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Wo ist die Kasse der Zentralbank?

Vielleicht sollte man mal ein paar grundsätzliche Dinge hinsichtlich der „Kasse“ bei Zentralbanken klarstellen. Die erste Unterscheidung, die man treffen muß ist die zwischen Finanzbuchhaltung und Bilanz. Eine Bilanz ist die Aufstellung von Aktiva und Passiva zu einem Zeitpunkt! Aus einer Bilanz werden dann per sog. Eröffnungsbuchungen die Anfangsbestände der Finanzbuchhaltung erzeugt. Weist also die Bilanz der SNB einen Vermögenswert „Internationale Zahlungsmittel“ 4.440,6 Mio. CHF (31.12.2018) auf, wird am 1.1.2019 in der Finanzbuchhaltung für diese Position genau dieser Zahlenwert als Startbestand eingetragen. Jede Änderung, die im Laufe des Jahres bezüglich dieser Position passiert, wird auf diesem Konto gebucht, bis am 31.12.2019 der Saldo dieses Kontos in die dann zu erstellende Bilanz eingetragen wird. So weit, so gut.

Dasselbe passiert auch mit der Position „Notenumlauf“ 82.238,8 Mio. CHF, so daß die Finanzbuchhaltung genau diesen Wert für den Notenumlauf als Anfangsbestand ausweist. Da der Notenumlauf ein sog. Passivkonto ist, wird die Eröffnungsbuchung im Haben vermerkt, denn Passivkonten erhöhen sich bei einer Buchung im Haben – rechts. (Aktivkonten erhöhen sich spiegelbildlich bei einer Buchung im Soll – links.)

Nun ist es so, daß die Finanzbuchhaltung auch durchaus Konten enthalten kann, die keinen Eingang in die Bilanz finden. Das ist dann der Fall, wenn der Abschlußsaldo eines Kontos den Betrag Null aufweist. Das heißt natürlich nicht, daß nicht auf diesem Konto erhebliche Umsätze stattgefunden haben können. Nun enthält jede Finanzbuchhaltung auch ein Konto „Kasse“, wobei – wie man leicht aus der Inspektion der SNB-Bilanz sehen kann – der Eröffnungsbestand dieses Kontos in der Finanzbuchhaltung „Null“ beträgt, denn in der Bilanz ist es ein Nullkonto und wird DESWEGEN nicht aufgeführt. (Das hat auch etwas mit der Funktion der Bilanz als Vermögensrechnung zu tun, wobei es sich erweist, daß für die Notenbank ein Bargeldbestand kein Vermögen darstellt und ein positiver Kassenbestand das Vermögen einer Zentralbank zu hoch ausweisen würde.)

Die Frage ist nun, wie jetzt Geld in die Kasse gelangt. Normale Unternehmen müssen etwas gegen Bargeld verkaufen, oder am Geldautomaten ihr Weisungsrecht gegenüber der Bank geltend machen und damit Bargeld anfordern. In beiden Fällen handelt es sich dabei um einen Aktivtausch – Ware gegen Bargeld oder eben Kontoguthaben gegen Bargeld.

Bei Zentralbanken kommt noch eine Möglichkeit dazu, wenn sie nämlich das ihnen exclusiv zugesprochene Recht nutzen, um Bargeld für den Umlauf vorzubereiten. (Art. 7 (1) WZG: „Die Nationalbank gibt nach den Bedürfnissen des Zahlungsverkehrs Banknoten aus.“) Dazu muß sie von den bei ihr im Keller liegenden frisch gedruckten Banknoten die gerade benötigte Menge herausholen, die dann durch eine Registrierungs- und Buchungsoperation zu gültigen (zum Zahlungsverkehr zugelassenen) Banknoten werden. Zum einen werden die Registriernummern der zu aktivierenden Banknoten in der Datenbank der in Umlauf befindlichen Banknoten gespeichert, zum anderen wird diese Aktivierung dieser Banknoten durch die Buchung


