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Die Fallen zwischen Strömen und Beständen

HeringsdorfEs ist immer wieder interessant, wie sich bestimmte Sprachspiele dazu verdichten können aus lauter Denkfaulheit zu einer meist unhinterfragten „Wahrheit“ zu werden. Eines der gängigsten Beispiele aus der öffentlichen Geldsystemdiskussion ist die vermeintliche Erkenntnis: „Der Zins wird bei der Schöpfung des Kredits nicht miterschaffen.“ Aus der sich dann meist nahtlos anschließenden „Beweisführung“, daß ein einzelner Schuldner einen Kredit vom Jahresanfang nicht inclusive Zinsen zurückzahlen kann wird dann geschlossen, daß das mit dem „Geldsystem“ so nicht funktionieren kann. Dabei funktioniert bei einer derartigen Argumentionsweise etwas anderes nicht.

Was dem Leser bei derartigen Ausführungen stillschweigend untergejubelt wird ist eine Gleichsetzung, die aus der Argumentationsführung zwar plausibel erscheint, bei näherer Sicht jedoch elementar unterschiedliche Sachverhalte der ökonomischen Analyse miteinander vermengt. In einer ersten Annäherung an dieses Mißverständnis kann man schon mal darauf hinweisen, daß Zinsen eine Stromgröße sind, während eine – wie auch immer definierte – Geldmenge eine Bestandsgröße darstellt. Wenn man also meint, daß durch Zinsen die Geldmenge vergrößert wird, verwechselt man Äpfel mit Birnen (was wenigstens noch Obstsalat ergibt) – ein typischer Anfängerfehler!

Am einfachsten ist es sich mit den Begriffen Stromgröße, Bestands- und Bestandsänderungsgröße mal genauer zu beschäftigen. Das ist so etwas wie das 1×1 in der Ökonomie. Da man ausgerechnet bei diesem Thema das Rad nicht neu erfinden muß an dieser Stelle gleich mal dazu ein Paper, welches diese Begrifflichkeiten sehr schön auf den Punkt bringt.

Klicke, um auf W%201TU%20Bestand.pdf zuzugreifen

Das größte Verständnisproblem gibt es naturgemäß bei den Stromgrößen, weil die mit etwas verbunden sind, was man aus den entfernten Erinnerungen eigentlich aus der Schule noch kennen sollte. Bei den Bestandsgrößen ist es einfacher, denn den Bestand an Geld im Portemonnaie zu überprüfen fällt nun nicht gerade schwer. Auch die Bestandsänderungsgröße im Portemonnaie nachzuvollziehen ist einfach, denn die besteht entweder aus dem Zugang am Geldautomat, oder aus dem Abgang an Geld für den Kauf eines Lehrbuchs über volkswirtschaftliche Gesamtrechnung – ist natürlich nur ein Beispiel!

Was also sind Stromgrößen? Wie eben schon angesprochen ist der Zins eine Stromgröße, ebenso wie ein Gehalt oder auch alle anderen Einkunftsarten eine Stromgröße sind. Denn alle diese Stromgrößen haben etwas mit der Veränderung des Geldvermögens zu tun. Im Gegensatz dazu haben auch alle „Ausgabearten“ etwas mit der Änderung des Geldvermögens zu tun, nur „leider“ in entgegengesetzter Richtung indem sie das Geldvermögen schrumpfen lassen. So weit, so gut.

Dabei muß man sich in ökonomischer Hinsicht klar machen, daß Stromgrößen aus zwei (!) oder mehr einzelwirtschaftlichen Bestandsveränderungen erzeugt werden, die sich gesamtwirtschaftlich – hinsichtlich der globalen Bestandsgrößen – gegenseitig neutralisieren. Das liegt daran, daß die Ausgaben des Einen die Einnahmen des Anderen sind, so daß es isolierte Bestandsvermögensveränderungen im geldtheoretischen Bereich nicht geben kann. Anders gesagt: wenn der Käufer dem Verkäufer eine Summe Geld zahlt ändert sich nicht das – wie auch immer definierte – gesamtwirtschaftliche Geldvolumenaggregat. Denn was der eine vorher hatte, hat nun der andere, nicht mehr und nicht weniger.

