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Hommage für Kruschwitz

Nun, so eine Hommage, wie man sie kennt und üblicherweise fürchtet, wird das hier nicht. Das sollen ruhig diejenigen machen, die sich dafür für besonders prädestiniert halten. Die Ehrerweisung, die sich hier wiederfindet beruht auf einer Aussage, die man getrost als die zentrale Definition eines geldwirtschaftlichen Systems ansehen kann. Es handelt sich hierbei um den Satz über die Investition:

„Eine Investition ist eine Zahlungsreihe, die mit einer Auszahlung anfängt!“

Der Charme dieser eigentlich so nüchternen Aussage liegt darin, daß sie das Grundmuster des geldwirtschaftlichen Prozesses adressiert und sich nicht mit irgendwelchen schöngeistigen Erwägungen aufhält, wie denn die Wertverhältnisse das Auf und Ab des „Weltprozesses Ökonomie“ beeinflussen würden oder vielleicht auch nicht. Die Qualität dieser Aussage begründet sich daraus, daß sie es ermöglicht die Opposition gegenüber dem werttheoretischen Paradigma in besonderer Weise zu akzentuieren, wodurch es möglich wird darüber den gnädigen Mantel des Vergessens auszubreiten und den gewissermaßen „harten Kern“ der Geldwirtschaft herauszuschälen. Mit diesem Grundansatz tritt das geldwirtschaftliche Prinzip, daß es zu einem Überschuß der (Perioden-)Erlöse über die der betrachteten Periode zugerechneten Kosten kommen muß, in seiner ganzen Nüchternheit zu Tage. Wie man weiß ist das Erfordernis des (vermeintlichen) Mehr-Geld von Marx zwar aufgegriffen, aber der Nachwelt dann als ungelöstes Problem hinterlassen worden. Die Antwort darauf ist hier in dem Beitrag:

https://soffisticated.wordpress.com/2013/11/04/dynamische-einsichten-zu-geld-und-zins/

erläutert worden, so daß ein Verweis darauf an dieser Stelle genügt.

Und auch wenn in dem angegebenen Beitrag der Hinweis auf Kruschwitz bereits vorhanden ist, ist der eigentliche modelltheoretische Akzent, der seiner Vision von einer geldwirtschaftlichen Ökonomie in besonderer Weise entspricht, erst durch eine Veränderung des Erklärungsinhalts des oben angegebenen Modells entstanden. Der originäre Erklärungsanspruch bestand ja daraus, der vielkolportierten These entgegenzutreten, daß ja „der Zins nicht mit dem Kredit erschaffen werde“ und deswegen es zu exponentiell anwachsenden Kreditvolumina kommen müsse. Dann änderte sich das Erklärungsziel: zunächst ging es nur um die Frage, wie man in ein solches Modell eine Rückkoppelung der „Nachfragedifferenz“ mit der daraufhin erfolgenden Investition integrieren kann. Das führte dazu, daß die Notwendigkeit entstand eine Konstruktion zu finden, die nicht nur die Investition in ihrem Entstehungszeitpunkt abbildet, sondern auch den damit verbundenen zeitlich versetzten Folgeprozeß – die Zahlungsreihe. Dieser Folgeprozeß besteht namentlich aus den für die Laufzeit der Investition zu erbringenden Lohnzahlungen, sowie die Berücksichtigung der Kredittilgungsbeträge, denn nach der „Auszahlung“ sind ja die ausgezahlten Geldbeträge durch den Umsatzprozeß wieder „hereinzubekommen“. Die technische Lösung dieses Problems zeitversetzte Zahlungen in die Modellstruktur zu integrieren liegt darin „Zahlungsketten“ zu erzeugen, die nichts weiter tun, als die vorgesehenen Zahlungen zu dem vorgesehenen Zeitpunkt in das System zu übergeben. Abschreibung ist ja bei einem 10-periodigen Investitionsprozeß nichts anderes, als eine 10-malige Tilgung von 10% des Kreditbetrages (die fälligen Zinsen werden dabei aus dem Gewinn gezahlt und schmälern ihn dementsprechend).

