Homo Oeconomicus – Mißverständnisse der Erklärbären

2013-03-02 12.55.13Es gibt Dinge, die sind fast so alt wie das Menschengedenken und werden doch kaum hinterfragt, was wohl daran liegen muß, daß sie immer wieder abgeschrieben werden. Und das vor dem Hintergrund, daß diese mit diesen Fragen verbundenen Sachverhalte stets für die Erklärung substantieller Dinge herhalten müssen, wie z.B. für die Interpretation aktueller gesellschaftlicher Problemlagen. So ist denn auch die Diskussion um den ‚homo oeconomicus‘ davon geprägt, daß der damit assoziierten Handlungsweise eine Wirkung zugeschrieben wird, die sich aus der einschlägigen Theorie in keiner Weise herleiten läßt.

So kann man zwar den ‚homo oeconomicus‘ als ein theoretisches Konstrukt bezeichnen, welches zur Analyse eines spezifischen ökonomischen Problems herangezogen wird. So weit, so gut. Die Zuschreibung aller möglichen Motive ist soweit noch richtig, weil eine Präferenzordnung – wie es in der Theorie des allgemeinen Gleichgewichts konzipiert wird – grundsätzlich lediglich Konsistenzerfordernisse beinhaltet. Diese Konsistenzerfordernisse sind das, was in dieser Theorie als „rational“ bezeichnet wird und nicht irgendwelche mystischen Eigenschaften, die bis hin zur „Gier“ diese Rationalität in irgendeiner Weise moralisch zu interpretieren versuchen. Dasselbe gilt auch für irgendeinen Egoismus, dessen moralische Inferiorität stets als Grundproblem einer offenen Gesellschaft, bzw. einer Marktökonomie interpretiert wird. Bei den „ethischen Gefühlen“ ist es jedoch auch nicht besser!

Sobald dann aber argumentiert wird, Menschen seien keine rationalen Wesen und deswegen seien auf Märkten auch (gelegentlich) irrationaleErgebnisse zu verzeichnen, gerät die Diskussion geradewegs auf Abwege. Denn auch wenn es modern geworden ist, eine im negativen Sinne moralisch verbrämte Handlungsweise als Problem von Marktgesellschaften hinzustellen steht eine solche Diagnose im diametralen Gegensatz zu ausgerechnet der Theorie, die dafür die Grundlage liefern soll.

Das liegt schlichtweg daran, daß die Zentralaussage des marktwirtschaftlichen Modells in gröblicher Weise mißinterpretiert wird. Denn der Erklärungsinhalt der Theorie der Marktwirtschaft ist nicht, wie sich Individuen gegenüber anderen Individuen besserstellen können, sondern ob es eine Gleichgewichtskonstellation gibt, welche die gegebenen Präferenzrelationen der Individuen zu einem konsistenten Ganzen verknüpft, in dem Sinne, daß sich niemand mehr bei dem gleichgewichtigen (relativen) Preissystem in seiner persönlichen Lage verbessern kann. Das Erklärungsproblem ist also nicht die Frage nach individuellen Handlungsoptionen, sondern nach der Lösung eines Koordinationsproblems, welches aus gegebenen Anfangsbedingungen abgeleitet wird. Wenn man so will ist das Individuum in dieser Theoriekonzeption lediglich eine passive Entität, die auf die Veränderungen des Preissystems mit einer Anpassung reagiert – das Stichwort „Mengenanpasser“ sollte zumindest jedem vertraut sein, der irgendwann mal in einer anständigen Vorlesung über Makroökonomie gesessen hat – falls nicht, dann eben jetzt.

Um es mal polemisch zuzuspitzen: die Vorstellung, daß Menschen handeln würden hat nichts mit dem Modell zu tun, welches als zentral für die Marktwirtschaft interpretiert wird. Denn dort handeln sie nicht, sondern fügen sich ergeben in die Vorgaben, die als Preissignale von einem anonymen „Markt“ auf sie einprasseln. Was man dabei jedoch berücksichtigen sollte ist der Umstand, daß es niemanden gibt, der diesen „Markt“ verkörpert, weil es niemanden gibt, der in dieser Welt die Preise gestalten kann. (Mengenanpasser eben!) Heißt: das markwirtschaftliche Modell garantiert nichts anderes, als daß es bei „rationalen“ (widerspruchsfreien) Präferenzen die Möglichkeit(!) gibt, daß es zu einem allgemeinen Gleichgewicht kommt – mehr nicht!