Das betrifft auch die immer ins Feld geführten Zinszahlungen, die aus diesem Grund lediglich eine veränderte Verteilung der bestehenden „Geldmenge“ zwischen Zinszahler und Zinsempfänger bewirken und die gesamtwirtschaftliche Geldmenge weder vergrößern noch verkleinern. An dieser Stelle zeigt sich nicht nur, daß Stromgrößen stets zu zwei Bestandsänderungsgrößen führen, die sich gesamtwirtschaftlich gegenseitig aufheben, sondern auch, daß Zinsforderungen, sobald sie beglichen sind, nur noch dazu da sind in der Steuererklärung aufzutauchen. (Gilt nicht für Hoenesses – oder sagt man Hoenesse? 🙂 )

Das weist auf ein Mißverständnis hin, welches in Diskussionen über Ökonomie regelmäßig aufkommt und inbrünstig gepflegt wird, weil die Begriffsabgrenzungen zwischen dem „gesunden Menschenverstand“ und der ökonomischen Fachsprache doch nicht so selbstverständlich sind, wie oft gedacht. So wird landläufig davon gesprochen, daß Einkommen ausgegeben wird oder daß der „Zins gespart“ wird und damit die effektive Nachfrage sinkt. Wenn man sich die gerade genannten Aspekte ansieht wird man ziemlich schnell feststellen, daß an derartigen Aussagen etwas nicht stimmen kann. Würde es stimmen, dann würde daraus folgen, daß man z.B. eine Stromgröße konsumieren kann.

Das ist natürlich Quatsch, denn wie man auch aus dem verlinkten Paper erkennt beschreibt eine Stromgröße die Veränderung einer Bestandsgröße über einen bestimmten Zeitraum. Doch auch wenn es interessant sein mag den Zuwachs des Geldvermögens pro Zeiteinheit zusammenzurechnen bleibt es dennoch Tatsache, daß das, was für den Konsum ausgegeben wird (Geld wird nämlich nicht konsumiert – außer von Dagobert Duck) nicht Einkommen sondern Geld ist. Denn ein Verkäufer erwartet eine Zahlung in Geld und nicht in Einkommen! Genausowenig kann man sein „Einkommen akkumulieren“, sondern nur das GELD, welches aus einem Einkommensanspruch das eigene Geldvermögen erhöht. Das heißt, der Begriff Einkommen (welcher Art auch immer) bezeichnet essentiell ein Maß für die (z.B. jährliche) Summe von Leistungstransaktionen, die zu Geldvermögensänderungen führen. Deswegen besitzen die Stromgrößen auch die Maßeinheit: Geldeinheiten PRO Zeiteinheit!

Umgekehrt: zu behaupten, daß Einkommen akkumuliert werden können ist etwa so als würde man sagen, daß eine konstante Geschwindigkeit „akkumuliert“ werden könnte, die ähnlich dazu die Maßeinheit Distanzänderung PRO Zeiteinheit aufweist. Das heißt, eine monetäre Größe, welche die Dimension PRO Zeiteinheit aufweist kann nicht akkumuliert werden, sondern nur das, was als Konsequenz eines z.B. Leistungsanspruchs zu übertragen ist: GELD! Diese Übertragung wiederum betrifft jedoch ausschließlich die (jeweiligen) Bestandsänderungsgrößen.

Und damit kommt man urplötzlich an den Kern dessen, was eine Stromgröße tatsächlich ist: eine Änderungsrate! Falls jetzt den einen oder anderen ein schlechtes Gewissen beschleicht, man hätte in der Schule bei der Analysis nicht Liebesbriefchen schreiben sollen: ja, es ist berechtigt. Denn die Änderung einer Größe (z.B. des Geldvermögens) im Verhältnis zu der Änderung einer anderen Größe (üblicherweise die Zeit) ist das, was seinerzeit im Mathematikunterricht als die 1. Ableitung einer (üblicherweise stetigen) Funktion vorgestellt wurde. Die 1. Ableitung (f ‚ (x), bzw. f ‚ (t) bei Ableitung nach der Zeit) einer Funktion besagt üblicherweise, wie sich die Funktion (lokal) verändert; ist f ‚ (t) > 0 vergrößert sich das Geldvermögen während dieses Zeitraumes, ist f ‚ (t) < 0 verringert es sich.

