Monatsarchiv: Juni 2013

Der „Geld ist Kredit“-Spezialfall

Lago di GardaManchmal stößt man auf Beiträge, die vielversprechend anfangen und sich dann doch wieder in den alten Mißverständnissen verheddern. So gibt es eine Videofolge von dem von mir geschätzten Dirk Bezemer, die sich damit beschäftigt, wie das mit dem Geld nun eigentlich ist. Zunächst scheint er auf einem guten Weg zu sein, indem er erklärt, daß bei dem Komplex Geld und Schulden erst die Schulden existierten und später erst das Geld zum Vorschein kam. Das kann man tatsächlich so sehen, wenn man davon ausgeht, daß Schulden zunächst auf reale Gegenleistungen ausgestellt waren und die Einführung von abstrakten Wertzeichen erst eine spätere Entwicklung darstellt. Was dabei jedoch nicht zulässig ist: die stillschweigende Auslassung, daß auch Schulden, die vor der Existenz eines allgemein verwendeten Geldzeichens entstanden sind, eine Erfüllungsgrundlage benötigen, so daß sowohl Gläubiger als auch Schuldner wissen, auf welche Art diese Schuld wieder getilgt werden kann. Denn es geht kein Weg daran vorbei zu erkennen, daß Schulden stets dadurch definiert sind, daß sie einen Erfüllungsgegenstand haben müssen, damit sie überhaupt als Schuld anerkannt werden können. Kurz gesagt: eine Schuld ohne Erfüllungsgegenstand ist keine Schuld, auch in grauer Vorzeit nicht!

Was dann kommt ist leider das übliche Mißverständnis, daß nach der Einführung von Banken die Erzeugung von Geld bereits damit geschehe, daß eine Bank einen Kredit einräumt und dieses „Giralgeld“ dann zur Bezahlung eines Maserati verwendet werden könne. Das gipfelt bei 10:40 in der Aussage: „Lending does create new money.“ Des weiteren wird noch suggeriert, daß Zahlungen tatsächlich lediglich durch Übertragungen von „Giralgeld“ erfolgen könnten und der Grundsatz, daß eine Schuldvereinbarung ein Erfüllungsmedium braucht, damit sie auch erfüllt werden kann, völlig aus dem Blickfeld gerät. Und wenn dann in der ‚conclusion‘ erklärt wird: „We use bank debt as money.“ ist der Punkt erreicht, wo man sich fragen kann, warum es nicht möglich ist, die simpelsten Grundsätze des Wirtschaftslebens auch in die Ökonomie einfließen zu lassen. Daß dieser Irrtum weit verbreitet wird, läßt sich anhand der Kampagne von ‚positive money‘ recht schön ersehen, wo die gleichen Widersprüche permanent wiederholt werden, so als würde der dadurch involvierte Widerspruch irgendwie wahrer.

Das Ärgerliche an der ganzen Sache ist, daß damit die elementaren Grundsätze nicht nur des bürgerlichen Rechts ignoriert werden, sondern auch wirtschaftliche Selbstverständlichkeiten zugunsten einer vermeintlichen Erkenntnis neutralisiert werden. Denn wenn man sich zu der Aussage versteigt, daß eine Schuld keinen Erfüllungsgegenstand braucht, wird der Begriff der Schuld zu einer Leerformel, deren Inhalt dann ganz nach Belieben gefüllt werden kann. Zu allem Überfluß werden damit die hierarchisch strukturierten Ebenen des Geschäftsbankenkredits und des Zentralbankkredits munter durcheinander gewürfelt.

Nun geht es hier nicht darum einen durchaus geschätzten Wissenschaftler zu diskreditieren, zumal er sich mit dieser Version von „Giralgeld“ in durchaus prominenter Gesellschaft befindet. Es soll anhand dieser Geschichte eher herausgestellt werden, daß es durchaus einen Spezialfall gibt, in dem diese Version von Geldtheorie tatsächlich gültig ist. Dieser Spezialfall ist vor 90 Jahren als didaktische Übung verwendet worden und trägt die schöne Bezeichnung „Monobank“! Derzeit wird dieser Begriff eher mit sozialistischen Bankverhältnissen in Verbindung gebracht, wo es gewissermaßen nur eine einzelne Staatsbank gibt, die sämtlichen Zahlungs- und Kreditverkehr abwickelt. Um dieses Konzept der Monobank für diese Analyse nutzbar zu machen muß jedoch noch zusätzlich die Bedingung gelten, daß es kein Bargeld geben darf und damit Zahlungsvorgänge ausschließlich aufgrund buchhalterischer Transaktionen möglich sind. Nur in einem solchen Szenario ist es legitim davon zu sprechen, daß eine Übertragung von Forderungen von der (einzigen) Staatsbank an die (einzige) Staatsbank zu einer Tilgung der zugrundeliegenden Schuld führt.

L.A. Hahn hat jedoch das didaktische Beispiel „Monobank“ dafür verwendet zu zeigen, daß die Erschaffung von Zahlungsfähigkeit nicht an eine vorangegangene „Ersparnis“ gekoppelt ist, die von der üblichen Wirtschaftstheorie stets als Grundvoraussetzung der Kreditvergabe gesehen wird. Wenn man so will gibt es in diesem Szenario nur eine Zentralbank, wobei dann natürlich gilt, daß die Verbindlichkeiten, welche diese Zentralbank eingeht, tatsächlich das ultimative Zahlungsmittel darstellen, da es hierbei auch keine Möglichkeit gibt die Auszahlung einer Forderung in Bargeld zu verlangen. Das wird dadurch entbehrlich, daß die Verbindlichkeit einer Zentralbank genau deswegen das ultimative Zahlungsmittel darstellt, weil es gerade durch diese passivische Natur zu einer Nicht-Verbindlichkeit wird. Nur weil man mit dieser Nicht-Verbindlichkeit der Zentralbank schuldbefreiend zahlen kann, läßt sich für diesen extremen Grenzfall formulieren, daß die Erteilung eines Kredites bereits die Schaffung von „Geld“ darstellen würde.

Man könnte nun meinen, daß die gelegentlichen Tendenzen zur Abschaffung des Bargeldes zu einem derartigen Zustand hinführen würden und sich nach weiterer evolutionärer Entwicklung des Banksystems dieses geldpolitische Nirvana schließlich einstellen würde. Leider scheitert dieser Schluß daran, daß private Geschäftsbanken ihr Hauptbetätigungsfeld darin finden zuzusehen, wie sie die eigene Liquiditätslage anhand der selbst eingegangenen Forderungen und Verbindlichkeiten so gestalten, daß sie den Anforderungen des Bankrechts nachkommen können, jederzeit ein ausreichendes Liquiditätspolster aufzuweisen bzw. sich jederzeit ausreichend und zu einem „erträglichen“ Zinssatz refinanzieren zu können, um niemals illiquide zu werden. Denn wie man weiß sind die Fälle, in denen Banken keine ausreichenden Liquiditätspolster besitzen, mit denen sie ihre aktuellen Zahlungsverpflichtungen erfüllen können, nicht so selten.