Alle anderen Zuschreibungen hinsichtlich der Effizienz der marktwirtschaftlichen Wirtschaftsweise oder deren Eigenschaften entspringen im besten Fall der persönlichen Kenntnis über marktwirtschaftliche Funktionsbedingungen oder schlechtestenfalls aus phantasievollen Zuschreibungen und Allegorien – jedoch nicht aus einer theoretischen Grundlage, die sich in der allgemeinen Gleichgewichtstheorie manifestiert. Kenner der Materie werden wissen, daß F.Hahn als ein zentraler Protagonist dieser Theorie sich stets dagegen gewehrt hat als Prophet aller möglicher Zuschreibungen der „Marktwirtschaft“ in Anspruch genommen zu werden.

Anders formuliert: der ‚homo oeconomicus‘ kann nicht handeln, weil seine Funktion als Mengenanpasser ihn zu einer passiven Figur der sozialen Koordinationsveranstaltung „Marktwirtschaft“ degradiert. Deswegen sind auch alle Vorstellungen über ein „rationales Handeln“ reine Phantasieprodukte soweit sie sich auf die Theorie der Marktwirtschaft beziehen – es mag ja so etwas durchaus geben, was aber daraus folgt läßt sich in keiner Weise aus der zugrundeliegenden Theorie ableiten.

Es gab mal eine Zeit in der bekannt war, daß das Zentralmodell der Marktwirtschaft eigentlich eher die Probleme abbildet, die im Modell der Planwirtschaft mit den Optimierungsproblemen der „material-technischen Versorgung“ verknüpft sind. Denn dort wurde explizit versucht die Preisrelationen zu bestimmen, die zu einer konsistenten Zuliefererkette führen sollte – natürlich nach Maßgabe planwirtschaftlicher Outputvorgaben. Wie man weiß ist die Sache schiefgegangen und muß auch nicht noch einmal wiederholt werden. Warum sich jedoch die führenden Protagonisten der Marktwirtschaft auf ein Modell beziehen, welches lediglich eine konsistente Begründung für die Wettbewerbspolitik liefert (Mengenanpasser!), weiß der Fuchs – und vielleicht auch der noch nicht mal. Der ‚homo oeconomicus‘ kann es auch nicht wissen!

12 Kommentare

Eingeordnet unter Ordnungspolitik, Wirtschaftstheorie

12 Antworten zu “Homo Oeconomicus – Mißverständnisse der Erklärbären

  1. Im Rahmen eines umfangreichen Artikels über den Einfluss von Software im Allgemeinen und auf der Spieltheorie basierenden Programmen im Speziellen auf unser Leben habe ich den Homo Oeconomicus-Beitrag lobend erwähnt: http://www.pc-ab-50.de/wie-weit-wollen-wir-software-ueber-unser-leben-entscheiden-lassen.html

  2. Pingback: Warum die Wirtschaftswissenschaft keine Prognosen abgeben kann - Iromeisters Abenteuerreise

  3. Vandermonde

    Ich frage mich jedoch manchmal, ob das nicht zu einfach ist. Denn unabhängig von den Zusammenhängen wurden die Begriffe sicher nicht völlig zufällig gewählt. Aus dem Anspruch den die Ökonomie formuliert und aus ihrer öffentlichen Selbstdarstellung als Beschreibungs- und Analyseinstrument realer (!) Verhältnisse ergeben sich nun einmal politische Konsequenzen. Und hier kann sich die Ökonomie nicht hinter die Maßgabe des Modells zurückziehen. D.h. die Bedeutung liegt nicht nur in dem was die Ökonomie nach Gutdünken definiert oder nicht definiert, sondern auch in dem was im politischen Diskurs verstanden wird.

    Und wenn man manchen Ökonomen (wie im vorigen Link z.b) so zuhört fordern sie aus diesen eigentlich irrealen Theorien eben leider reale politische Konsequenzen.