Diese Geschichte wird dann besonders plausibel, wenn man sie auf den Zins anwendet, denn dieser ist quasi die Wachstumsrate eines verliehenen Geldbetrages: dG/dt. (Die meisten machen aus Pikiertheit vor dem Wort „Geld“ den Mißgriff, hier das Wort „Kapital“ einzusetzen; dabei ist die Verwirrung hinsichtlich der Interpretation dieses Begriffes noch viel größer!) Und insbesondere beim Zins hat sich die Unsitte eingeschlichen stillschweigend davon auszugehen, daß die Wachstumsrate des Geldbetrages auch gleichbedeutend mit einer Erhöhung des verzinslich angelegten Geldbetrages sei – gewissermaßen das Modell „Sparbuch“. Dabei ist es keineswegs selbstverständlich, daß ein gezahlter Zinsbetrag von dem Schuldner automatisch zu der zu verzinsenden Geldsumme hinzugeschlagen wird – eigentlich ist das nur bei dem Sparbuch und den Staatsschulden der Fall (für Kenner: Domar-Theorem). (Und wo die Zinsen für Sparbücher und – u.a. deutsche – Staatsschulden gerade stehen, sollte hinlänglich bekannt sein!)

Wofür muß man das alles wissen? Für den aktuellen Fall deswegen, um solche Aussagen wie die oben zitierte richtig interpretieren zu können. Denn wenn man sich in Anbetracht der vorstehenden Erläuterungen die Aussage:

„Der Zins wird bei der Schöpfung des Kredits nicht miterschaffen.“

korrekt „übersetzt“ kommt auf einmal folgendes heraus:

„Die Wachstumsrate des Geldbetrages (= der Zins) wird bei der Erteilung des Kredits nicht miterschaffen.“

Das kann man nun auf zwei Arten interpretieren:

a) Die Aussage ist Unsinn, weil ja eine Wachstumsrate eben kein Geld ist und dieses Wachstumsrate als Geld aufgrund der Inkommensurabilität von Geld und Wachstumsraten durch den Kreditgeber eben nicht „miterschaffen“ werden kann.

oder

b) Die Aussage ist insofern richtig, weil mit der Krediterteilung die Wachstumsrate des Geldbetrages durch die Zinsvereinbarung mit festgelegt wird. Aber auch dann ist eine Wachstumsrate kein Geld.

Und wie kommt nun der arme Geldverleiher an das ihm zustehende Geld, welches er aufgrund des Zinsanspruchs bzw. Zinseinkommens zu erwarten hat? Richtig, er bucht eine Bestandsänderungsgröße, nämlich den ihm zufließenden Geldbetrag als Zugang zu seinem Geldvermögen.

Fazit: der grundlegende Anfängerfehler bei der Behandlung von Wachstumsraten und Bestandsveränderungen liegt darin, daß üblicherweise nicht sauber auseinandergehalten wird, worüber denn gerade eigentlich gesprochen wird. Im harmlosen Fall sind es solche Kuriositäten wie die eben diskutierte These einiger „Geldsystemreformer“, die ihren Irrtum tatsächlich als Schlüssel für den Entwurf eines „besseren“ Geldsystems aktiv verfechten (und damit nicht nur Menschen desinformieren, sondern auch ganz gut ihr Schäfchen ins Trockene bringen. Diese Blaupause haben die sich bei den „Zeugen“ abgeschaut.) Weniger harmlos wird die Geschichte dann, wenn die Verwechslung von Anspruch (Stromgröße) und Geldtransfer (Bestandsveränderung) dazu führt, daß manche Organisationen tatsächlich mit Hilfe „basisdemokratischer“ Mittel wie Volksabstimmungen versuchen den Banken etwas zu verbieten, was sie überhaupt nicht tun: nämlich „Geldschöpfung“ zu betreiben. Immerhin wird im Sommer dieses Jahres die Schweizer Bevölkerung dazu aufgerufen darüber abzustimmen, ob sie den Banken die „Schöpfung von Giralgeld“ verbieten wollen. Sancta Simplicitas!