Das Ergebnis dieser Modelländerungen wird durch die Modellgraphik skizziert: im Zentrum stehen die Bestandskonten, deren Ein- und Ausgänge die zeitliche Struktur definieren. Der zentrale Input dieser Bestandskonten ist die Investition, welche sich aus saldenmechanischen Gründen einmal als Zugang zu Verbindlichkeiten auf dem Unternehmenskreditkonto sowie als Zugang zum Haushaltskonto einerseits und dem „Ressourcen“-Konto andererseits wiederfindet. (Letzteres wird in erweiterten Modellkonstruktionen dann zur Produktion von Produktionsmitteln.) Jede Investition erzeugt für die Dauer ihres Bestehens zwei zeitlich gestaffelte Zahlungsreihen, welche sukzessiv die Bestandskonten verändern: zum einen die Lohnzahlung, die nach der Anfangszahlung aus dem Unternehmenskonto (aus dem Umsatzprozeß) erfolgt, zum anderen die Kredittilgung, die sowohl einen Abgang vom Kreditkonto als auch vom Unternehmenskonto bewirkt. Damit wird der Umstand in das Modell integriert, daß jede Investition einen zeitlichen Nachlauf hat, der ausgehend von der ursprünglichen Geldausgabe das weitere Procedere während der Laufzeit des Investitionsprojekts mitgestaltet und damit auch einen Folgeeinfluß auf nachgelagerte Perioden ausübt. (Das heißt natürlich nicht, daß es nicht auch noch weitere Zahlungsreihen geben könnte, welche mit einer Investition verbunden sind, aber um das geldwirtschaftliche Funktionsprinzip zu illustrieren genügt es sich auf zwei Zahlungsreihen zu beschränken.)

Der Rückfluß des ausgezahlten Geldes wird von der Summe der Konsumentscheidungen bestimmt, die dann als ‚effective demand‘ in einem Zuge die Unternehmenskasse wieder auffüllen. Der ‚effective demand‘ wird dann verglichen mit dem ‚money demand‘, der nichts anderes darstellt, als der periodisierte Aufwand, erhöht um einen ‚mark-up‘, der im Grunde eine Gewinnrate darstellt und (im Durchschnitt) dafür sorgt, daß die Periodenerträge höher sind als die periodisierten Aufwendungen, die hier aus Kapitalkosten, repräsentiert durch die fällige Kredittilgung, und Lohnkosten bestehen. Die Differenz zwischen dem unternehmerischen Erlösziel und dem realisierten Umsatz liefert dann als ‚demand gap‘ diejenige Einflußgröße, welche je nach Vorzeichen und Volumen eine Verringerung der Investition oder deren Erhöhung zur Folge hat.

Startet man nun das Simulationsmodell ergeben sich je nach gewählter Konstellation der Konsumparameter und der Sensitivität der Investition auf die Nachfragedifferenz natürlich unterschiedliche Verläufe, unter anderem auch der hier abgebildete Verlauf, welcher eine harmonische Einschwingung auf ein langfristiges Gleichgewicht suggeriert, obwohl diese „Kurven“ nur aus diskreten Einzelwerten sich ergeben. Aber – Ökonomie ist ja ohnehin keine stetige Veranstaltung, sondern durch Zahlungsoperationen geprägt, die halt nur von Zeit zu Zeit stattfinden. Man kann diesen Verlauf auch im Grunde in den Graphiken zum Einkommensmultiplikator erblicken, wo ja bei gegebener Steigung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage einen iterativer Prozeß zum Gleichgewicht beschreiben wird – und zwar von oben und unten. Die Geschichte sieht dabei bekanntermaßen etwa so aus:

Zu beachten ist an dieser Stelle jedoch, daß das Einschwingen auf einen Gleichgewichtspfad mit einem Über- bzw. Unterschießen einhergeht, was durch den Nachlauf, den jede einzelne Investition erzeugt begründet ist, so daß der entsprechende Verlauf schematisch in etwa so dargestellt werden müßte:

Das Interessante dabei ist, daß diese konvergenten Schwingungen bei simplen Konsumfunktionen – hier mal mit einem Parameter von 0,8 vorgegeben – entstehen, während die Reaktionsfunktion der Investition zwar wie eine ertragsgesetzliche Kurve aussieht, die relevanten Werte jedoch weitgehend im „linearen“ Teil dieser S-Kurve angesiedelt sind. (y = f(x) bedeutet: investment = f(demand gap) )

Wie auch immer man nun im einzelnen die Spezifikationen setzt, entscheidend an dieser Modellkonstruktion ist, daß der zentrale Impulsgeber die Investition ist, ohne die das ganze System nicht ins Laufen kommt, die zwar den Variationen einer Einflußgröße folgt (letztlich sind es die erwarteten zukünftigen Erträge, die „nur“ bedingt, aber eben auch, etwas mit aktuellen Umsatzerfolgen zu tun haben), jedoch durch den Anfangsimpuls und den subsequenten Zahlungsreihen das Geschehen einer Geldwirtschaft maßgeblich bestimmt. Natürlich öffnet sich auch an dieser Stelle die Möglichkeit staatlicher Beeinflussung, so daß dem Drang nach Erweiterung des Modells keine Schranken gesetzt sind.

Von daher kann man die quasi-historische Formulierung von Kruschwitz nicht hoch genug einschätzen, ist sie doch das zentrale Leitbild eines (und auch dieses) Modells einer Geldwirtschaft, die sich durch die Fokussierung auf die monetäre Seite von Ökonomie von der Vorstellung befreit, daß es die individuellen Entscheidungen der Haushalte – namentlich die Entscheidung zu arbeiten oder eben nicht – wären, die für das Niveau der wirtschaftlichen Aktivität und deren konjunkturelle Schwankungen verantwortlich zeichnen würden. Eingebettet in ein dynamisches Modell einer monetären Ökonomie läßt sich dieses Bonmot als ein paradigmatischer Fingerzeig verstehen, wohin die intellektuelle Reise gehen muß, wenn man irgendwann zu einer befriedigenden alternativen Konzeptionalisierung von Ökonomie gelangen will, die nicht die gesamte Palette „heroischer“ Annahmen teilen möchte, wie sie für die Theorie des allgemeinen Gleichgewichts und deren Wurmfortsatz erforderlich sind.

Eine Skizze dieser paradigmatischen Überlegungen wurde hier vor einiger Zeit bereits präsentiert:

https://soffisticated.wordpress.com/2014/09/24/nachgedacht-monetare-markttheorie/

Darin heißt es:

Begreift man also Marktwirtschaft als ein monetäres System, dann handelt es sich hierbei um eine Rückkoppelungsschleife, bei der es einen unabhängigen Pol und einen abhängigen Pol gibt. Der unabhängige Pol ist die Seite der Investition, die abhängige Seite ist die Seite der Einkommensverwendung, weil diese erst entsteht, wenn investiert worden ist. Das heißt aber wiederum, daß auf der einen Seite die Investition die zentrale Bestimmungsgröße für das Einkommen darstellt und der Konsum damit mittelbar von der Investition abhängig ist, während andererseits die Geldnachfrage auf dem Warenmarkt (= der Markt zur Erwirtschaftung des Schuldendeckungsmittels) ebenfalls von der (zeitlichen Struktur der) Investition bestimmt wird.

