7. Mai 2013 · 02:27
Schon zu meiner Schulzeit war es so, daß dann, wenn ein Lehrer versucht hat irgendwelche Klassifikationen zu erläutern mit schönster Regelmäßigkeit keine sinnvollen Schlüsse aus seinen Bemühungen gezogen werden konnten. Das aufgeführte Sammelsurium an Begriffen war meist nicht sinnvoll kombinierbar, geschweige denn, daß sich die vorgestellten Termini sogar gelegentlich widersprochen haben. Bis heute ist das Gefühl übriggeblieben, daß damit auch nichts erklärt werden sollte, sondern vielmehr ein Scheinwissen zur Schau gestellt wird und somit lediglich eine Simulation von Wissen stattgefunden hat.
Dasselbe Gefühl beschlich mich, als ich eine Tabelle zu Gesicht bekam, in der nicht weniger als 25 Zinsfunktionen enthalten waren und die Autorin daranging diese in mehr oder weniger lose Zusammenhänge zu stellen. Erwartungsgemäß war auch an diesem großangelegten Klassifizierungsversuch kaum etwas Vernünftiges zu erkennen, zumal eine wesenserhebliche Funktion überhaupt nicht explizit aufgeführt war. Zwar war durchaus was man erwarten konnte der Zins als Risikoprämie aufgeführt, doch die unmittelbare Konsequenz daraus fehlte einfach. Das hat natürlich seinen Grund, der auch einen wohlklingenden Namen hat und mit „methodologischer Individualismus“ genau auf den Punkt gebracht wird. Dahinter verbirgt sich nichts anderes als das simple Postulat(!), daß alles, was nicht aus der Wahlentscheidung eines Individuums heraus erklärbar ist, nicht zu dem Fachgebiet Ökonomie gerechnet werden soll. Mit einem derart schlaffen Postulat wird beispielsweise begründet, warum die DSGE-Modelle das nonplusultra der ökonomischen Theorie sein sollen oder warum Argumente, die sich aus saldenmechanischen Gedanken ableiten mit dem Vorwurf(!) „Das ist ja Saldenmechanik!“ als ökonomisch nicht gehaltvoll diskreditiert werden sollen. Komplett lächerlich wirkt ein derartiger Vorwurf vor dem Hintergrund, daß laut „methodoligischem Individualismus“ eine angemessene Analyse makroökonomischer Prozesse dadurch gewährleistet sein soll, daß lediglich die mikroökonomisch fundierten Wahlentscheidungen eines „repräsentativen Wirtschaftssubjekts“ betrachtet werden. (Das ist die logisch inkonsistente Forderung nach einer „Mikrofundierung der Makroökonomie“!) Da schon häufiger die Frage angesprochen wurde, wie das Verhältnis vom Teil zum Ganzen strukturiert ist, sei hier lediglich G. Bateson zitiert: „Insofern, als die Verhaltenswissenschafter noch immer die Probleme der ‚Principia Mathematica‘ ignorieren, können sie Anspruch darauf erheben, 60 Jahre im Rückstand zu sein.“ (Das Buch aus dem dieses Zitat stammt ist aus dem Jahr 1972!)
Nun ist ja die Eigenschaft des Zinses, ein Indikator für das Risiko einer Investitionsentscheidung zu sein, vergleichsweise unbestritten. Es ist ja nicht so, daß individualistische Fragestellungen sich nicht ökonomisch fruchtbar verwenden ließen. Worum es allerdings hier geht ist die Frage, was aus dieser Eigenschaft abzuleiten ist. Irgendwie sollte doch eine Konsequenz mit der Existenz einer Risikoprämie verbunden sein, denn als risikobezogene Größe kann sie nicht lediglich als Argument dafür herhalten, Zinsen als riskante Einkommensquelle zu definieren. Das heißt, daß mit dem Zinsanteil, welcher mit der Risikoprämie verknüpft ist, eine andere Konsequenz verbunden sein muß, als diejenige, Zinsen zu einem Einkommenselement zu stilisieren. Es handelt sich dabei um den schnöden Umstand, daß – bevor sich irgendjemand um die Verwendung von Bruttozinseinnahmen zur Einkommensaufbesserung kümmern kann – es zunächst mal darum gehen muß, und zwar ohne Wenn und Aber, daß damit die Verluste aus abgeschriebenen Forderungen kompensiert werden müssen. Das heißt, daß Zinsen, wie alle anderen Erträge auch, für die Deckung des Aufwands aus Kreditabschreibungen herhalten müssen. Denn auch wenn Forderungsabschreibungen eigentlich eine aktivische Bestandsverringerung darstellen, wird damit die (hoffentlich) eigenkapitalerhöhende Wirkung eines G+V-Überschusses nachträglich reduziert. Die unausweichliche Folge davon ist, daß Zinsen unmittelbar dazu beitragen Bilanzverluste der Banken aus Kreditabschreibungen zu kompensieren.