Das liegt ähnlich wie bei der mangelhaften Differenzierung von Stromgrößen (Wachstumsraten) und Bestandsänderungsgrößen (Eingang des Einkommensanspruchs) an der in diesem Fall mangelnden Differenzierung zwischen Geldansprüchen bzw. Sichtforderungen (Falschbezeichnung: Giralgeld) und der tatsächlichen Verfügung über Geldansprüche (Überweisung = Ausübung eines Verfügungsrechts über Zentralbankgeld), die dann auch zu einem Transfer von Zentralbankgeld (und nicht nur von „Ansprüchen“) führt.

Man mag das alles als Glasperlenspiel empfinden, nur leider entscheidet sich an solchen „Kleinigkeiten“, ob es überhaupt noch zu einem sinnvollen ökonomischen Diskurs kommen könnte, der wenigstens ein bißchen den Anspruch erheben kann, eine (halbwegs) saubere terminologische (bzw. semantische) Grundlage zu haben. Für diejenigen, die das einmal geblickt haben wird die ökonomische Kommentatoren- und Wirtschaftsredakteurswelt auf einmal zu einer Fundgrube von Fehlleistungen: da braucht man auch keine Mickey Mouse mehr. Und man kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, daß die sich zu ökonomischen Sachfragen äußernden 99% bei der Buchhaltung bzw. der VGR nur geschnarcht haben.

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Disclaimer: Gedanken ins Unreine

stairway to heavenOder: Logische Typenlehre IV: Investition und Einkommen

Ich habe während meines gesamten VWL-Studiums nie verstanden, warum in der Einkommenentstehungsgleichung Y = C + I zwei Dinge miteinander addiert werden, obwohl sie eigentlich völlig unterschiedliche Sachverhalte adressieren. Denn C als der Konsum ist eine Nachfragegröße der Haushalte, welche auf dem Warenmarkt einen Rückfluß der Investitionen – wenn man mal auch die Lohnzahlungen als eine kurzfristige Investition ansieht, da auch Lohnzahlungen eben Zahlungen sind – bewirken, während auf der anderen Seite die Investitionen erst genau die Einkommen schaffen, die dann von den Haushalten auch ausgegeben werden können. Demgegenüber ist die Einkommenverwendungsgleichung Y = C + S unstrittig, weil sie lediglich die einfache Aufteilung des Einkommens auf die beiden möglichen Verwendungszwecke beschreibt: man gibt ein Einkommen entweder aus oder nicht, ‚tertium non datur‘!

Nun mag man überrascht sein, daß auch Lohnzahlungen als Investitionen gesehen werden können. Dazu kann man sich mal das Diktum vom alten Kruschwitz wieder ins Gedächtnis rufen: „Eine Investition ist eine Zahlungsreihe, die mit einer Auszahlung beginnt.“ Man darf das aber ruhig dahingehend interpretieren, daß auch die Auszahlungen, welche im Verlauf einer Investition getätigt werden, ebenfalls dieser Investition zuzurechnen sind, denn Investitionsprozesse sind nicht so idealtypisch gestrickt, daß einer Auszahlung am Anfang dann nur noch die Einzahlungen folgen. Interessanterweise wird das ja auch gelegentlich thematisiert:

„Investment is defined in macroeconomics to be that spending which is devoted to increasing or maintaining the stock of productive capital.“
http://bilbo.economicoutlook.net/blog/?p=20400
Aber darum gehts nicht.

Der Punkt ist, daß man sich fragen muß, warum diese Einkommenentstehungsgleichung so unhinterfragt von allen Volkswirten so übernommen wird, ohne daß irgendwer auf die Idee kommt, daß da Äpfeln mit Birnen zusammengerechnet werden. Meine Vermutung ist dahingehend, daß die VGR eine Periodenrechnung ist, welche aus ihrer Anlage heraus sich nicht um die Frage kümmert, welche Vorbedingungen oder Konsequenzen aus dieser Periodenbetrachtung entstehen. Denn wenn man VGR als Rechenwerk einer abgeschlossenen Periode interpretiert, muß man sich auch nicht dafür interessieren, daß in Vorperioden Dinge existieren, welche in die laufende Periode hineinspielen. Da reicht es sich die Zahlen anzusehen, um daraus eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung zu erstellen.