Der entscheidende Unterschied zum Romantizismus des ökonomischen ‚mainstream‘ besteht darin, daß hier die Dispositionen über eine abstrakte Entität darüber entscheiden, wie hoch der Aktivitätsgrad in einer Ökonomie ist und nicht das Wertverhältnis von Hirsch und Biber (Adam Smith). Und ebenso muß das Konzept „Markt“ vom Kopf auf die Füße gestellt werden, indem herausgearbeitet wird, daß Geld als Maß des Erfolgs beide Pole eines geldwirtschaftlichen Systems bestimmt. Wenn man so will hat der Keynesianismus, der sich hauptsächlich auf den Pol der Geldnachfrage – also die Seite, auf der Waren eingesetzt werden, um Geld zu attrahieren – konzentriert hat, die Interaktion mit der Geldentstehungsseite vernachlässigt, dennoch aber es hinbekommen zumindest die eine Seite in eine breit kommunizierbare Form zu packen, die in direkte Konkurrenz mit dem „Fadenkreuz“ von Angebot und Nachfrage tritt. Im Unterschied zu der auf mikroökonomische Bedingungen beschränkten Konzeption von Angebot und Nachfrage wird hier von vornherein darauf Bezug genommen, daß es eine makroökonomische Budgetrestriktion gibt, die von Entscheidungen über das Eingehen von Geldkontrakten (mit den dadurch implizierten Zahlungsreihen) abhängig ist und damit von vornherein das Problem der Aggregation von Einzelentscheidungen nicht auftaucht. Demgegenüber ist natürlich festzustellen, daß auch Einzelentscheidungen in die Bestimmung des Volumens der effektiven Nachfrage eingehen, diese aber nur mittelbar auf die Entscheidungen des „Geldentstehungsmarktes“ zurückwirken. Im übrigen wird dann auch durch die Fokussierung der ökonomischen Entscheidungen auf Geld die Komplexität des „Weltprozesses Ökonomie“ in einer Weise dekomplexiert, daß sie für das Erfassungsvermögen von Entscheidern je nach ihrer Stellung im Gesamtgefüge handhabbar wird. Eine Konsequenz daraus ist, daß Einzelentscheidungen quasi-unabhängig getroffen werden und nicht mehr die heroische Vision aufrechterhalten werden muß, daß jedes Individuum über vollständige Kenntnis des (jeweils relevanten) ökonomischen Modells verfügen muß, um überhaupt handlungsfähig zu sein.

Insbesondere letzterer Aspekt ist deswegen bedeutsam, weil die Speerspitze gegen z.B. die global definierte Konsumfunktion darin bestand zu behaupten, daß Gesellschaften des liberalen Typus sich durch die Unabhängigkeit von Einzelentscheidungen definieren würden. Dabei ist die legendäre „Mikrofundierung der Makroökonomie“ letztlich nur dem Fehlglauben zu verdanken, die Summe individueller Aktionen könnte zu einer globalen Budgetrestriktion führen, die dann auf wundersame Weise den Wohlfahrtspostulaten (Pareto) genügen würde. Daß dabei jedes Individuum zu einem Laplaceschen Dämon konvertieren müßte, wurde zwar nicht dazugesagt, aber billigend in Kauf genommen. Im Gegensatz dazu operiert die hier präsentierte Version von Ökonomie mit einer beschränkten Rationalität hinsichtlich der Geldentstehungsseite (die direkte Rückkoppelung von einem Marktergebnis auf die Investition ist wie schon gesagt eine zu enge Fassung der Investitionsentscheidung) und mit der Vorgabe einer gesamtwirtschaftlichen Budgetrestriktion alias Konsumfunktion, welche den Individuen die Notwendigkeit erspart das gesamte ökonomische Geschehen für ihre Handlungen berücksichtigen zu müssen.

Verbleibt „nur“ noch die Frage, ob ein derartig strukturiertes System „von selbst“ zu einem Gleichgewicht findet – daß es gleichgewichtsfähig ist, wird durch den dargestellten Verlauf illustriert – oder ob es äußerer Einwirkungen, insbesondere von staatlicher Seite bedarf, um das Gesamtsystem zu einem nachhaltigen Entwicklungspfad zu dirigieren.

Nun denn, die Reise zum geldtheoretischen Paradigma kann fortgesetzt werden…

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Zwischen Pluralität und Paradigma

Nicht geschossener BockSeit einiger Zeit gibt es (mal wieder) studentische Proteste hinsichtlich der Ausgestaltung der universitären ‚curricula‘, die nach ihrer Auffassung zu der Diagnose führen, daß die ökonomische Lehre sich in einer Krise befinden würde. Das wird damit begründet, daß ja schließlich durch die ökonomische Ausbildung an den Universitäten die nächsten Generationen von Politikern geformt werden, deren Wissen ja auch den Zustand der zukünftigen Gesellschaft mitgestalten würde. Der zentrale Vorwurf geht dahin, daß die Verengung von Ökonomie auf ein einziges theoretisches Modell die Breite dessen, was die Anforderungen an Ökonomen angeht, nur in ungenügender Art und Weise adressiert.