Leider beißt sich dieser ärgerliche Umstand mit der Theorie, daß das, was die Geschäftsbanken im Kreditvertrag vereinbaren, bereits „Geld“ sein soll – zumindest wenn es um nicht sozialistische Verhältnisse im Banksystem geht und man anzuerkennen gewillt ist, daß die Zweistufigkeit des Banksystems nicht eine launige Marotte von Geldsystemkonstrukteuren gewesen ist, sondern ihre Sinnhaftigkeit daraus zieht zu gewährleisten, daß die angeschlossenen privaten Banken einer einheitlichen Bonitätspolitik folgen.

Man kann es drehen und wenden wie man will: was in grauer Vorzeit schon galt, daß nämlich ein Schuldversprechen durch einen genau definierten Erfüllungsgegenstand getilgt werden können muß, gilt auch bei der „Schöpfung“ von „Giralgeld“ im Zuge der Kreditgewährung bei Banken! Geldschuld ohne den Schuldgegenstand Geld (Basisgeld) geht nun mal nicht. Eigentlich ganz einfach!

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Ist Ökonomie ein System?

GeckosSystemtheoretische Aspekte von Ökonomie

Der Begriff des sozialen Systems läßt sich damit in Verbindung bringen, daß salopp gesagt eine Gruppe von Akteuren eine Interaktionsweise pflegt, die sich als gruppenspezifischer Sinn interpretieren läßt. Damit setzt eine Diskussion ökonomischer Zusammenhänge als System eine Betrachtung darüber voraus, welche Charakteristika ein ökonomisches Modell aufzuweisen hat, um vor den Normen der modernen Systemtheorie als System akzeptierbar zu sein. Dabei läßt sich zunächst feststellen,  daß der Anspruch der allgemeinen Gleichgewichtstheorie, Ökonomie auf eine systemtheoretische Basis zu stellen und Ökonomie damit als Wissenschaft zu etablieren durch den Umstand eingegrenzt werden muß, wenn man feststellt, daß es sich bei derartigen Modellen um Quasi-Systeme handelt:

„Quasi-Systeme entstehen aus der elementaren Interaktion von Anwesenden.“ (Willke 1987, S. 51)

Die elementare Interaktionsfigur der Neoklassik ist der Tausch, wobei die Tauschrelationen durch eine zentrale Koordinationsinstanz, die Fiktion des Auktionators, etabliert werden müssen. Die angebliche Geschlossenheit des neoklassischen Modells erweist sich also bei näherem Hinsehen in systemtheoretischer Perspektive als Glaubenssatz, bzw. als unhinterfragte Affirmation der methodischen Grundlage, nur individuelle Entscheidungen als ökonomisch bedeutsam zu interpretieren, deren Koordination einer Instanz übertragen werden muß, weil bei Berücksichtigung der Optimalitätsanforderungen von Gleichgewichtsmodellen die individuelle Orientierung an gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtsnotwendigkeiten ausgeschlossen ist. Diese Kluft zwischen Anspruch und Bedürfnis nach Geschlossenheit läßt sich durch derartige ad—hoc Annahmen wie das „Gesetz von Angebot und Nachfrage“ oder die ‚hidden hand‘, die eine Gesellschaft zu einem wohlfahrsökonomikschen Optimum führt, nicht letztgültig überbrücken und verweist eher darauf, daß zur Koordinierung ökonomischer Handlungen mehr vonnöten ist, als purer Glaube an die Stabilitätseigenschaften von Märkten.

„Eine über die Mitglieder hinausgehende zusätzliche Systemidentität und eine bewußte, innere wie äußere Identifikation der Mitglieder mit dem System bildet sich erst aus mit der Verdichtung des Quasi-Systems zum System.“ (Willke 1987, S. 53)
„Daß Sozialsysteme auf der Basis von Sinn organisiert sind, klingt zunächst überraschend. Denn wir sind gewohnt, in Anlehnung an biologische Modelle auch vom Gleichgewicht oder vom Überleben eines sozialen Systems als letztem Bezugspunkt der Analyse auszugehen.“ (Willke 1987, S. 29)

Dabei ist die Frage was Sinn bzw. Nicht—Sinn konstituiert daran gebunden, daß ein Kriterium existiert, welches das sinnhafte vom nicht-sinnhaften Umweltereignis unterscheidet.

„Die Systemgrenze sozialer Systeme kann verstanden werden als der Zusammenhang selektiver Mechanismen, die auf einer ersten Stufe der Differenzierung von System und Umwelt die Kriterien setzen, nach denen zwischen dazugehörigen und nicht-dazugehörigen Interaktionen unterschieden wird. … Da soziale Systeme nicht aus konkreten Menschen, sondern aus Kommunikationen bestehen, kann im Anschluß an Max Weber die gemeinsame sinnhafte Orientierung wechselseitig verstehbaren Handelns als Grundbedingung eines systemischen Zusammenhangs von Interaktionen betrachtet werden. Nimmt man im Anschluß an Luhmann hinzu, daß Sinn eine selektive Beziehung zwischen System und Umwelt beinhaltet, dann bezeichnet Sinn in allgemeiner Weise die Ordnungsform sozialen Handelns: intersubjektiv geteilter Sinn grenzt systemspezifisch ab, was als sinnvoll und was als sinnlos zu gelten hat.“ (Willke 1987, S. 30)

Die Abgrenzung dessen, was als Äußeres bzw. als Inneres eines Systems gelten soll, bestimmt dann die Normen nach denen Systeme funktionieren.

„Die Präferenzordnung eines sozialen Systems bezeichnet den Zusammenhang sinnhaft-symbolisch konstituierter regulativer Mechanismen, welche die Transaktionen zwischen System und Umwelt steuern. … Denn erst die Leistung spezifischer Selektionen aus den überkomplexen Möglichkeiten der Umwelt erzeugt die Differenz zwischen System und Umwelt, die das System zum System macht. Diese Selektionsleistung ist funktional bezogen auf das Problem der Ausbildung und Erhaltung einer bestimmten Systemidentität angesichts bestehender Zwänge und Zufälle der relevanten Umwelt. Die Steuerung der Selektion von Umweltdaten durch eine nach Sinnkriterien gebildete Präferenzordnuug ist Bedingung der Möglichkeit der Systembildung.“ (Willke 1987, S. 31)

Die Konstituierung von Systemzusammenhängen bedarf aber noch eines Mediums, eines äußeren Ausdrucksmittels, um die Zugehörigkeit eines Ereignisses zum System entscheiden zu können.