Kasse an Banknotenumlauf


in der Finanzbuchhaltung (und nicht in der Bilanz) dokumentiert. Wenn also die „Bedürfnisse des Zahlungsverkehrs“ in einer Anforderung von Banknoten durch eine Geschäftsbank bestehen, notiert die Zentralbank das ausgegebene Volumen als Notenumlauf, während die sich in der Kasse befindenden Banknoten kurz danach von einem Geldtransporter abgeholt und zu der anfordernden Bank verbracht werden. Die Abholung wird natürlich auch mit einer Buchung begleitet und zwar:


Giroverbindlichkeiten an Kasse


so daß bei der Zentralbank die Giroverbindlichkeiten abnehmen und der Kassenbestand wieder auf Null zurückspringt.

Hat eine Bank zuviel Bargeld angenommen kann sie dieses wieder zur Zentralbank zurückbringen und bekommt den eingelieferten Betrag gutgeschrieben:


Kasse an Giroverbindlichkeiten (aus Sicht der Zentralbank
– bei der Bank: Zentralbank-Guthaben an Kasse).


Da aber nun eine Zentralbank nicht weiß, was sie mit den in der Kasse herumliegenden Banknoten anfangen soll, kann sie diese wieder aus dem Umlauf entfernen, indem sie die Registriernummern aus der Datenbank löscht und mit der Neutralisierungsbuchung


Notenumlauf an Kasse


diesen Vorgang (erfolgsneutrale Bilanzverkürzung) in der Finanzbuchhaltung dokumentiert.

Genau diese Operation der Ausbuchung von etwa noch in der Kasse befindlichen Banknoten passiert auch dann, wenn die Finanzbuchhaltung zum Zweck der Bilanzerstellung abgeschlossen wird. Sollte also zum Kassenschluß noch Bargeld in der Kasse sein (was deswegen ausgerechnet kurz vor Jahresschluß der Fall ist, weil die Banken die aus den bar eingenommenen Weihnachtsumsätzen der Unternehmen angeschwollenen Kassenstände als Einzahlung bekommen und selber loswerden wollen), wird, bevor das Konto „Kasse“ abgeschlossen wird, wie oben noch eine Buchung eingefügt:


Notenumlauf an Kasse(nbestand)


womit der Kassenbestand zu Null wird, damit der Abschlußsaldo des Kassenkontos Null ist und auf eine Übernahme des Nullsaldos bzw. des Kontos „Kasse“ in die Bilanz verzichtet werden kann. Diese Ausbuchung nicht benötigter Kassenbestände ist übrigens nicht erfolgswirksam, weil hierbei lediglich zwei Bestandskonten verändert werden, was dann zu einer Bilanzverkürzung führt. Genausowenig wie eine Bilanzverlängerung aufgrund einer Aktivierungsbuchung von Bargeld zu einem Gewinn führt, führt eine Neutralisierungsbuchung, also die Verminderung des Notenumlaufs einhergehend mit einer Außerkraftsetzung der Gültigkeit der zu „vernichtenden“ Banknoten zu einem Verlust. Diese Operation steht im Einklang mit Art. 7 (2) WZG, wobei die Ausbuchung zur Bilanzerstellung vermutlich deswegen nicht so publik ist, weil nach Art. 29 NBG die SNB keine Geldflussrechnung (sic.) erstellen muß, in der solche Operationen dann aufgeführt werden müßten.

Das ist alles keine Hexerei, man muß nur links und rechts auseinanderhalten und vor allem nicht Bargeld auf der Passivseite einer Zentralbankbilanz suchen wollen. Wenn überhaupt befindet sich Bargeld als „Kasse“ in der Finanzbuchhaltung und dort auch auf der Seite, wo es hingehört – ins Soll nach… links! In der Bilanz einer Zentralbank dagegen hat das (eigene) Bargeld überhaupt nichts verloren – weder links noch rechts…

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23 Kommentare

Eingeordnet unter Geldtheorie

Wer hat´s erfunden…?