Das hat unmittelbare Konsequenzen für die Zinstheorie, deren Focus hauptsächlich darin gesehen wird für Sparer ein Zinseinkommen zu generieren, was ja auch durch die herrschende Geldtheorie nahegelegt wird. Dabei ist diese Theorie, daß die Sparer die Quelle von Geld zur Kreditvergabe darstellen und deswegen zur Zurverfügungstellung von Spareinlagen „angereizt“ werden müßten die Paten-theorie für die felsenfeste Überzeugung, daß Sparer einen Zins zu beanspruchen hätten. Natürlich wird diese Vorstellung durch die Zentraltheorie des Kapitalismus, der allgemeinen Gleichgewichtstheorie nahegelegt, wo die privaten Wirtschaftssubjekte ihre Ressourcen aka Erstausstattungen den Unternehmen gegen einen Leihertrag zur Verfügung stellen, soweit es sich um „Kapitalgüter“ handelt. In das gleiche Horn stößt die Theorie der multiplen Geldschöpfung, deren Credo sich daraus speist die Einlagen von Sparern an den Anfang der Ableitungskette zu setzen.
Welche Konsequenz ergibt sich nun aus der Sichtweise Zinserträge als Kompensation für fehlgeschlagene Kreditengagements zu sehen? Dazu muß man sich zunächst einmal klarmachen, was eine Kreditabschreibung bedeutet. Sie bedeutet, daß ein Kreditnehmer in dieser Höhe Ressourcen in Anspruch genommen hat, denen auf dem Markt kein konkurrenzfähiges Angebot gegenübergestellt wurde. Dies bedeutet, daß der Mechanismus, der dem Kreditgeld überhaupt erst seinen „Wert“ verleiht, durchbrochen wird. Denn dieser besteht essentiell daraus, daß alleine der Schuldendruck dem sich der Kreditnehmer ausgesetzt sieht ihn dazu veranlaßt, gegen Geld reale Leistungen anzubieten, um Zins, Tilgung und (hoffentlich) einen Gewinn zu erzielen. Eine Kreditabschreibung dagegen bedeutet, daß die durch den Kredit finanzierte hoffnungsvolle Investition sich als bloßer Konsum von Ressourcen herausgestellt hat und deswegen ein Kreditvolumen im volkswirtschaftlichen Rahmen „zuviel“ da ist, welches keinen Beitrag zur gesellschaftlichen Leistungserstellung mehr liefert. Die Neutralisierung dieses überschüssigen Kreditvolumens wird dadurch gewährleistet, daß Zinszahlungen gegen dieses konsumtive Kreditvolumen gegengerechnet werden.
Das bedeutet aber, da auch erfolgreiche Unternehmer Zinsen zahlen, daß Zinsen gesamtgesellschaftlich als eine Art Versicherungsprämie angesehen werden können, die alle Kreditnehmer zahlen, obwohl nur (hoffentlich) einzelne Kreditnehmer in die Insolvenz gehen und damit unbezahlte Kreditlinien hinterlassen. Das läßt sich sehr schön mit der Kfz-Versicherung vergleichen, da diese den meisten Menschen als Risikoversicherung bestens bekannt ist. Eine Risikoversicherung zeichnet sich dadurch aus, daß sie die Prämien der Versicherungsnehmer dazu verwendet, die Schäden, die von einzelnen dieser Versicherungsgemeinschaft angerichtet werden, aus den Beiträgen aller Versicherungsnehmer zu decken. Dabei ist für die Betrachtung hinsichtlich der Interpretation von Zinsen als Versicherungsprämie noch wesentlich einen besonderen Aspekt zu betrachten: denn immer dann, wenn die Risiken bzw. die Wahrscheinlichkeit der Schäden zunehmen, fangen die Prämien für diese Versicherung an zu steigen, da ein höheres Schadenvolumen abgedeckt werden muß. Wenn man dieses berücksichtigt und auf die Konzeption, Zinsen als Versicherungsprämien zu sehen überträgt, wird auf einmal auch klar, daß genau dann, wenn die Wahrscheinlichkeit von Kreditausfällen steigt (typischerweise in einer Krise/ Rezession) auch die entsprechenden Risikoprämien/ Zinsen zu steigen beginnen. Insofern mutet es ziemlich rührend an, wenn von allen Seiten unisono in einer Rezession gefordert wird, daß die Notenbank die Zinsen senken müsse, um den Unternehmen „das Geld billiger zu machen“ und die Unternehmen damit „angereizt“ werden mehr investieren. Das kann die Notenbank zwar tun indem sie mit ihren Reizen nicht geizt, wird aber dennoch keine Effekte hinsichtlich der prognostizierten Kreditabschreibungen erzielen können, was eine wesentliche Vorbedingung dafür wäre die Banken zu veranlassen ihre Kreditzinsen zu senken.