So nachvollziehbar diese Position für viele, die in ihrem Leben Volkswirtschaftslehre studiert haben, auch sein mag, übersieht eine derartige Position doch einige Dinge, die ihrem verständlichen Frust über die universitäre Monotonie schlichtweg fehlen. Diese betreffen einmal die Interpretation des Wissenschaftsbetriebes als Serviceveranstaltung für Karrieristen, dann die vage Vermutung, Wissenschaft müsse doch an „Realitäten“ orientiert sein, um „realitätsnahe“ Aussagen treffen zu können und nicht zuletzt eine Ignoranz über die Bedeutung von Paradigmen, die ja das Potential haben, eine gesamte Wissenschaft in all ihren Facetten prägen und dominieren zu können.

Dieses Übersehen zieht sich im Grunde genommen durch das gesamte Manifest, so wird z.B. als neomoderner „Lösungsansatz“ vorgeschlagen, daß es zu einer Pluralität in der Lehre von ökonomischen Theorien kommen sollte. Was damit jedoch keineswegs automatisch verbunden ist, ist eine Erfüllung der naiven Erwartung, daß damit auch ein alternativer Theorieentwurf erzeugt werden würde, der einem bestehenden Paradigma eine Alternative entgegenstellen könnte. Weil das nicht selbstverständlich ist muß man nüchtern aus der Geschichte konstatieren, daß die „keynesianische Revolution“ ganz einfach durch das IS-LM-Modell erst integriert und nach der methodologiewidrigen und damit nicht wissenschaftlichen (aber dennoch erfolgreichen) Kampagne „Mikrofundierung der Makroökonomie“ dann völlig neutralisiert wurde. Das Ergebnis ist, daß heutzutage der „Keynesianismus“ nichts weiter darstellt, als eine um ein paar Friktionen angereicherte DSGE-Neoklassik.

Dieses Desaster spielt jedoch für die studentischen Bemühungen um eine „plurale Ökonomik“ keine Rolle, denn diese lassen sich eher von der Vorstellung einer „Schwarmintelligenz“ leiten, als von den nüchternen methodologischen Fakten des etablierten Wissenschaftsbetriebes. Das hat zur Folge, daß die Vermutung, die gewünschte Vielfalt würde ja schon die Existenz der Alternative umfassen, mit wehenden Fahnen in die Irre geht. Das zeigt sich sehr schön an dem Katalog der als lehrwürdig deklarierten Fachrichtungen. Dort finden sich zwar so „ehrwürdige“ Dinge wie feministische oder ökologische Ökonomik, ohne daß in irgendeiner Weise das eigentliche paradigmafähige Theoriefeld auch nur ansatzweise adressiert würde.

Der Hinweis auf die methodologischen Charakteristika von Orthodoxien und deren Durchsetzung findet sich im wesentlichen bei den Autoren Kuhn und Lakatos, deren Zentralthema der Charakter bzw. die Durchsetzung von Paradigmen war. Kurz gesagt geht es dabei um die Vorstellung, daß Orthodoxien stets einen sogenannten „harten Kern“ aufweisen, der dann durch einen „Schutzgürtel“ von angelagerten Theorieelementen ausgebaut und etabliert wird. Das ist im aktuellen Fall so, daß der „harte Kern“ der Neoklassik das Tauschtheorem ist, welches es zunächst ermöglicht hat – durch die allgemeine Gleichgewichtstheorie – eine erste Ebene der (mathematischen) „Verteidigungslinie“ zu ziehen, während angelagerte Theorieversatzstücke wie die Quantitätstheorie gewissermaßen sekundäre „Verteidigungsoperationen“ darstellen, deren (mutmaßliche) Nicht-Geltung jedoch den Kern des orthodoxen Paradigmas – das Tauschtheorem – überhaupt nicht mehr berühren würde. Witzigerweise wird dieses theoretische Desaster als „Geldtheorie“ verkauft und es ist noch nicht mal so, daß es dafür nicht leidenschaftliche Verfechter geben würde.