    Zu dem Plan Wirtschaftsmodell im letzten Absatz würden mich nähere Informationen interessieren, da mir bis jetzt nicht bewusst war, dass sich die Ökonomie auf solche Aspekte konzentrierte (vielleicht im Zuge des kalten Krieges?)

    • Was soll Ökonomie denn sonst tun, wenn nicht sich auf halbwegs empirisch abgesicherte theoretische Erkenntnisse zurückziehen? Und leider gibt es wie man seit der Schlamperei von Rein/Rog weiß auch dann keine Verläßlichkeit.

      Egal wie man dazu steht ist es jedoch immer vonnöten sich klarzumachen, ob irgendeine Politikempfehlung tatsächlich sich darauf berufen kann, aus dem geltenden Modell der Marktwirtschaft abgeleitet zu sein, oder ob es sich nicht doch eher um schöngeistige Erfindungen von gutbezahlten Märchenerzählern handelt, die mit ein paar ausgeliehenden ökonomischen Begriffen irgendwelche politischen Interessen befördern wollen. Hält man Ökonomie für eine Wissenschaft, muß sich jeder, der sich darauf beruft daraufhin prüfen lassen, ob seine Vorstellungen der ökonomischen Theorie entstammen – oder nichts anderes als heiße Luft sind.

      Sobald man aber dieses tut werden selbst selbsternannte Qualitätsblätter für ökonomische Berichterstattung wie die FAZ zu echten Comic-Heftchen! 🙂

      (Nochmal: was man so für „real“ hält ist zu 99% durch eine theoretische Brille gefiltert. Oder umgekehrt: versuchen Sie zu beweisen!, daß Sie keine! vorgeprägte Auffassung davon haben, was da draußen so die „Realität“ sein soll!)

      • Vandermonde

        In der Hinsicht war ich vielleicht ungenau. Ich meine mit real / irreal eigentlich Erkenntnisse auf Basis wissenschaftlicher Methodik im Sinne der Empirie. Denn das grundlegende ökonomische Modell, dass Sie so gut beschreiben, basiert in seiner Methodik eigentlich auf philosophischen Überlegungen. Wenn man sich Smith, Keynes, Marx usw. ansieht findet man eben genau nicht empirisch, statistisch basierte Untersuchungen mit darauf folgenden Validierungs- bzw. Falsifizierungsprozessen.

        D.h. die Ökonomie ist eigentlich Philosophie im Schafsgewand einer Physik.

        • Sie müssen da etwas auseinanderhalten: die Versuchung sich auf eine vermeintlich „wahre“ Empirie zu verlassen ist ein weitverbreitetes Mißverständnis. Denn was (wie auch immer) gemessene Zahlen „sagen“ ist davon abhängig, mit welchem Denkmuster man an diese „Wahrheit“ herangeht. So waren die Informationen der Sternforschung in früheren Zeiten, die dazu geführt haben, daß man die Erde als Mittelpunkt der Welt betrachtete keine anderen als diejenigen, die dazu geführt haben die Sonne als Mittelpunkt (wenigstens) des Sonnensystems zu betrachten. Was dabei den Unterschied ausgemacht hat ist die Denkweise über die Daten – und nicht die Datenlage selbst. Mit anderen Worten: die Empirie war nie und wird nie der Schiedsrichter darüber sein, der entscheiden könnte, welche Theorie wahr oder welche falsch ist. Machen wir uns nichts vor: die geozentrische Weltsicht ist nicht falsifiziert worden, weil sie aufgrund der Relativität von Raumpunkten genauso „wahr“ ist wie die heliozentrische Version. Der Unterschied ist nur, daß letztere mathematisch/ physikalisch einfacher zu beschreiben ist.

          Was die Ökonomie angeht sieht es so aus, daß der ‚mainstream‘ immer noch das bislang einzige allgemein „akzeptierte“ Paradigma der Ökonomie ist, weil es bis jetzt noch nicht (öffentlich) herausgefordert wurde und zwar auf einer Ebene, die methodologisch, mathematisch, systemtheoretisch und auch soziologisch und nicht zuletzt auch handlungstheoretisch, geschweige denn kommunikationstheoretisch ebenbürtig ist. Aus gut Deutsch bedeutet das, daß es erst mal um ein konsistentes Denkmuster geht, bevor man sich daran macht den Datenwust versuchsweise anders interpretieren zu können, als es der ‚mainstream‘ tut.