Wenn Banken anfangen ihre Zinsen zu senken, dann aus einem anderen Grund: nämlich dann, wenn sich die Aussichten für die Rentabilität von Investitionen wieder verbessern und die Konkurrenz um die „besten“ Schuldner einsetzt, die mit immer besseren Zinsgeboten gelockt werden sollen, wobei die Verringerung der Wahrscheinlichkeit für Kreditabschreibungen (gewissermaßen die „finanziellen Schäden“) diesen Spielraum für diese verbesserten Zinskonditionen überhaupt möglich macht. Letzteres funktioniert allerdings erst dann, wenn durch ausreichende Zinseinnahmen die abzudeckenden „finanziellen Schäden“ weitgehend ausgeglichen sind und nicht noch in den Büchern latente Risiken lagern, deren Existenz eine „verringerte Schadenvorsorge“ praktisch unmöglich machen. Soweit das wie derzeit aktuell der Fall ist können Zinsreduktionen der Zentralbank keine nennenswerten Effekte erzielen, auch wenn die versammelte Presselandschaft bisher üblicherweise jede 0,25%ige Zinssenkung als „wichtiges geldpolitisches Signal“ zu interpretieren gewillt war. Leider übersetzt sich ein sinkender Diskontsatz nicht automatisch in eine großzügige Zinssenkung bei den Krediten und ist nach den vorstehenden Erkenntnissen auch nur als blauäugiges Wunschdenken der Zentralbanken zu interpretieren. Daß die üblichen Begründungen für die weitgehende Zurückhaltung bei der Kreditvergabe dann dahingehend lauten, daß die Wirtschaft sich in einer Konstellation der „Liquiditätsfalle“ befinde, beweist nur, daß das herrschende makroökonomische Denken bisher noch nicht über die Betrachtung intrinsischer Motivationslagen einzelner Wirtschaftssubjekte hinausgekommen ist.
Diese Sichtweise auf die eigentliche Natur von Zinsen wirft auch ein bezeichnendes Licht auf die Theorie, welche versucht Zinsen aus einem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage abzuleiten. Denn was – um mal von der Krise wegzukommen – passiert in einem Aufschwung? Das Geldangebot müßte aufgrund der höheren Ausgabenbereitschaft und der korrespondierenden sinkenden Sparbereitschaft sinken und damit die Kreditzinsen in die Höhe treiben, genauso wie eine höhere Geldnachfrage aufgrund einer höheren Investitionsbereitschaft die Zinsen ansteigen lassen müßte. Man kann zwar ökonometrisch so ziemlich alles ableiten, aber die Zinssenkungstendenzen bei Banken in einem Aufschwung sind vergleichsweise unübersehbar, während die Zinserhöhungstendenzen einer Zentralbank, getragen von einer Motivation, eine „Überhitzung der Konjunktur“ zu verhindern dagegen doch vergleichsweise putzig wirken und ihre intendierten Effekte regelmäßig verfehlen. Umgekehrt, umgekehrt.
Vielleicht noch ein letztes Wort zu dem eingangs erwähnten Kriterium dafür, was Ökonomie ist und was nicht. Die hier vorgestellte Sichtweise wird deswegen nie als ökonomisch akzeptiert werden, weil hier eine Abkehr von dem „methodologischen Individualismus“ vorliegt und es sich damit für die ‚mainstream‘-Ökonomie von vornherein verbietet, derartige Erwägungen ernst zu nehmen. Nun ist ein methodologisches Prinzip keine göttliche Gravur auf einer Steintafel, sondern eine spezifische Art der Gewinnung von Erkenntnis, wodurch natürlich nicht ausgeschlossen wird, daß nichtindividualistische Erkenntnismethoden nicht auch valide Erkenntnisse erbringen könnten. Auch wenn die Aussichten für diese Zinstheorie nicht so rosig sein dürften wird doch wohl eins nicht passieren: daß von der Ökonomie das Prinzip der Risikoversicherung deswegen abgelehnt wird, weil es sich nicht aus individuellen Präferenzen ableiten läßt. Obwohl, man kennt ja Ökonomen: die können auch ableiten, daß es eine positive oder steigende Zahlungsbereitschaft, d.h. eine Nachfrage nach höheren Beiträgen für eine Risikoversicherung geben kann, wenn einerseits die Schadenssumme angestiegen ist und die individuelle Schadeneintrittswahrscheinlichkeit gesunken ist. Das nennt man dann Altruismus oder so… 🙂