„Soziale Interaktionen sind sinnhaft orientiert, wenn ihr Bedeutungsgehalt durch ein Repertoire verbindlicher Symbole (Symbole hier verstanden als generalisierte Interaktions- und Zurechnungsregeln) gesteuert und sie mithin aufeinander bezogen und dadurch in zeitlich offene, verstehbare Handlungsketten verwoben werden können. Die Frage nach dem Sinngehalt von Interaktionen erlaubt dann die Unterscheidung von solchen, die in bezug auf ein bestimmtes Symbolrepertoire dazugehören und solchen, die nicht dazugehören. Sinnhaft konstituierte Symbole sind die — inhaltsanalytisch und hermeneutisch zu erfassenden – Merkmale, die für einen bestimmten Handlungszusammenhang stehen und auf ihn verweisen.“ (Willke 1987, S. 35)

Diese Heraushebung von systeminternen und systemexternen Vorgängen hängt mit der Schwerpunktverlagerung der modernen Systemtheorie zusammen, die damit ihr Erkenntnisobjekt redefiniert:

„Die neuere Systemtheorie ist eine Theorie der Beziehungen zwischen Systemen und Umwelt in dem Sinne, als sie die herkömmliche analytische Isolierung von Einzelsystemen überwinden will und Systeme immer nur im Zusammenhang mit ihrer jeweiligen Umwelt zu erfassen sucht. Dies bedeutet zunächst, daß der Systembegriff der neueren Systemtheorie nicht mehr nur ein Netz von Beziehungen bezeichnet, welches Teile zu einem Ganzen zusammenordnet; vielmehr wird unter System ein Netz zusammengehöriger Operationen verstanden, die sich von nicht-dazugehörigen Operationen abgrenzen lassen. In der Bestimmung des Systems wird also das Nicht-dazugehörige als Umwelt immer schon mitgedacht und mithin in der Auseinandersetzung des Systems mit seiner Umwelt das grundlegende Problem gesehen. Denn die spezifische Problematik seiner Umwelt macht für ein bestimmtes System überhaupt erst erkennbar, welche interne Systemstruktur zu welchen Zwecken und mit welchen Stabilisierungs- und Veränderungschancen funktional sein kann. Die Ordnung eines Sozialsystems wird damit zum relationalen Begriff und auf ihre Zwecke abfragbar. … Mit dieser Neuorientierung wird auch deutlicher, daß die Systemtheorie nicht auf die Analyse von Gleichgewichtsprozessen beschränkt ist …“ (Willke 1987, S. 37f)

Der entscheidende Grund der zu dieser Trennung von Innen— und Außenwelt als Grundgedanke der modernen Systemtheorie geführt hat, ist in den Mechanismen zu suchen, die es überhaupt erst erlauben von einem zwar interaktionsfähigen aber im Prinzip abgeschlossenen System zu sprechen. Die grundlegende Idee dabei ist, daß ein System essentiell zwei Aufgaben bewältigen muß, wobei die Interaktionsfähigkeit mit der Umwelt bzw. die Verarbeitung und Selektion relevanter Umweltdaten bereits angesprochen wurde.

„Das von den Biologen Maturana und Varela entwickelte Autopoiese—Konzept bezieht sich auf die Beobachtung, daß es offensichtlich Systeme gibt, die sich selbst reproduzieren; und zwar sich selbst reproduzieren nicht nur im herkömmlichen Sinne der genetischen Replikation in der Generationenfolge, sondern in dem sehr viel spezifischeren Sinne einer kontinuierlichen gegenwärtigen Selbsterzeugung des eigenen Systems. Autopoietische Systeme sind operativ geschlossene Systeme, die sich in einer ‚basalen Zirkularität‘ selbst reproduzieren, indem sie in einer bestimmten räumlichen Einheit die Elemente, aus denen sie bestehen, in einem Produktionsnetzwerk wiederum mit Hilfe der Elemente herstellen, aus denen sie bestehen (Maturana, 1982). Etwas vereinfacht ausgedrückt: ein autopoietisches System reproduziert die. Elemente, aus denen es besteht, mit Hilfe der Elemente, aus denen es besteht. … Und genau daraus folgt das eigentlich Aufregende: lebende oder autopoietische Systeme erscheinen nun entgegen dem systemtheoretischen Grundpostulat der notwendigen Offenheit lebender Systeme in ihrem Kernbereich, in ihrer inneren Steuerungsstruktur als geschlossene Systeme. In der Tiefenstruktur ihrer Selbststeuerung sind sie geschlossene Systeme, also gänzlich unabhängig und unbeeinflußbar von ihrer Umwelt. Wird diese operative Geschlossenheit zerstört, so bricht ihre Autopoiese zusammen, sie hören auf als lebende Systeme zu existieren. … Das Autopoiese—Konzept ist wichtig, weil es gegenüber der einseitigen Betonung der Umwelt-Abhängigkeit von Systemen deren interne Strukturdeterminiertheit primär setzt. Damit kommt ins Blickfeld, daß Systeme zunächst und vor allem ihre eigene Kontinuierung organisieren müssen, um als Systeme in Beziehungen zu ihrer Umwelt treten zu können. … Größere Schwierigkeiten bereitet es, auch soziale Systeme als autopoietische zu begreifen. Grundlage einer solchen Konstruktion ist die Annahme, daß soziale Systeme nicht aus einer Ansammlung von Menschen bestehen, sondern aus dem Prozessieren von Kommunikationen. … Soziale Systeme bilden sich auf der Grundlage von Kommunikationen. Für ihre Kontinuität ist fortlaufende Kommunikation unerläßlich. … Streng analog (zu biologischen Systemen, R.M.) können soziale Systeme dann als operativ geschlossen angesehen werden, wenn sie semantische Strukturen ausbilden, die die in ihnen ablaufenden kommunikativen Operationen auf selbstreferentielle, rekursive Umlaufbahnen zwingen. Diese Bedingung ist für die Gesellschaft als dem Gesamtzusammenhang aneinander anschließbarer Kommunikationen qua Definition gegeben. Für gesellschaftliche Teilsysteme und andere soziale Systeme aber nur dann, wenn sie Spezialsemantiken ausbilden …“ (Willke 1987, S. 43-47)

Damit sind Begrenzung und Dynamik die beiden Facetten eines einheitlichen Prozesses, wobei deren interne gegenseitige Bedingtheit ein System von seiner Umwelt absondert, wodurch es sich gewissermaßen selbsttätig etabliert und abgrenzt:

„Die eigentümlichste Charakteristik eines autopoietischen Systems ist, daß es sich sozusagen an seinen eigenen Schnürsenkeln emporzieht und sich mittels seiner eigenen Dynamik als unterschiedlich vom umliegenden Milieu konstituiert.“ (Maturana/Varela 1987, S. 54)

Steuerungs— und Kommunikationsfunktionen des Finanzsystems

Mit der Auflistung der Anforderungen, die die Systemtheorie an soziale Systeme stellt, ist im wesentlichen bereits vorgezeichnet, durch welche Elemente das ökonomische System repräsentiert wird. Werden soziale Systeme nach der Prozessierungsform von Sinn unterschieden, so läßt sich damit die These aufstellen, daß auf makroökonomischer Ebene die Sinngebung durch die Operationsweise des Finanzsystems etabliert wird und damit auch die entsprechende Kommunikationsform über (absolute) Preise und die für dieses System relevanten Interaktionen, die (Geld-) Zahlungen, festgelegt sind. Mit dieser These wird in gewisser Weise dem Ausgangspunkt der Marx’schen Vorstellungen über das Wesen des kapitalistischen Produktionsprozesses nachträglich Referenz erwiesen, indem die Postulate der orthodoxen Ökonomie, repräsentiert durch die W-G-W Formel, zugunsten des kapitalistischen G-W-G‘  Schemas der Marx’schen Theorie ins Abseits gestellt werden. Dabei braucht der Fundamentalsatz der Nationalökonomie vom Konsum als Endzweck allen ökonomischen Handelns nicht preisgegeben zu werden, wenn nachgewiesen werden kann, daß derartige Vorstellungen nicht mit der hier vertretenen Konzeption, das ökonomische System als durch Finanzbeziehungen charakterisiert zu sehen, kollidieren müssen. (Daß kreditgeldtheoretisch gesehen der Schluß von G auf G´ unzulässig ist und eher auf einer Verwechslung der Phänomenologie von Zinsen mit den grundlegenden Funktionsbedingungen des Kreditgeldkapitalismus beruht, macht dieses Modell letztlich als Analyseinstrument für den Kreditgeldkapitalismus unbrauchbar.) Selbst wenn die Marx’sche Formel noch nicht ausreichend ist, um das ökonomische System in der Gesamtheit zu erfassen, weist sie doch auf einen entscheidenden Sachverhalt hin, auf den das oben skizzierte Autopoiese—Konzept sinnvoll angewandt werden kann.

„Die Ausdifferenzierung von sozialen Systemen erfordert die Schließung eines selbstreferentiellen Verweisungszusammenhangs für alle Operationen des entsprechenden Systems. Bei allem, was wirtschaftlich geschieht, also der Wirtschaft als System zurechenbar ist, muß demnach Selbstreferenz mitlaufen. Die Kommunikationen der Wirtschaft müssen sich als wirtschaftlich ausweisen, damit man sie nicht falsch interpretiert, etwa als auf Intimität zielenden Annäherungsversuch auffaßt; sie müssen, was immer sie sonst leisten, immer auch das Wirtschaftssystem selbst reproduzieren. Andererseits ist diese Geschlossenheit des selbstreferentiellen Zirkels nie als ein Sachverhalt für sich möglich; sie kann nur als mitlaufende Selbstreferenz eingerichtet werden.“ (Luhmann 1983, S. 154)

Übertragen auf die finanzielle Sphäre bedeutet dies, daß eine ökonomische Handlung im hier verstandenen Sinne von Ökonomie sich durch die Verkettung mit einer Zahlung ausweist und somit unentgeltliche Leistungen, obwohl sie aus wohlfahrtstheoretischen Gesichtspunkten für eine Gesellschaft eine immense Bedeutung genießen, sich nicht als ökonomisch relevant ausweisen. Die Transaktion Ware gegen Geld reflektiert aber nur auf der phänomenologischen Ebene das, was die Interaktion der Geldsphäre mit der Gütersphäre ausmacht, und ist damit der allfällige Ausdruck der Interaktion des Finanzsystems mit seiner Umwelt. Insofern bleibt die Fixierung auf die Tauschmittelaufgabe des Geldes lediglich eine oberflächliche Betrachtungsweise, die sich mit dieser Annäherung an das Geldproblem letztlich immer an die Tauschökonomie, und als Folge davon stets an die Quantitätstheorie festklebt. Die Betrachtung der selbstreferentiellen Tiefenebene ergibt dagegen, daß letztlich nicht Geld gegen Ware, sondern Geld gegen (kalkulierten) Geldwert getauscht wird, es also bildlich gesprochen bei der Erreichung eines Umsatzziels in letzter Konsequenz nicht darauf ankommt was verkauft wird, sondern wieviel und zu welchem Preis. Eine Zahlung ist also nicht schon deswegen als ökonomisch zu interpretieren, wenn dabei ein Gut den Besitzer wechselt, sondern es ist noch zusätzlich erforderlich, daß dabei das Geldsystem auf sich selbst verweist, d.h. wenn eine Zahlung ein Defizit, repräsentiert durch die Verbindlichkeiten des betreffenden Wirtschaftssubjektes, abbaut oder begründet. Die Öffnung des internen Verweisungszusammenhangs besteht somit in der Etablierung einer Schuldposition eines Unternehmers, die Schließung dementsprechend in dem Rückfluß der Auszahlungen über den Umsatz, wobei je nach Höhe der Rückflüsse die Reproduktion des Schuldverhältnisses vorgenommen wird oder nicht.

„Produktion ist nur Wirtschaft, Tausch ist nur Wirtschaft, wenn Kosten beziehungsweise Gegenzahlungen anfallen. Dann realisiert der Vorgang einen Verweisungskontext, der auf Güter und Leistungen, auf Wünsche und Bedürfnisse, auf Folgen außerhalb des Systems Bezug nimmt; und zugleich einen anderen, in dem es nur um Neubestimmungen der Eigentumsverhältnisse an Geld, also an Möglichkeiten der Kommunikation innerhalb des Systems geht. Diese mitlaufende Selbstreferenz ermöglicht durch ihre Geschlossenheit die Offenheit des Systems. ‚L’ouvert s’appuie sur le ferme.‘ Die Sicherheit der Selbstverweisung ist Bedingung des Ausgreifens in die Umwelt.“ (Luhmann 1987, S. 155)

Genauer formuliert: die Sicherheit der Selbstverweisung ist nicht selbstverständlich, da eine Zahlung nur dann für Ökonomie relevant ist, wenn sie auf diesen Verweisungszusammenhang trifft, sprich: wenn sie zu ihrem Entstehungsort, der Bilanz einew verschuldeten Wirtschaftssubjektes zurückkehrt. Aus diesem Grund sind Zahlungsmittelumschichtungen zwischen Haushalten, deren Charakteristikum die Geldvermögensbestände der Aktivseite sind, für diesen speziellen relevanten Verweisungszusammenhang irrelevant. Etwas weniger abstrakt bedeutet das: das Ausgreifen des Finanzsystems in die Umwelt ist nur dann zu erwarten, wenn sich Investitionen lohnen und damit die Erweiterung des internen Verweisungszusammenhangs über eine höhere Krediteinräumung das Ausgreifen in die Umwelt noch weiter steigert. (Das verweist auch auf den Umstand, daß sich auf Wertpapiermärkten genau die Tauschoperationen abspielen, welche die allgemeine Gleichgewichtstheorie für das allgemeine Prinzip des Wirtschaftens hält – ein sonderbarer Fehlschluß!)

