgerichts stehen. Denn was für Richter in Frage steht ist nicht, ob ein gegenwärtiger EZB-Präsident eine kreative Begründung dafür hat, weshalb die EZB einen Kauf von Staatsanleihen vornimmt, sondern ob der Vorgang des Kaufs an sich bereits eine Überschreitung der vertraglichen Kompetenzen der EZB darstellt.
„An acquisition of government bonds on the secondary market by the European Central Bank aiming at financing the Members’ budgets independently of the capital markets is prohibited as well, as it would circumvent the prohibition of monetary financing.“
Das heißt im Klartext, daß auch Käufe von Staatsanleihen der EZB auf dem „Sekundärmarkt“ verboten sind. Offenbar haben die Richter die Nase voll davon, daß unter dem Deckmantel der „Unabhängigkeit der EZB“ inzwischen Dinge passieren, welche durch die EU-Verträge in keiner Weise gedeckt sind. Die Drohung ist damit offensichtlich: sollte sich die Bundesregierung nicht langsam dazu durchringen, die EZB/ESM-bedingten potentiellen Haftungsrisiken durch klare Ausschlußklauseln hinsichtlich einer möglichen Haushaltswirksamkeit abzuwenden, würde das Bundesverfassungsgericht dazu übergehen müssen, die – in Bezug auf die Handlungen der EZB – permissive Handlungsweise der Bundesregierung als nicht verfassungskonform zu rügen! Das sieht aus wie eine Einladung an die Kläger, ihre Klageschriften auf die richtigen Punkte auszurichten.
Man kann es aber auch andersherum sehen: die Richter haben mit ihrem gestrigen Spruch der Bundesregierung in ihren Bemühungen, die Staatsanleihenkäufe der EZB zu verhindern, den Rücken gestärkt, indem sie latent die Mitgliedschaft im EURO in Zweifel gezogen haben. Denn auch wenn die Meinung vorherrscht, daß das Urteil im Hauptsacheverfahren keine größeren Änderungen erbringen werden, läßt sich dennoch absehen, daß die Richter in Bezug auf eben diese Staatsanleihekäufe sich eine juristische Schranke einfallen lassen werden, welche deren „Unbegrenztheit“ wiederum beschränkt. Das könnte zu einem späten Erfolg Gauweilers führen, dessen Eil-Eilantrag zwar im Höchsttempo abgeschmettert wurde, was im Umkehrschluß ja nicht heißt, daß damit nicht ein justiziables Thema berührt würde.
Es scheint so, als würde der Vorstoß der EZB hinsichtlich der angekündigten OMTs vom vergangenen Donnerstag vom Bundesverfassungsgericht wieder kassiert werden. Wenn man so will kann man das auch als eine Stärkung der Bundesbank sehen, die den EZB-Kurs schon lange nicht mehr mitträgt. Die Definition dessen, was die EZB als mit ihrem Mandat als vereinbar ansieht, dürfte vor den juristischen Argumenten des Bundesverfassungsgerichtes letztlich zerplatzen. Der Punkt bleibt spannend, es wird ja schon spekuliert, ob das Bundesverfassungsgericht (resp. die Bundesregierung) die EZB wegen der OMTs vor den EuGH zitiert.
Und nun? Bringt dieser ganze Zauber etwas hinsichtlich der Lösung der Haushalte-/ Banken-/ Staatenschuldenkrise? So richtig nicht, denn was damit festgeklopft wird ist die Troika-Austerität, deren segensreiche Wirkungen man in den betroffenen Ländern vergeblich sucht. Das ist jedoch nur der kurzfristige desaströse Aspekt, denn auf der anderen Seite könnte man erkennen, daß säkulare finanzpolitische Entwicklungen – um die es sich bei der „Multipolaren Schuldenkrise“ handelt – nicht mit albernen „Strukturreformen“ bewältigt werden können. Denn wenn es um Finanzfragen geht muß man auch eine adäquate Antwort drauf haben. Wie man weiß, kann man als Schuldner eine fällige Zahlungs nicht durch die Lieferung einer Gütermenge substituieren.
Insofern ist auch der Jubel der Politik über die Errichtung des ESM ein bißchen verfrüht. Denn welches Problem wird damit gelöst, die Handlungsfreiheit der EZB mit Hilfe verfassungsrechtlicher Gründe zu beschränken? Lag nicht auch ein wesentlicher Grund für den ESM darin, die Spekulation an den Finanzmärkten mit bonds einzudämmen? War nicht die EZB der letzte Joker, wenn es um die Abwendung von Refinanzierungskrisen – sowohl bei Banken, als auch bei Staaten – ging (LTRO)? Man wird den Eindruck nicht los, daß die schwäbischen „Sparvorschriften“ der Richter wieder diejenigen Effekte hervorbringen, die mit der Ankündigung der EZB hinsichtlich der Durchführung „unbegrenzter“ OMTs als beherrschbar gegolten haben.
So wird auch der Jubel der Finanzmärkte verständlich, denn sie haben nicht deswegen gejubelt, weil eine Lösung für das EURO-Überschuldungsproblem in Sicht ist, sondern weil es in der EURO-Zone jetzt wieder mit Spekulation was zu verdienen gibt! Wozu schwäbische Sparsamkeit doch alles gut ist!