Letzteres ist auch ein Grund dafür, daß sich alle Scharmützel gegen die Neoklassik als vergeblich herausgestellt haben, weil die Kritik daran niemals vermochte den ‚hard core‘ des Paradigmas anzugreifen. Dabei muß man leider zur Kenntnis nehmen, daß es auch überhaupt nicht möglich ist, den paradigmatischen Kern eines Modells aufzubrechen, da sich dieser in seiner Absolutheit üblicherweise ohnehin einer Kritik entzieht. Denn wer würde schon ein Argument dagegen anführen können, daß Tausch eine elementare Interaktion menschlichen Zusammenseins ist? Man bekommt dadurch zwar ein Gefühl von Hilflosigkeit gegenüber etablierten Strukturen, was allerdings daran liegt, daß man die existierende Alternative nicht sieht oder sehen kann. Denn nach Maßgabe eines Diktums von Buckminster Fuller gilt: „Man schafft niemals Veränderung indem man das Bestehende bekämpft. Um etwas zu verändern, baut man neue Modelle, die das Alte überflüssig machen.“

Nun, so leicht wie das dahergesagt ist, so schwierig stellt sich das „Neukonstruieren“ dar, weil sich üblicherweise bei denjenigen, die das „Alte“ bereits gelernt haben die Tendenz einstellt, Begrifflichkeiten so zu interpretieren, wie es das orthodoxe Paradigma vorgibt. D.h. eine der kompliziertesten Aspekte des „Neumodells“ ist es die alten Begriffsinhalte mit alternativen (und zwar wirklich im Sinne von alternativen und nicht mit alternaiven) Inhalten zu füllen. Dabei wird üblicherweise der Aufwand, der für ein neues Paradigma erforderlich ist, hoffnungslos unterschätzt. Das Sammelsurium an „Hosentaschenmodellen“ welches (nicht nur) im Internet kursiert ist zu einer beachtlichen Kakophonie angeschwollen, obwohl jeder einzelne für sich den Anspruch aufrechterhält, zu einer „neuen, besseren oder gerechteren Weltordnung“ beitragen zu wollen. Derartige Ansätze mögen ja ehrenwert und von einer ehrlichen Sorge um die Zukunft geprägt sein, allein der Wirkungsgrad derartiger Theoriebruchstücke tendiert praktisch gegen Null.

Dabei wird dadurch und im studentischen Manifest ein spezifisches Desaster durchaus angesprochen, nämlich daß es offenbar kaum noch eine Behandlung methodologischer Themen gibt, also genau das, wozu eigentlich ein universitäres Studium die Studenten befähigen sollte, nämlich zu einer selbständigen wissenschaftlichen Arbeitsweise kommen zu können. Dieses Problem ist umso virulenter, als sich nach etwa 20 Jahren „PersonalComputer-Revolution“ eine Auffassung breit zu machen scheint, die an die methodologisch fragwürdigen Vorstellungen eines M. Friedman anknüpft, die darin gipfeln, daß kurz gesagt der Glaube um sich greift, in den ökonomischen Daten wäre schon alles zu finden, was es an ökonomischer Weisheit überhaupt gibt.

Ein kurioses Beispiel dafür ist ein Artikel von H.W. Sinn, dessen (indirekte) Behandlung dieses Themas gleich zu Anfang des Artikels die Alarmglocken schrillen lassen müßte. Denn da stellt Sinn die Behauptung auf, es gäbe so etwas wie „statistische Fakten“. Dieses gilt zwar insoweit, wie Zahlen Zahlen sind und diese gewissenhaft erhoben und für die „Weiterverwendung“ aufgearbeitet werden (und auch da fängt die Interpretation schon an). Das bedeutet jedoch NICHT, daß eine bloße Analyse von Zahlen irgendeine absolute Wahrheit beinhalten könnte wie Sinn im Anschluß behauptet, weil eine Interpretation von Zahlen immer a priori theoriebedingt ist und damit die hochwohlgelobte Neutralität der volkswirtschaftlichen Analyse unmittelbar flöten geht! Gegen diese Unterschlagung ist seine Gleichsetzung von „ökonomischen und naturwissenschaftlichen Gesetzen“ nur ein durchsichtiges Ablenkungsmanöver. Heißt: man kann keine Zahlen theorielos interpretieren, auch wenn sich manche Leute von selbsternannten Zahlenkünstlern durch diese Unterschlagung immer wieder ins Bockshorn jagen lassen. Pointiert ausgedrückt kann man in den Zahlenkolonnen von Statistiken nur dann etwas erkennen, wenn es Deutungsmuster gibt, wie diese Zahlen interpretiert werden (sollen); auch bei hingeworfenen Knochen gibt es eine Theorie die sagt, daß bestimmte Knochenkonstellationen auf bestimmte Ereignisse in der Zukunft weisen. Einen Vergleich der Wahrscheinlichkeit hinsichtlich der Vorhersagegenauigkeit erspare ich mir an dieser Stelle.