„Ein System, das auf der Basis von Zahlungen als letzten, nicht weiter auflösbaren Elementen errichtet ist, muß daher vor allem für immer neue Zahlungen sorgen. Es würde sonst von einem Moment zum anderen schlicht aufhören zu existieren. Und dabei geht es nicht um die abstrakte ‚Zahlungsfähigkeit‘, die sich aus dem Besitz liquider Mittel ergibt; es geht also nicht um eine relativ konstante Größe, sondern um die konkrete Motivation zur Zahlung und ihren aktuellen Vollzug. Die Wirtschaft ist demnach ein ‚autopoietisches System‘, das die Elemente, aus denen es besteht, selbst produzieren und reproduzieren muß. Der adäquate Bezugspunkt für die Beobachtung und Analyse des Systems ist daher nicht die Rückkehr in eine Ruhelage, wie Theorien des ‚Gleichgewichts‘ suggerieren, sondern die ständige Reproduktion der momenthaften Aktivitäten, eben der Zahlungen, aus denen das System besteht.“ (Luhmann 1987, S. 155)

Obwohl diese Sätze einen richtigen Kern beinhalten, bleiben sie jedoch auf der phänomenologischen Ebene stehen, denn wären Zahlungen allein schon konstitutiv für die Selbstreferenz des Finanzsystems, so wären diese Gedanken auch auf das Konzept der allgemeinen Gleichgewichtstheorie übertragbar, da die Bereitstellung von Außengeld über Staatsverschuldung den Haushalten dasjenige Kommunikationsinstrument zur Verfügung stellt, welches den autopoietischen Charakter des Finanzsystems bereits sicherstellen soll.

Die allgemeine Gleichgewichtstheorie hat aber mit Autopoiese nichts zu tun, da sie auf der Güterebene einen Reproduktionsgedanken zugunsten des Erstausstattungs- und Allokationskonzepts lediglich indirekt thematisiert und bei der Kommunikations- und Koordinationsfrage sich auf Unwissen, dokumentiert durch Auktionator und ‚invisible hand‘ berufen muß, bzw. alternativ konsequent durchgeführt, den Koordinationsteil dieser Theorie mit Hilfe der rationalen Erwartungen in die Köpfe der Wirtschaftssubjekte verpflanzt. Dagegen hat Sraffa in seinen Produktionsgleichungen immerhin für die physische Ebene eine Reproduktionstheorie entworfen und in gewisser Weise eine Unternehmergesellschaft postuliert, die ihre Kalküle nach einem Geldzinssatz ausrichten (vgl. Sraffa 1976, S. 56), beschränkt sich aber dann auf formale Analyse von linearen Gleichgewichtssystemen und hält sich bei der Koordinationsfrage gleichermaßen bedeckt.

In beiden Fällen läßt sich jedoch gleichermaßen die Vorstellung eines Tauschmittels formulieren und integrieren, ohne daß damit belegt wäre, daß die Zahlungen den selbstreferentiellen Kern der Ökonomie ausmachen würden. Im Gegenteil sind derartige Zahlungen an die Gleichgewichtslösungen gebunden, und sind damit nur der institutionelle Reflex vorgegebener Tauschverhältnisse, ganz im Sinne der W-G-W Formel, die ja dann auch auf einen nichtkapitalistischen gesellschaftlichen Kontext hinweist. Demgegenüber ist der kapitalistische Vergesellschaftungszusammenhang über die finanzielle Sphäre vermittelt, so daß sich damit die Sprache des Geldes als die relevante Kommunikationsebene erweist, die es letztlich ermöglicht, daß ein allgemeiner gesellschaftlicher Konsens über die Kriterien der Verteilung von Gütern hergestellt werden kann. Dieser Konsens ist insbesondere dann herstellbar, wenn die Schaffung von Kredit mit der Verpflichtung verbunden ist ein Güter- oder Leistungsangebot zu machen, was gerade dann der Fall ist, wenn der gebilligte Kredit zu Investitionszwecken Verwendung findet, und damit die Ausweitung des Investitions- bzw. Kredit- und gegebenenfalls Geldvolumens keine Inflation, sondern ein expandierendes Güterangebot bei steigendem Nachfragepotential schafft. Die Existenz dieses Kausalzusammenhangs rechtfertigt die Akzeptanz des G-W-G Schemas als allgemeines Koordinationsinstrument der verschiedensten Tätigkeiten des wirtschaftlichen Lebens. Die autopoietische Qualität des Finanzsystems ist dabei eher sekundär an eine erfolgreiche Produktion im Sinne des Grenzproduktivitätskonzepts, sondern primär an eine erfolgreiche Vermarktung der Waren bzw. Produktionswerte gebunden, so daß Produktivität und Marketing und Vertrieb die realökonomischen Spiegelbilder des Systemaspekts „Rückfluß der Investitionsausgaben“ sind, welche die Erhaltung der Investition und damit des Zahlungsstroms sicherstellen (sollen).

Damit bleibt noch zu diskutieren, welches die treibende Kraft, bzw. sozusagen der genetische Code ist, der die Systemstruktur lebendig bzw. dynamisch erhält. Die Antwort darauf ist in dem Umstand zu finden, daß es unmöglich und unnötig ist eine Kreditgeldökonomie gesamtwirtschaftlich wieder zu liquidieren, da in letzter Konsequenz Zinszahlungen stets in dem Geld geleistet werden müssen, in dem auch der Kredit zu tilgen ist. Diese vertraglich festgelegte praktische Unerfüllbarkeit eines einzelnen(!) Kreditvertrages läßt sich als treibender Impuls bzw. als primärer Reproduktionsanreiz identifizieren, da die Erfüllung des gesellschaftlichen Mißerfolgskriteriums, die Insolvenz, mit individuellen Nachteilen verschiedenster Art gekoppelt ist. Dieser Sachverhalt verweist auch unmittelbar auf den sekundären Reproduktionsimpuls, den Gewinn, dessen abgeleiteter Charakter sich dadurch ergibt, daß er mindestens die Höhe der Zinszahlungen erreichen mußte, um das finanzielle Lebensfähigkeitskriterium zu erfüllen. (Das einzelwirtschaftliche Problem des „fehlenden Zinses“ löst sich in einem dynamischen Kontext ohnehin in einem logischen Rauchwölkchen auf!)