Wie sich Gedanken und Ideen entwickeln ist vermutlich nicht wirklich prognostizierbar, was man jedoch auf jeden Fall vermeiden sollte ist, Gedanken, die man für verspinnert hält, von vornherein als Unfug abzutun. Manchmal ist ein unsichtbarer Aspekt dabei, der erst auf den zweiten oder dritten Blick seine Bedeutung erlangt.

Regelmäßige Leser von Inside Paradeplatz werden wissen, daß dort Marc Meyer von Zeit zu Zeit eine Kolumne veröffentlicht, in der er die Politik der SNB kritisiert. Dabei werden auch gelegentlich theoretische Vorbehalte geäußert, die sich mit der Frage der Zahlungsfähigkeit der SNB beschäftigen. Anläßlich einer derartigen Diskussion (die manchmal auch in ein zänkisches Hin und Her ausartet) habe ich folgenden Beitrag zur Sache beigesteuert:

https://insideparadeplatz.ch/2018/09/19/unsere-nationalbank-befeuert-dax-und-wallstreet-statt-smi/#comment-228590

„Also Herr Meyer,

wenn Sie schreiben:

„Wenn die SNB dem Konto der UBS „gutschreibt“ so bedeutet das nicht, dass die SNB ihre Schuld gegenüber der UBS begleicht, sondern, dass sie im Gegenteil eine Schuld eingeht.

Die Behauptung, eine Gutschrift bedeute eine Begleichung der Schuld, ist ein Fundamentalirrtum, den SNB-Chef Jordan begeht und den auch Sie, Herr Müller, begehen.“

dann gibt es ja immerhin einen Aspekt darin, der es wert ist, beleuchtet zu werden. Das betrifft nämlich die Geschichte, daß bei einem Kaufvertrag die Gegenleistung nicht erbracht ist, wenn es sich dabei lediglich um ein Versprechen handelt, diese Gegenleistung (irgendwann) mal zu erbringen. Nun wird ja allenthalben die Gutschrift auf einem Konto als „Zahlung“ angesehen, obwohl es sich dabei ja wie gesagt lediglich um ein Versprechen handelt. Dennoch existiert eine Wirkung dieser Gutschrift, nämlich daß sie es vermag die Forderung aus einem Kaufvertrag zu begleichen, wenn diese Forderung darin besteht, daß der Leistungsempfänger einen Zuwachs seiner Dispositionsrechte gegenüber seiner Bank, genannt Gutschrift, erhalten will. Denn die Sache ist ja die, daß die Klausel: „Zahlen Sie auf Konto…“ im Grunde genommen eine Unmöglichkeit darstellt, weil man AUF ein Konto nicht zahlen kann, denn Zahlung bedeutet exakt die Übertragung des Schuldgegenstandes, was wie Sie ja auch gelegentlich anmerken, immer nur ein Aktivum sein kann. Dennoch ist die Rechtswirkung einer Kontogutschrift die, daß dadurch der Kaufvertrag endgültig finalisiert wird und keine Einwendungen aufgrund von Zahlungsstörungen erhoben werden können – die Forderung gilt als bezahlt, auch wenn der Forderungsberechtigte kein Geld erhalten hat!

Dies gilt auch im Fall der SNB, weil diese eine Rechnung durch eine Gutschrift begleichen kann, ohne daß im Moment der Gutschrift eine Zahlung erfolgen würde. Insofern bleibt die SNB immer noch verpflichtet, jedoch nicht mehr aufgrund von Verbindlichkeiten aus Lieferung und Leistung, sondern aufgrund einer Schuldzusage im Rahmen eines Zahlungsdienstleister-Arrangements. Heißt: die SNB hat mit der Gutschrift ihre Verpflichtung aus dem Kaufvertrag erfüllt, wobei die tatsächliche Zahlung letzten Endes noch aussteht.