Jenseits dieser schmalbrüstigen Versuche Ökonomie als nicht theoriebedingt hinzustellen ist festzustellen, daß sich das Bewußtsein über die eigentlich notwendige Zielrichtung der studentischen Kritik in deren Forderungen nicht wiederfinden läßt. Es hat ein bißchen den Anschein, als würde sich der Protest darauf beschränken zu fordern, daß die Universitäten doch den Studenten bitteschön das zu liefern hätten, was sie als operative Fähigkeiten für die angestrebte Blitzkarriere benötigen würden. Insofern kann man vermuten, daß dieser Bewegung ein gewisses Konsumdenken nicht ganz so fern ist. Auf der anderen Seite könnte man durchaus davon ausgehen, daß es darunter auch diejenigen gibt, denen das was Universitäten vermitteln sollten – Erkenntnis(fähigkeit) – durchaus wichtig ist.

Für Letztere sei angemerkt, daß sich die eigentliche Ebene der wissenschaftlichen Auseinandersetzung weniger auf den genannten Themenfeldern findet, sondern auf einem ganz anderen Feld, welches seit 200 Jahren die ökonomietheoretische Diskussion beherrscht: die Auseinandersetzung von Wert- und Geldtheorie. Diese Auseinandersetzung wurde die meiste Zeit von dem Paradigma der (Neo-)Klassik beherrscht, deren soziale Grundfigur der Tausch ist, ohne daß damit jemals befriedigend gezeigt werden konnte, warum es Geld gibt und mit welchen Funktionsprinzipien es funktionieren würde. Die Phase des Keynesianismus (also der Versuch zur Etablierung einer Geldtheorie) war zwar im Sinne von H.W. Sinn von dessen Akzeptanz im politischen Prozeß gekennzeichnet, ohne daß es jedoch währenddessen gelungen wäre eine gleichwertige paradigmatische Konstruktion, wie sie der Neoklassik zur Verfügung steht, anbieten zu können. Man muß konstatieren, daß auch ein IS-LM-Modell (ob das nur den „wahren“ Keynes korrekt abbildet oder nicht) mit allen Verfeinerungen und Erweiterungen es nicht vermocht hat, dem paradigmatischen Bollwerk der allgemeinen Gleichgewichtstheorie etwas Gleichwertiges entgegenzusetzen. (Das gilt auch für alle anderen „Keynesianismen“!)

Von daher wirkt der studentische Protest einigermaßen hilflos, weil dieser zwar ein verständliches Unbehagen mit den herrschenden Zuständen artikuliert, aber gleichzeitig nicht angeben kann, wo der Weg zu einer anderen Weltsicht zu finden wäre. In dieser Not ist der Ausweg nach „Pluralität“ ein Feigenblatt dafür, daß es an einer Strategie mangelt und somit die Hoffnung auf „Schwarmintelligenz“ nur notdürftig verdeckt, daß es einfach ein Hilferuf an die etablierte Professorenschaft ist, sich doch bitteschön darum zu bemühen, alternative Lehrinhalte zu präsentieren, die eine bessere Interpretation von dem, was man so „Realität“ (!) nennt, erlauben würde.

Man muß nicht lange darüber nachdenken, um zu dem Schluß zu kommen, daß sie mit dieser Erwartung auf breiter Front enttäuscht werden. Auch wenn sie dies nicht verdient hätten!

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