Die zugrundeliegende Interpretation von Geld als Vermögen aus individueller Perspektive erweist sich denn auch als der eigentliche Grund für eine Dominanz des Gewinnmaximierungskalküls der Unternehmen über das Nutzenmaximierungskalkül der Haushalte. Der perspektivische Wechsel dieser Theorie zu einem abstrakten Erfolgskriterium gegenüber dem Realkriterium Nutzen der ‚mainstream‘-Ökonomie bedeutet trotz des primären Reproduktionsinteresses an monetären Größen nicht, daß damit ein Konsumziel als treibendes Motiv ökonomischen Handelns ausgeschlossen wäre. Im Gegenteil bedeutet ja die erfolgreiche Reproduktion von ausgegebenem Finanzvermögen nicht nur eine mögliche Fortsetzung des Investitionsprozesses, sondern auch je nach Gewinnhöhe eine unmittelbare Zugriffsmöglichkeit auf Güter. Die Dominanz der Unternehmen über die Haushalte aufgrund der Verfügung über das gesellschaftlich akzeptierte ökonomische Kommunikationsmittel schließt dabei eine Realisierung von Tauschgewinnen der Haushalte untereinander nicht aus, verweist aber gleichzeitig auf den abgeleiteten Charakter haushaltsinterner Transaktionen und klassifiziert derartige Vorgänge zwar nicht als ökonomisch unsinnig, jedoch als in Bezug auf die Erhaltungsbedingungen einer Kreditgeldökonomie als irrelevant: Der Tausch ist hinsichtlich des Finanzsystems neutral!

Die Fassung des Zinses als zentralem Reproduktionsimpuls der finanziellen Sphäre bedeutet auch, daß Luhmann sich ein grobes Mißverständnis leistet, wenn er schreibt:

„Für die Systemtheorie ist es eine geläufige These, daß komplexe Systeme Instabilitäten schaffen müssen, um den Problemen Rechnung tragen zu können, die sich aus der Erhaltung von geordneter Komplexität in einer noch komplexeren und weniger geordneten Umwelt ergeben. Diese Aussage läßt sich auch umkehren: Instabilitäten lassen sich in Systemen nur halten und gegen Verhärtung schützen, wenn eine hinreichend komplexe Umwelt besteht, die überraschende Informationen auslöst, welche durch Inanspruchnahme systeminterner Instabilität, hier also durch Änderung der Preise, verbraucht werden können. … Die Funktionssysteme gewinnen an Autonomie, werden in sich komplexer, benötigen infolgedessen höhere Instabilitäten und müssen selbst für deren Kontrolle sorgen. In der neueren Zeit werden hierfür zwei verschiedene Lösungswege bereitgehalten. Beide haben ein Prinzip gemeinsam: sie überlassen die Kontrolle der Instabilität Instabilitäten anderer Art. Die eine Möglichkeit ist: die Kontrolle des Fluktuierens der Preise über Geldkosten laufen zu lassen. Die Verteuerung des Kredits limitiert das Steigen der Preise. Die Schranken von Instabilität werden im Wirtschaftssystem selbst geregelt, und zwar durch Instabilitäten einer höheren Ebene der Reflexivität: durch den Preis nicht für Waren, sondern durch den Preis für Geld. Die andere Lösung liegt im Rückgriff auf die Instabilitäten eines anderen Funktionssystems; sie nimmt kollektiv bindende Entscheidungen des politischen Systems in Anspruch.“ (Luhmann 1987, S. 159f)

Wie man aus leidvoller Erfahrung weiß, sind die Instabilitäten des politischen Systems, sprich: eine öffentliche Preiskontrolle, stets eine Einladung an alle Wirtschaftssubjekte gewesen in solchen Fällen reichhaltig Umgehungsmöglichkeiten zu erfinden oder auf Schwarzmärkte auszuweichen. Die Kontrolle der Fluktuation der Preise ist dagegen viel effizienter: es ist schlichtweg der Grad der Nachfrageelastizität, der ein Steigen der Preise ins Uferlose verhindert, und somit die „Institution der Konkurrenz“ durch die Souveränität der Nachfrage Preisfluktuationen direkt und spielend begrenzt, und damit eine Konkurrenzwirtschaft sich als notwendiges Gegengewicht zur potentiellen Despotie einer Industriemonopolisierung etabliert.

Aus systemtheoretischer Perspektive bietet sich viel eher eine Interpretation des Zinses in Zusammenhang mit den ihn konstituierenden Schuldverhältnissen an: die nominal fixierten Passivpositionen in den Bilanzen bilden quasi das Gedächtnis des Finanzsystems, welches in Verbindung mit dem Zins die Aktionen der betroffenen Individuen für die Zukunft steuern, ihnen, genauer gesagt, einen bestimmten Aktionsraum aufzwingt, insofern, als geleistete Zinszahlungen die Bonität der Schuldverhältnisse anzeigen und eine Fortführung des Schuldverhältnisses angezeigt erscheinen lassen, falls nicht müssen die systemkonformen Konsolidierungsprozesse einsetzen, um das Kreditportfolio in seiner Bonität nicht absinken zu lassen.

„Die Zunahme zeitlicher Komplexität ist demnach eine zweite Bedingung der Notwendigkeit einer Fortentwicklung des Quasi-Systems zum System. Es bedarf schärfer strukturierter Verfahren und genauer abgestimmter Prozesse, um die kontingent werdenden zeitlichen Verknüpfungsmöglichkeiten zwischen den funktional differenzierten Rollen und Teilen gemäß den Präferenzen und Relevanzen des Gesamtsystems einzuschränken und auf eine verbindliche Systemzeit zu synchronisieren. Wieder fällt auf, daß die Möglichkeit einer Steigerung der zeitlichen Komplexität auf einer strategisch ansetzenden Reduzierung beruht: der Reduzierung frei fließender Weltzeit auf prozessual synchronisierte Systemzeit.“ (Willke 1987, S. 66)

So gesehen fängt das ‚mainstream‘-Konzept kontingenter Zukunftsmärkte zwar den Aspekt der zeitlichen Differenzierung ein, ohne daß jedoch damit die Konstituierung einer eigenen Systemzeit außerhalb der elementaren Präferenzen der Haushalte vollzogen wäre. Gegenüber dieser anarchischen zeitlichen Strukturierung der Gleichgewichtstheorie, steuert der Zins in der Kreditgeldökonomie die zeitliche Dimensionierung des wirtschaftlichen Abrechnungsprozesses und koordiniert damit die realen Handlungsmuster der angekoppelten realwirtschaftlichen Aktivitäten.