Und an diesem Punkt wird es dann komisch, weil im WZGesetz steht, daß Sichtguthaben bei der SNB als gesetzliche Zahlungsmittel gelten. Sie weisen ja auch gelegentlich darauf hin, daß ein Zahlungsmittel nur ein Aktivum sein kann, so daß man eine Gutschrift nicht als Zahlung ansehen kann, weil halt eine Zahlung die Übertragung des vereinbarten Schuldgegenstandes ist. Man kommt nicht umhin die Passage:
„Auf Franken lautende Sichtguthaben bei der Schweizerischen Nationalbank müssen von jeder Person, die dort über ein Konto verfügt, unbeschränkt an Zahlung genommen werden.“
dahingehend zu interpretieren, daß da eigentlich stehen müßte:
Auf Franken lautende Sichtguthaben bei der Schweizerischen Nationalbank müssen von jeder Person, die dort über ein Konto verfügt, unbeschränkt anSTELLE EINER Zahlung genommen werden.
Durch eine derartige Formulierung würde klar, daß es sich bei einer Gutschrift nie und nimmer um eine Zahlung handeln kann, weil man damit die Absicht etwas zu tun (Zahlungsversprechen) mit deren tatsächlichen Durchführung (Zahlung) völlig unbedarft in einen Topf rührt.

Wenn man sich so umsieht stellt man fest, daß ausgerechnet diese Passage von den meisten Leuten völlig unvoreingenommen als wahr und richtig angesehen wird, obwohl dort eine kategorielle Verwechslung geschieht, es sei denn, die Klausel „…an Zahlung…“ soll bedeuten: „…anstelle einer Zahlung…“. Sollte von den Gesetzgebern letzteres gemeint sein, wäre das WZG wieder korrekt, jedoch in gröblichster Weise mißverständlich formuliert, wobei man sich fragen kann, warum eine derartige Verklausulierung gewählt wurde. Stellt man die Geschichte jetzt vom Kopf auf die Füße gelangt man zu der Schlußfolgerung, daß eine Gutschrift, selbst der SNB, KEINE Zahlung ist, so daß auch die Setzung aus Art. 2 Ziff. c, daß Sichtguthaben bei der SNB gesetzliche Zahlungsmittel seien, als unrichtig zu bezeichnen ist. Mit einem Passivum kann man halt nun mal nicht zahlen, ob das nun im Gesetz steht oder nicht ist völlig belanglos!

Für dieses Durcheinander kann aber die SNB (direkt) nichts, so daß es müßig ist die SNB für Dinge verantwortlich zu machen, die sie nicht ursächlich mitfabriziert hat. Vielleicht verlegen Sie sich besser darauf, das WZG ins Kreuzfeuer zu nehmen, damit treffen Sie dann tatsächlich einen wunden Punkt.“

Ende Blockbeitrag „Inside Paradeplatz“……

Nun soll es an dieser Stelle nicht um die Kuriositäten gehen, die sich in der Schweizer Geldverfassung finden, sondern um die Bedeutung des Umstandes, daß das, was gemeinhin oberflächlich als „Zahlung“ bezeichnet wird, mit dem, was eine Zahlung tatsächlich ist, nichts (ja: nichts!) mehr zu tun hat, weil sich der Wirtschaftsverkehr schon seit langem auf einen anderen modus operandi geeinigt hat, dessen Existenz von den Methusalem-Professoren immer noch strikt geleugnet wird. Um das zu verstehen, muß man noch ein wenig in den Feinheiten dessen herumwühlen, was immer so schön als „Zahlungsverkehr“ oder virtueller Zahlungsausgleich präsentiert wird.