Möglicherweise ist diese Grundanlage der VGR damit zu begründen, daß auch die Rechenwerke der öffentlichen Hand im wesentlichen davon bestimmt sind, daß sie eine Einnahmen/ Ausgabenrechnung darstellen, welche sich ebenfalls nicht um die Belange kümmert, die aus einer dynamischen Betrachtung entstehen. So ist beispielsweise die Diskussion um die Staatsverschuldung daran geknüpft, daß sie im wesentlichen die Frage der aktuellen Finanzierungsbedingungen adressiert, und sich weniger um die Fragen Gedanken macht, die noch zu Zeiten eines Domar virulent waren.

Aber darum soll es hier nicht gehen. Die Frage die sich stellt ist, ob die aus ihrer Anlage heraus nicht-dynamische Konzeption der VGR nicht seit Jahrzehnten einem Mißverständnis Vorschub leistet, welches daraus resultiert, daß die verengte Betrachtungsweise den Schluß auf volkswirtschaftliche Grundgleichungen suggeriert, die aus ihrer Konstruktion heraus nicht dafür geeignet sind, die dynamische Natur des Wirtschaftsprozesses angemessen abzubilden. Denn wenn man sich bewußt die Identitäten der VGR ansieht wird ziemlich schnell klar, daß sie die Rückwirkungen der Bestandsrestriktionen nicht oder nur ungenügend adressiert, weil eine Periodenrechnung sich selbsterklärtermaßen nicht für Bestandsrestriktionen interessiert. Deswegen kann man durchaus davon ausgehen, daß für die VGR die Formel Y = C + I durchaus korrekt ist und sich damit keine weiteren Schlüsse auf die zugrundeliegenden Ursachen der Vorperioden ziehen lassen.

Möglicherweise ist das auch ein Grund dafür, daß die IS/LM-Modelle sich nicht dafür eignen, irgendwelche intertemporalen Entwicklungen abzubilden, weil sie aus einer statischen Gleichung heraus geboren sind. Denn wie bei dem Kinobeispiel ist es nicht automatisch garantiert, daß lokale Betrachtungen auch dann richtig sind, wenn sie mit ihrem Reaktionsumfeld konfrontiert werden. So werden in der VGR die aktuellen Einkommen dargestellt, ohne daß dabei eine Berücksichtigung stattfindet, ob sie in der laufenden oder der vorangegangenen Periode entstanden sind. Das muß die VGR auch nicht interessieren, denn als reine ‚flow‘-Rechnung kann sie sich diese Komplikation ersparen.

Dennoch ist eine unbesehene Übernahme der Einkommenentstehungsgleichung der Form Y = C + I deswegen nicht statthaft, weil damit automatisch Bestandsveränderungen integriert werden, die nicht in der aktuellen Periode zuzurechnen sind. Die Rede ist von den (monetär gesehen) Kreditrückzahlungen, welche sich in der unschuldigen Variable I verbergen. Denn I ist definitionsgemäß! die Nettoinvestition, welche ihren Counterpart – die Kredittilgung – nicht aus der Berechnung der aktuellen VGR-Zahlen deduzieren kann. Denn Kredittilgungen sind definitionsgemäß eine Angelegenheit der Kreditvereinbarungen von (mehreren) Vorperioden. Indem also eine IS/LM-Analyse auf diesen Grundgleichungen aufbaut, macht sie sich automatisch des Vergehens schuldig, die intertemporalen Aspekte der Investitionsrechnung zu ignorieren. Das macht denn auch ihr Desaster aus, weil eine Analyse der Entwicklung von Ökonomien sich nicht aus einer statischen Analyse, bzw. aus statisch deduzierten Grundgleichungen – ableiten läßt.