          Die Sache mit der „Falsifikation“ von Theorien anhand der vermeintlich unbestechlichen Daten ist ein übler methodologischer Irrtum, denn wie wollen Sie denn Daten interpretieren, wenn nicht anhand einer Theorie darüber, wie diese zu interpretieren sind? Sehen Sie sich noch mal die Parabel vom Höhlengleichnis an. Man stellt fest, daß man aus dieser Höhle nicht herauskommen kann. Was bleibt ist ein Konstruktivismus, der versuchen kann eine möglichst plausible Erklärung für die Phänomene der großen weiten Welt zu finden. Das Einzige worauf man sich verlassen kann ist, ob das Interpretationsmuster für die „Realität“ – und um ein solches handelt es sich auch beim ökonomischen ‚mainstream‘ – in sich konsistent ist oder nicht. Dann denkt man wenigstens nicht falsch – auch wenn es für viele Sachfragen nicht angemessen sein mag.

          Ob das was mit Philosophie zu tun hat? Kann sein – aber auch das hilft nicht wirklich weiter…

    • Konstanz Vogel

      Vandermonde
      18. November 2014 um 15:25

      „D.h. die Ökonomie ist eigentlich Philosophie im Schafsgewand einer Physik.“

      Oder wie Brodbeck meint eine Ethik.
      http://www.khbrodbeck.homepage.t-online.de/inter.htm

  4. >Dann denkt man wenigstens nicht falsch – auch wenn es für viele Sachfragen nicht angemessen sein mag.> Sie sprechen es ja selbst an: Neben der Konsitenz gibt es die Frage der Relevanz, die über eine Theorie entscheidet. Der Pokerspieler, der die Kombinatorik beherrscht, weiss genau wieviele Kombinationen aus 5 Karten sich bei einer Gesamtmenge von 54 Karten bilden können. Er weiss sogar die relative Häufigkeit, die er den Kombinationen zuordnen muss. Sein Modell des Pokerspiels ist in sich konsitent und doch würde er es nie wagen für sein System eine Relevanz zu behaupten, wenn es, sagen wir, um die Erforschung des Schachspiels geht. Das ist aber exakt das, was die Ökonomen machen. Sie nehmen den Mietvertrag einer Sache als Grundlage ihrer „Kapitalmarkt-Theorie“: Gegen Entgelt (Zins) wird das Kapital (Boden,etc.) auf Zeit übertragen. Ja, wenn man diesen Mietvertrag korrekt modelliert, dann wird die „Kapitalmarkt-Theorie“, die darauf aufbaut, in sich konsistent sein. Man muss nur hoffen, dass man nie eine Prüfung im Leben ablegt, die heisst: Modellierung des Kreditverhältnisses. Denn dann sagt der Lehrer: „Themenverfehlung, keine Relevanz, Nicht genügend, Setzen!“. Es ist so wie überall im Leben: Wer dem „common sense“ widerspricht, braucht nicht auf Milde hoffen.

  5. Wenn man es überspitzt formuliert, dann haben die Ökonomen neoklassischer Provenienz nie etwas anderes getan, als das Dasein Robinson Crusoe`s und Freitag`s auf ihrer einsamen Insel in allen möglichen Vertragsvariationen zu durchleuchten und zu modellieren. Diese Aufgabe haben sie gelöst, konsistent und widerspruchsfrei, auch wenn sie manch dogmatische Annahmen über menschliches Verhalten dazu benötigten. Es ist verdammt viel Kraft in diese Aufgabe geflossen, und weil so viel Energie hineingeflossen ist, verlangen sie nun Anerkennung und Applaus. Gut, so soll es sein. Bravo, ihr habt es gelöst! Und weiter?

  6. Pingback: Nutzen, Be-nutzen, Verlangen und Abneigung - Iromeisters Abenteuerreise

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