Denn:
Bei der ganzen Geschichte muß man die in dem Kommentar angesprochene Kleinigkeit beachten, wo es um die Frage geht, wann ein Kontrakt erfüllt ist bzw. welche Konsequenzen sich aus dem Umstand ergeben, daß die „Gegenleistung“, die üblicherweise eine „Geldleistung“ sein soll, durch eine Gutschrift ersetzt wird. In der Literatur wird dieser Problemkreis unter der Überschrift „Leistung an Erfüllung statt“ diskutiert, obwohl wie hier bereits argumentiert wurde, durch die Klausel „Zahlen Sie auf Konto…“ eine Geldzahlung von dem Anspruchsteller überhaupt nicht erwartet wird und gewissermaßen durch die Verwendung dieser Formulierung ausdrücklich ausgeschlossen wird.

Das was erwartet wird ist ein Zuwachs an Dispositionsrechten gegenüber dem kontoführenden Zahlungsdienstleister, wodurch die Forderung aus einem z.B. Kaufvertrag endgültig erlischt – denn das ist ja genau die Absicht der (fehlerbehafteten) Formel „Zahlen Sie auf Konto…“. Das hat ganz interessante Folgen in dem Fall, wenn Zahlungsverpflichteter und Gutschrifterteilender die gleiche juristische Person (wie z.B. die SNB) sind. Nehmen wir mal den einfachsten Fall und unterstellen, die Zentralbank würde ein Kilogramm Gold von einer Bank, die bei ihr ein Konto besitzt, kaufen. Zunächst ist die Sachlage ja so, daß die Geschäftsbank zur Lieferung von 1 Kilogramm Gold verpflichtet ist, während die Zentralbank zur Lieferung des Kaufpreises in Geld verpflichtet ist. Es handelt sich hierbei um zwei Übertragungsverpflichtungen, wobei es sich hierbei um Lieferverpflichtungen oder besser gesagt um Bringschulden handelt. Bringschulden zeichnen sich im wesentlichen dadurch aus, daß der Verpflichtete dafür Sorge trägt, daß die versprochene Leistung auch zum vertraglich vereinbarten Zeitpunkt zum Empfänger gelangt. Die Leistung – die Goldlieferung – muß von der Geschäftsbank veranlaßt werden und eigentlich müßte die Zentralbank auch dahingehend aktiv werden, daß der Geldbetrag in bar zu dem Verkäufer gelangt. Das wäre tatsächlich eine Zahlung!

Nun besitzt ja die Geschäftsbank ein Konto bei der Zentralbank und beide Vertragsparteien kommen darüber überein, daß nicht die Begleichung des Kaufpreises an den Anspruchsberechtigten, sondern eine Gutschrift der Zentralbank auf dem Konto der Geschäftsbank erfolgen soll. Genau diese Vereinbarung hat die rechtstechnische Folge, daß der Kaufvertrag über das eine Kilogramm Gold als von beiden Seiten erfüllt angesehen wird und damit eine rechtliche Finalisierungswirkung eintritt, die es verhindert, daß der Verkäufer irgendwelche Einwendungen wegen Zahlungsstörungen geltend machen kann. Der Kaufvertrag ist erfüllt, die Geschäftsbank hat das Gold geliefert und die Zentralbank hat die – vereinbarte – Gutschrift erteilt.