„Mit der Einrichtung geregelter Prozesse als temporaler Ordnungsform kontrolliert das Quasi-System die Folgewirkungen der internen funktionalen Differenzierung und erreicht damit eine neue evolutionäre Stufe der Komplexitätsverarbeitungskapazität.“ (Willke 1987, S. 67)

Perspektivische Nachbemerkungen

Die Wohlfahrt einer Gesellschaft in ökonomischer Hinsicht wird bestimmt von der Gesundheit des zugrundeliegenden Finanzsystems. Dieser Satz faßt in aller Kürze die Quintessenz des vorstehenden Posts zusammen und beinhaltet schon deswegen nicht nur eine uninteressante Trivialität, weil eine ökonomische Orthodoxie, die von der Neoklassik bis zum neueren Marxismus reicht, seit über 200 Jahren die Dominanz der Gütersphäre über den Geldschleier zu predigen nicht müde wird. Und insbesondere eine Entwicklungstheorie, die auf einer realwirtschaftlichen Basis gebaut ist, zeigt in unerfreulich deutlicher Weise, wie durch falsche Konzepte und Theorien mit bestem Gewissen und lauteren Absichten eine Katastrophe nach der anderen angestellt werden kann. Demgegenüber erweist sich ein funktionierendes Kreditgeldsystem als das effizienteste Steuerungsmittel, wenn es darum geht für einen gesellschaftlichen Rahmen eine Kohärenz der Individualaktionen zu erzeugen. Das Kreditsystem fungiert somit als das informale Band, welches geeignet ist, einer Gesellschaft den ökonomischen Zusammenhalt zu liefern, welcher als eine Grundbedingung der Stabilität des übergeordneten Gesellschaftssystems anzusehen ist.

Diese Einsicht in die Zusammenhänge moderner Ökonomien bedeutet auch die endgültige Abkehr von einem Gleichgewichtsbegriff, für den die Balance widerstreitender Kräfte die Grundlage des Raisonnements abgibt. Die wesentliche Änderung in der Analyse der innergesellschaftlichen Beziehungen besteht darin, nicht mehr die Konfrontation als das Gegeneinander im Tauschprozeß, sondern die Kooperation in der Produktion in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken, um damit die Defizite der statischen Gleichgewichtsvorstellung zu kompensieren.

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EZB und BVG: Romanze mit Hindernissen

BastionWenn Ökonomie auf Jura trifft geht es meistens um Auslegungsfragen, die sich daraus ergeben, daß Wirtschaft sich zwar in einem juristischen Korsett befindet, die ökonomischen Lebenslagen jedoch vielfältiger sind, als es sich die juristischen Regeln gemeinhin vorstellen können. Vorbildlich in dieser Hinsicht ist das BGB, welches ökonomische Sachverhalte in abstrakter Weise regeln konnte, ohne mit wirtschaftlichen Realitäten in Konflikt zu geraten. (Daß die ökonomische Kommentatorenwelt den Unterschied zwischen Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft in Zusammenhang mit Geld und Kredit immer noch nicht auf die Reihe bekommt, wird wahrscheinlich daran liegen, daß die Grundkurse „Bürgerliches Recht“ und „Buchhaltung“ den meisten als vernachlässigbare Esoterik-Themen erscheinen.)

Anscheinend ist diese noble Tradition in Verruf gekommen, was sich seit geraumer Zeit in dem Konflikt zwischen der EZB und dem BVG zeigt. Dabei zeichnet das Gesetz über die EZB verantwortlich, weil das eindimensionale Mandat zwar den Konflikt der FED vermeidet,  auch noch für einen hohen Beschäftigungsstand sorgen zu müssen, jedoch keinen mandativen Spielraum für krisenähnliche Aktionen bietet, die es erlauben würden, auf das Phänomen zu reagieren, was hier schon mal unter dem Label „europäische Geldspaltung“ diskutiert wurde. Dieses besteht essentiell daraus, daß es zwar eine einheitliche europäische Geldpolitik geben soll, diese jedoch auf der anderen Seite mit divergierenden Philosophien zu tun hat, was die Frage der Qualität der Behandlung von notleidenden Kreditforderungen zu tun hat. (Konsolidierung vs. Weiterfinanzierung!) Dazu müßte sie eigentlich ein Mandat haben, für unterschiedliche nationale Zentralbanken auch unterschiedliche Zinssätze einzufordern – eine Option, die gerade der ursprünglichen Intention bei der Errichtung der EZB widersprechen würde, schließlich wollte man damit dem „Zinsdiktat der Bundesbank“ entkommen.

Dabei gibt es zwei Szenarien: das eine, welches vermeintlich von 2000 bis 2007 bestand, wo die Refinanzierungsbedingungen EURO-weit einheitlich waren, obwohl es (für Bankiers, nicht für Banker) vergleichsweise bekannt ist, daß ein durch Immobilien oder Infrastruktur induzierter „Wirtschaftsaufschwung“ stets zu folgeschweren Konsequenzen führen kann – und meistens ist das so. Zum anderen ist dann, wenn es wie gegenwärtig um die Bewältigung „leichtfertiger“ Kreditvergabe geht – was mit dem Begriff „Bilanzrezession“ umfassend beschrieben ist – die Handlungsweise der EZB davon geprägt, daß sie dringend Ersatzmaßnahmen dafür erfinden muß, weil sie um die Restriktion „einheitliche Geldpolitik“ herumkommen muß! Dabei ist die vieldiskutierte Maßnahme, die Zinsen in der EURO Zone zu senken, vergleichsweise wirkungslos, weil Konsolidierungsbemühungen sich durch sinkende Zinsen noch nie haben beeindrucken lassen, während auf der anderen Seite die sinkenden Zinsen in keiner Weise – insbesondere bei den „Sparernationen“ – als Segen empfunden werden.