Die Frage der man sich stellen muß ist, ob man eine statische Wirtschaftstheorie pflegen will, oder ob man sich (selbst) zutraut, die dynamischen Aspekte von Ökonomie zu akzeptieren. Wenn man also die intertemporale Struktur von Ökonomie annehmen will wird es zwingend notwendig, die Einkommenentstehungsgleichung als

Y = Bruttokredite – Kredittilgungen + Löhne (als Kreislaufphänomen, welches aufgrund vorangegangener Kreditaufnahmen einen laufenden Posten reflektiert)

zu definieren. (Auch dabei ist nicht ganz klar, ob die laufenden Zahlungen mit den Zahlungen aufgrund der Bestandsveränderung der Investitonen einfach zusammengerechnet werden können!) Der Punkt dabei ist, daß von der VGR das laufende Einkommen völlig unbekümmert mit dem zusätzlichen Einkommen aus der positiven Nettoinvestition in einen Topf geworfen wird. Damit werden Bestandsaspekte und Wachstumsaspekte völlig unvoreingenommen in die gleiche Wirtschaftsrechnung integriert, ohne daß auch nur ein Gedanke daran verschwendet wird, woher die bilanzierten Einkommen überhaupt stammen.

Der Hänger daran ist, daß sich die üblicherweise als selbstverständlich akzeptierte Identität I = S in dieser Formulierung nicht mehr aufrechterhalten läßt, weil sich die Entscheidung über Investition oder nicht, nicht mit der Frage koppeln läßt, ob man ein gegebenes Einkommen konsumiert oder nicht. Denn I ist eine Entscheidung über zukünftige Entwicklungen, während S eine Angelegenheit vergangener Investitionsentscheidungen ist. Man kann es auch anders ausdrücken: ohne I kann S nicht existieren. Denn ohne daß sich Unternehmer dazu entscheiden, über Käufe von Faktorleistungen (incl. Arbeit) Investitionen zu tätigen (Kruschwitz plus), bleibt eine Betrachtung der Einkommensverwendung ohne jeden Belang.

Man kann es auch noch anders ausdrücken: wenn die Unternehmer nicht entscheiden, daß sie mehr Ausgaben tätigen wollen, als sie Kredittilgungen vornehmen, können die Haushalte machen was sie wollen: sie müssen entsparen, in dem Sinne, daß das Volumen der monetären Ersparnis sich zwangsweise der Investitionsentscheidung der Unternehmer anpassen muß.

Vielleicht muß man es noch anders ausdrücken: die monetäre Ersparnis ist abhängig davon, daß die Unternehmer Nettogeldausgaben tätigen! Denn ohne daß sich Unternehmer verschulden – und das tun sie bei jeder Lohnzahlung und  bei Sachausgaben sowieso – kann kein Einkommen entstehen. Wenn man das als Realität akzeptiert wird klar, daß die Frage der Ersparnis nicht so sehr davon abhängt, wie die Haushalte ihre Einkommenverwendungsentscheidung treffen. Denn in letzter Konsequenz können sie das nämlich nicht. Sicher: im Sinne des methodologischen Individualismus schon, nur hat man da die Rechnung ohne denjenigen gemacht, der für die Einkommenschaffung die entsprechende Schuldposition eingeht. Akzeptiert man das, geht die Logik der Einkommenschaffung von der Investition zur Ersparnis, als Restposten dessen, was zu den Unternehmen nicht zurückgeflossen ist. Und das auch als Kausalität: was die Unternehmer nicht als Einkommen schaffen, kann auch nicht gespart werden! (Könnte sein, daß Keynes sowas Ähnliches auch gesagt hat!)

Wird diese intertemporale Kausalität akzeptiert, ist es auch mit der hochwohlgelobten „Identität“ oder dem ‚ex ante‘ oder dem ‚ex post‘ der ganzen I = S Debatte ein für allemal vorbei! Denn statische Wirtschaftstheorie ist so wie „Die Sonne dreht sich um die Erde.“ Das muß endlich mal aufhören!

Also: ist es so, daß die VGR aufgrund ihrer periodenbezogenen Arbeitsweise die gesamte VWL auf eine falsche Fährte führt, weil sie die intertemporalen Aspekte der Investitionsprozesses nicht adressiert?

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