Die Erteilung einer Gutschrift hat aber nun eine interessante Rechtswirkung, weil die eigentliche Gegenleistung, welche aus einer Übertragung des gesetzlichen Zahlungsmittels besteht (direkt gesagt: die Übergabe der entsprechenden Summen Bargeldes) und die ja von dem Verkäufer zugunsten einer Gutschrift auf seinem Konto umgewandelt wurde, ja letzten Endes noch nicht erbracht worden ist, denn eine Gutschrift ist ja nichts anderes als eine Absichtserklärung (irgendwann) mal zu zahlen. Eine Gutschrift ist aber erst dann möglich, wenn zwischen den beiden Parteien ein Kontokorrent-Arrangement existiert, dessen Inhalt es ist, daß darauf Gutschriften und Belastungen dokumentiert und als Saldo ausgewiesen werden. Dazu muß man wissen, daß dies im Rahmen eines Zahlungsdienstleistungsrahmenvertrages passiert, was zur Folge hat, daß eine Gutschrift für den Begünstigten einen Zuwachs seiner Dispositionsrechte über Geld bedeutet. Er hat zwar keine Zahlung im Sinne der Übergabe des vereinbarten Geldbetrages erhalten, sondern – Dispositionsrechte. Genau dies hat aber einen entscheidenden Einfluß auf die Art des Schuldverhältnisses zwischen Käufer und Verkäufer, weil die eigentliche Forderung aus dem Kaufvertrag nunmehr zu einem Schuldverhältnis im Rahmen eines Zahlungsdienstleister-Arrangements geworden ist, bei dem die Art der Forderung sich fundamental gewandelt hat: aus der Bringschuld der Zentralbank ist auf einmal eine Holschuld des Verkäufers geworden, die, um eine Zahlung auszulösen, den Verkäufer verpflichtet eine Handlung vorzunehmen, die zu einem Zahlungsvorgang zu seinen Gunsten führt! Der Grund dafür ist, daß durch die Übertragung der Kaufvertragsschuld in eine Zahlungsdienstleisterschuld die Grundlage der Zahlungsbedingungen geändert sind, weil sich der Verkäufer für ein Optionsrecht entschieden hat und nicht für die finale Zahlung, die letzten Endes nur durch eine Übergabe von Bargeld erfolgen kann. Da aber der Zahlungsdienstleister keine Handhabe besitzt, den Anspruchsberechtigten zu einer Geltendmachung seiner Ansprüche zu zwingen, verkehrt sich die Verpflichtungsrichtung, was die Initiative zur Erfüllung des (ursprünglichen) Zahlungsanspruches angeht. Diese Verkehrung der Initiativrichtung ist auch der Grund dafür, daß eine Bank ihre Leistungsschuld aus einem Kreditvertrag schon dann erfüllt hat, wenn sie dem Kreditnehmer die Möglichkeit eingeräumt hat, über den vereinbarten Betrag verfügen zu können – genauer: wenn sie die Gutschrift auf dem Konto erteilt hat, welches von dem Zahlungsdienstleister aufgrund eines Zahlungsdienstleistungsrahmenvertrages geführt wird. Auf gut Deutsch: der Kreditvertrag ist seitens der Bank durch die Erteilung einer Gutschrift erfüllt, obwohl allein dadurch noch keine Zahlung seitens der Bank erfolgt ist.

Im Grunde genommen muß man diese Verkehrung der Initiativverpflichtung dahingehend interpretieren, daß es sich hierbei um eine institutionalisierte Vorkehrung handelt, die Leistungsverträge zu finalisieren und die Frage des letztlichen Liquiditätsausgleichs auf eine andere Ebene zu verlagern, die nicht durch die Unmittelbarkeit der Kaufvertragsebene beschränkt wird. Denn hier wird letztlich der Geldannahmezwang (Für Kenner: auch der Annahmeverzug des Gläubigers ist eine Leistungsstörung!) für den Verkäufer in eine Gelddispositions-Option umgewandelt, wodurch der (reale) Leistungsverkehr von dem Vorbehalt, daß irgendwas im Zahlungsverkehr schief laufen könnte, befreit wird, womit für den Leistungsverkehr ein Grad von Rechtssicherheit erzeugt wird, indem eigentlich noch nicht erhaltene Geldzahlungen nicht den finalen Abschluß des Kaufvertragsvorganges verhindern und gleichzeitig eine Flexibilität bei der Inanspruchnahme der erhaltenen Dispositionsrechte erzeugt wird. (Deswegen ist der „Eigentumsvorbehalt bis zur endgültigen Bezahlung des Kaufpreises“ stets ein „Extra“ in den Zahlungsbedingungen.) Wenn man so will ist das eine Rechtskonstruktion, die derjenigem beim Wechsel ähnelt, wo ja auch der Zahlungsanspruch von dem zugrundeliegenden Grundgeschäft abgetrennt wird, und die Wechselforderung als abstraktes Wertpapier fortan ihr Eigenleben führt, bis sie dann am Verfallstag zu einer Zahlung oder einer Gutschrift führt.