Vor diesem Hintergrund ist die Kontroverse zwischen der EZB und dem BVG von einer unnachahmlichen Kuriosität geprägt.  Denn aus juristischer Perspektive entscheiden zu wollen, ob die EZB im Rahmen ihres Mandats handelt, ist letztlich keine richterlich zu entscheidende Frage, sondern eine Frage der Gültigkeit sozialer Relationen, die auch unter den Label Kreditvertrag bekannt sind. Nun sollen juristische Normen soziale Fragen regeln, das können sie allerdings nur dann, wenn sie abstrakt genug formuliert wurden, um genügend Flexibilität aufzuweisen, um unterschiedliche Sachverhalte auch entsprechend adressieren zu können. Das ist bei der Gesetzgebung hinsichtlich der EZB nie der Fall gewesen. Wen wundert das, die Handschrift der Bundesbank hinsichtlich der ungeliebten EZB ist ja mehr als deutlich!

Damit wird aber auch das Problem der EZB mit der Verhandlung des BVG hinsichtlich der Bewertung der Staatsanleihenkäufe der EZB in Bezug auf das deutsche Grundgesetz deutlich, denn Art. 88 GG ist eindeutig ausformuliert:

„Der Bund errichtet eine Währungs- und Notenbank als Bundesbank. Ihre Aufgaben und Befugnisse können im Rahmen der Europäischen Union der Europäischen Zentralbank übertragen werden, die unabhängig ist und dem vorrangigen Ziel der Sicherung der Preisstabilität verpflichtet.“

So gesehen müßte die EZB eigentlich für nichts mehr sorgen, denn ihr Ziel der „2%-Stabilität“ ist mit Hilfe merkwürdiger statistischer Verfahren zumindest offiziell eingehalten. Nun kommt ihr aber das Phänomen der „europäischen Geldspaltung“ in die Quere. Denn wenn EURO-weit die Vermögenssicherungsqualität der „Nord“-Banken als höher eingeschätzt wird, als die der „Süd“-Banken, wird automatisch die Finanzierungsfähigkeit der „Süd“-Banken in einer Weise beschränkt, die an sich nur die „normale“ Folge der mangelhaften Kreditqualität der  „Süd“-Banken widerspiegelt, womit(!) das „Konkurrenzfähigkeitsproblem“ der „Süd“-Länder manifestiert wird, was es sonst nicht geben würde – der Kapitalverkehrsfreiheit sei Dank(!?). Sichtbar wird dies bei den TARGET-Salden, die im wesentlichen lediglich die „Verteilung des Zentralbankgeldes“ in der EURO-Zone widerspiegeln, womit angezeigt wird, daß die Einkommen, die in den „Süd“-Ländern während des „Süd“-Booms erzielt worden sind, keine Lust darauf haben, wegen irgendwelcher Bankenpleiten in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Das Zypern-Beispiel ist dabei nur die Bestätigung der schon lange gehegten Befürchtungen, daß Geldvermögen in den „Süd“-Ländern vor einem Zugriff der staatlichen Behörden nicht so wirklich sicher ist.

Richtig witzig wird die Geschichte aber dann, wenn die EZB sich anschickt, die „Verteilung des Zentralbankgeldes“ alias die „TARGET-Salden“ als Begründung dafür heranzuziehen, daß ihre Handlungsweise hinsichtlich der bisher nur angekündigten OMT-Käufe geldtheoretisch geboten ist. Denn obwohl die „Verteilung des Zentralbankgeldes“ lediglich eine Vermögensbestandshalteentscheidung privater Akteure ist, wird damit für die EZB eine geldpolitische Zwangslage erzeugt, die sie aufgrund der eigentlich prizipiell gleichen Geldpolitik für die gesamte EURO-Zone an sich nicht durchhalten kann. Natürlich muß sich die EZB um die Zinsunterschiede im EURO-Raum kümmern, allein durch die eindimensionale juristische Aufgabenstellung hat sie dazu eigentlich kein Mandat.

Was macht sie also? Richtig! Da die in Deutschland vorherrschende Meinung über die TARGET-Salden dahin geht, diese als Forderung an die „Süd“-Länder zu interpretieren, rechtfertigt sie ihre Handlungsweise damit, daß sie ja dafür sorgen würde, daß es den befürchteten Austritt eines EURO-Landes aus der EURO-Zone damit nicht gibt, der ja dem allgemeinen Dafürhalten nach zu einer Abschreibung der TARGET-Salden führen müßte. Das läßt sich leicht aus folgendem herauslesen:

„Entscheidend ist, daß die TARGET2-Salden für ein sehr geringes Risiko stehen. Die TARGET2-Salden sind Buchpositionen, die weder fällig werden noch einer Neubewertung unterliegen. Das Ansteigen der TARGET2-Salden hat daher keine Auswirkungen auf die Gewinn- und Verlustrechnung der Europäischen Zentralbank und der nationalen Zentralbanken. Eine Neubewertung der TARGET2-Salden wäre allenfalls dann erforderlich, wenn ein Mitgliedstaat aus dem EURO-Währungsraum ausschiede.“ (S. 50 EZB-Gutachten)

Wenn die TARGET-Salden aber Ausdruck der grenzüberschreitenden Verteilung von Zentralbankgeld sind, können sie auch dann kein Risiko darstellen, wenn ein Mitgliedstaat ausscheidet. Daher wird auch die Formulierung „…für ein sehr geringes Risiko stehen…“ und nicht, wie es eigentlich richtig wäre, „…kein  Risiko sind“ verständlich! Das geringe Risiko bezieht sich hier auf das Ausscheiden eines Landes, nicht auf eine etwaige Umbewertung der TARGET-Salden! Denn die müssen nicht umbewertet werden, da ja ein TARGET-Saldo anzeigt, daß eine Zentralbank das fragliche Zentralbankgeld ja tatsächlich erhalten hat, was am besten dadurch erkannt werden kann, daß sie die entsprechenden Verbindlichkeiten gegenüber den anspruchsberechtigten Privaten ja vollumfänglich akzeptiert! Denn z.B. die Bundesbank würde eine Forderung gegen die EZB niemals als Zahlung akzeptieren, wenn die EZB keine Zentralbank wäre. Da muß man sich schon entscheiden: ist die EZB nun eine Zentralbank oder nicht?

Es ist schon lustig: ein Nicht-Problem wird zu einer zentralen Verteidigungslinie der EZB, weil sie sonst nicht weiß, wie sie ihre Aktionen, die niemals durch ihr Mandat gerechtfertigt wären, überhaupt begründen sollte. Warum muß sie so handeln? Weil die „Einheitlichkeit der Geldpolitik“ im EURO-Raum ihr die Einwirkungsmöglichkeiten versagt, die eigentlich angebracht wären – eine differenzierende Zinspolitik, die auf die regionalen Besonderheiten der jeweiligen Länder abgestimmt wäre – diese Möglichkeit ist durch juristische Verklausulierungen gründlich vernichtet worden. Mal sehen, ob diese Bauernschläue vor dem BVG Bestand hat. Wahrscheinlich hat sie! Schließlich sitzen da ja bloß Juristen…

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