Die Story, welche die Funktionsbedingungen des Geldes im Kreditgeldkapitalismus beschreiben kann, läßt sich anhand einer merkwürdigen Geschichte aufzeichnen, die die Differenz von Geld und Gold in besonderer Weise akzentuiert.
Was ist das Problem, wenn Jesse James einen Bankraub plant und nicht konkret bestimmen kann, wieviel Beute zu erwarten ist. Jeder Kenner der Western Materie wird wissen, daß das Ergebnis der gemeinsamen Bemühungen nur auf eine Weise zwischen den Beteiligten verteilt werden kann: es wird eine Quote festgelegt, die jedem einen bestimmten Anteil an der Beute in Aussicht stellt. Denn je nachdem wie hoch die Ausbeute an – üblicherweise – Gold ausfällt ist der Anteil des Einzelnen höher oder niedriger ~ sofern der einzelne Teilnehmer dieser Aktion diese auch überlebt.
Was passiert nun, wenn der Bankraub halbwegs seinen erwarteten Erfolg hatte und es nun um die Verteilung des gemeinsamen Ertrages geht? Die Anzahl der erbeuteten Goldstücke stellt den verteilungsfähigen Bestand dar, der nunmehr gemäß des vorab ausgehandelten Verteilungsschlüssels den anspruchsberechtigten Überlebenden zugerechnet wird. Nehmen wir mal an, daß es keinen Streit gibt (ja ist unrealistisch, aber trotzdem): die Verteilung der Goldstücke sieht aus wie eine Zahlung für die Leistung „Teilnahme an Bankraub“, ist aber in diesem Sinne keine. Denn in dieser Transaktion ist die Übergabe des Beuteanteils gleichbedeutend mit der Übergabe einer Ware, während die Erlöschung des ausgehandelten Anspruchs des Einzelnen dasjenige darstellt, was die Zahlung zum Erwerb einer Ware darstellt. Denn eine Zahlung im geldtheoretischen Sinne ist dadurch charakterisiert, daß damit eine Schuld gelöscht wird, die in diesem Fall aus der Verpflichtung von Jesse James besteht die gegen ihn gerichteten Forderungen durch die Übergabe des vereinbarten relativen Warenanteils zu erfüllen.
Das Wesentliche was zu der Verbindung zu Geld führt ist, daß der Anspruch z.B. 10% der Beute, erst durch das konkrete Ergebnis des Raubzuges materialisiert wird. Denn erst durch diese Materialisierung (die im Vorfeld lediglich erwartet! werden kann) wird der entsprechende Anspruch zu einem realen Wert. Das kann man auch ganz profan dadurch ausdrücken, indem man Geld (interpretiert als Anspruch auf ein gemeinsames Projektergebnis) als relatives Maß des Bankraubes erkennt, welches den Output der gemeinsamen Aktivität in Beziehung zu dem individuellen Input (Pferd, Sattel, Colt oder wahlweise Winchester, Kugeln und persönliche Existenz) setzt. Genau das ist es nämlich, was eine Preiskalkulation macht, indem die Kosten auf das Produktionsergebnis aufgeteilt werden – nachdem das Produktionsergebnis feststeht. Was man nur sehen muß ist, daß die 100% der Kosten (=Ansprüche) auf das Ergebnis der „Produktion“ aufgeteilt werden und somit die ‚a priori‘ nicht definierbaren bzw. mengenmäßig konkretisierbaren realen Ansprüche in abzählbare Ansprüche auf Waren (nein, nicht Güter) übersetzt werden.
Was an dieser Konstellation so interessant ist, ist der Umstand, daß sich hier vermeintlich zwei Geldkonzepte kreuzen, die nicht miteinander vereinbar scheinen, denn die Vorstellung von Gold als Geld beißt sich mit der institutionalisierten Konzeption, Geld als Anspruchsgefüge innerhalb sozialer Beziehungen zu interpretieren. Das ist dann kein Widerspruch, wenn Gold als die zu liefernde Ware angesehen wird – die es auch ist -, während Geld die Anspruchsbeziehung darstellt, welche die Verpflichtungen zwischen Personen begründet oder eben auflöst. Im Gegensatz zu Marx, der darüber nachgedacht hatte, daß das gesellschaftliche Verteilungsproblem durch Stundenzettel nicht zu lösen sei, da es sich hierbei um ein absolutes Maß der Produktion handelt, weil von der Grundidee her sich auf dem Markt Äquivalente austauschen (weil die Waren in Stundenzetteleinheiten bewertet werden sollten), kann man demgegenüber dennoch zu einer Lösung kommen, indem man dazu übergeht die Ansprüche relativ! zu formulieren. So könnte Jesse James die Anspruchsberechtigungen derart ausgestalten, daß er den einzelnen Beteiligten den Anspruch auf z.B. 10% der Beute schriftlich ausstellt, der bei Einlösung (wie bei einem Lagerschein) wieder ausgehändigt werden muß, um die Anspruchsberechtigung zu beweisen. (Daß ein solcher Beweis erst dann notwendig wird, wenn die soziale Gruppengröße anfängt unübersichtlich zu werden muß an dieser Stelle nicht stören.)
Was man an dieser Stelle verstehen kann ist der Umstand, daß dieser 10%-Schein die Vorstufe zu sozialen Beziehungen darstellt, die über abstrakte und relative Ansprüche geregelt werden, denen aus der Konstruktion der Beziehung heraus ein absoluter Wert oder eine konkrete Menge an Sachgütern nicht zugerechnet werden kann. Letzteres liegt daran, daß die Zukunftsunsicherheit (Keynes) darüber, was das Ergebnis der sozialen Anstrengung konkret sein wird, eine direkte Assoziierung von gegenwärtigem Anspruch und zukünftigem Gegenwert schlichtweg verbietet!
Daß diese Verabstraktierung (Hypostasierung) von Verpflichtungen dann auch in einer zweiten höheren Abstufung zu dem gegenwärtigen zweistufigen Geldsystem führt, sei an dieser Stelle nur am Rande angemerkt. Aus dieser Sichtweise folgt allerdings bereits unmittelbar, daß jegliche Vorstellung einer „Gesellschaft ohne Geld“ oder ein „Geld ohne Schuld“ davon ausgeht, daß eine Gesellschaft ohne Verpflichtungsbeziehungen existieren könnte – na dann viel Spaß! Mal abgesehen davon, daß Adam Smith sein Konzept der Arbeitsteilung einstampfen könnte, welches in der Form von Unternehmen, in denen einander unbekannte Personen miteinander arbeiten im Laufe der Geschichte zu dem Wohlstand geführt hat, der zumindest in den Industrienationen (partiell) neidlos konstatiert werden kann.
Die Lehre aus dieser Geschichte ist, daß Geld alias soziale Verpflichtungsrelation nicht durch eine reale Entität substituiert werden kann und deswegen alle Versuche, dem Geld eine reale „Deckung“ anzuhängen scheitern müssen – alle, bis hin zur Quantitätstheorie, deren reziprokes Preisniveau sich auch nur als Wareneinheit entpuppt, was sich nach kurzem Nachdenken wie von selbst ergibt!
Fazit: die Substanz von Geld sind soziale Verpflichtungsrelationen und keine konkreten Gegenstände! Deswegen heben sich auch Forderungen und Verbindlichkeiten gesellschaftlich gesehen auch auf, und zwar nicht nur manchmal, sondern immer! Auch auf den lustigen „Finanzmärkten“.