Die Abtrennung der Zahlungsverpflichtung von dem zugrunde liegenden Grundgeschäft hat noch einen anderen Aspekt, welcher im wesentlichen den vorsintflutlichen ökonomietheoretischen Grundsatz betrifft, als ökonomisch nur die Dispositionen über reale Güter und Ressourcen anzusehen. Denn anders, als es die etablierte („verstaubte“ wäre als Qualifizierung angemessener) Ökonomie will, hat sich der Geschäftsverkehr schon längst davon entfernt, die Disposition über reale Güter als zentrales Erfolgskriterium zu interpretieren. Der letzte Versuch in dieser Hinsicht war das System der „material-technischen Versorgung“ der DDR, welches trotz aller Widrigkeiten der DDR immerhin seinerzeit den 10. Platz in der Weltrangliste der erfolgreichsten Staaten der Welt beschert hat. (Das hat allerdings nicht verhindert, daß Honecker bei Strauß um DM betteln mußte.) Wenn man nicht gänzlich vernagelt ist, wäre das schon mal ein Grund die Grundlagen der ökonomietheoretischen Methodik grundsätzlich mal zu überdenken. Denn wenn man sich so umschaut ist die Abtrennung des Finanzprozesses von der realwirtschaftlichen Motivation ein durchdringendes, ja fast universelles Merkmal der Operationsweise heutiger Wirtschaftspraxis.

Letzteres betrifft insbesondere die Geschichte mit dem Geld, welches zwar in früheren Jahrhunderten mit einem i.d.R. Goldgewicht identifiziert wurde, heutzutage allerdings nicht mehr und nicht weniger vermag als eine Funktion auszufüllen, die darin besteht, eine in eben diesem Standard bemessene Schuld tilgen zu können. Das heißt, daß Geld von seiner ursprünglichen Konstruktion, nämlich als ein Anrecht auf ein bestimmtes Realobjekt zu fungieren, entkleidet wurde, weil man nämlich im Laufe der Zeit gemerkt hat, daß die Bindung an ein konkretes Objekt mit den Notwendigkeiten des Wirtschaftslebens immer mehr in Konflikt geraten ist. (Deswegen kam Gold zu der unschönen Bezeichnung ‚barbaric relict‘!) Die Erkenntnis, daß eine Bindung an ein konkretes Objekt für Geld völlig überflüssig ist, kam aber erst dann auf, als es sich zeigte, daß der Verschuldungsgrad der Wirtschaft Grund genug dafür war, daß dem Geld insofern ein Wert zugemessen wurde, weil es die (in Geld verschuldeten) Akteure dazu zwang zur Abwehr von Vermögenseinbußen reale Leistungen für ein an und für sich „wertloses“ Stück Papier anzubieten. Damit verkehrte sich jedoch die ökonomische Motivationslage, denn fortan ging es nicht mehr primär um Bedürfnisbefriedigung, sondern um das Verdienen von Geld. Romantiker behaupten zwar immer noch, daß ja die Jagd nach Geld nur Mittel zum Zweck sei. Das mag zwar im Einzelfall noch zutreffen, spielt aber dann keine Rolle mehr, wenn es darum geht zu entscheiden, welche Modellprämisse zur Abbildung der Vorstellung von Ökonomie (das nennt man dann ökonomische Theorie) besser geeignet ist: das Wertverhältnis von Hirsch und Biber (Adam Smith) oder die vergleichsweise schnöde Kalkulation über eine künstliche Entität, die den unschlagbaren Vorteil hat den niemals erfaßbaren Komplexitätsgrad des ökonomischen Universums auf ein handhabbares Maß zu reduzieren.

👋

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