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Nachgedacht: monetäre Markttheorie

Berlin-MitteDie ökonomische Theorie einer Gesellschaft hat zu definieren, wie sie das Aktivitätsniveau einer Ökonomie bestimmt. Dieser Satz markiert den Anspruch, der von der Neoklassik als ‚mainstream‘ der ökonomischen Theorie vorgegeben wird. Die nutzengesteuerte Bestimmung der relativen Preise im Zusammenhang mit der Theorie von Angebot und Nachfrage erzeugt ein gesamtwirtschaftliches Aktivitätsniveau, welches stets als allgemeines Gleichgewicht etikettiert wird. Dabei ist zu motivieren, wie es zu einem Aktivitätniveau kommen kann, welches sich aus Handlungen von Individuen ergibt, die unabhängig voneinander Entscheidungen treffen.

Dabei sieht es für die Individuen einfach aus: sie brauchen lediglich Entscheidungen im Rahmen ihrer Budgetrestriktion zu treffen, müssen aber nicht die Restriktionen, die andere Wirtschaftssubjeke einzuhalten haben, ebenfalls berücksichtigen. Das heißt auf gut Deutsch, daß die Rückwirkungen, die individuelle Entscheidungen bewirken von den Individuen selbst überhaupt nicht berücksichtigt werden und somit Individuen keine gesamtwirtschaftlichen Effekte berücksichtigen können. Wie sollten sie es auch können?

Wenn aber Individuen nur mikroökonomische Entscheidungen treffen können ergibt sich die Frage, wie aus voneinander unabhängigen Entscheidungen ein gesamtwirtschaftliches Aktivitätsniveau abgeleitet werden kann. Das ist die zentrale Frage der VWL als Wissenschaft! Die einzige Antwort auf diese Frage wurde bisher von der allgemeinen Gleichgewichtstheorie gegeben. Dabei geht sie davon aus, daß jedes Individuum alle Entscheidungen aller anderen Individuen bei sich selbst berücksichtigt. Ein Nachweis dafür, daß diese Vorstellung keine funktionsfähige Wirtschaftsordnung erzeugen kann, dürfte sich erübrigen – selbst die ‚hidden hand‘ wäre dabei überfordert!

Dabei wird dort die nicht zulässige Unterstellung gemacht, daß die globale Budgetrestriktion aus der Gesamtheit der Einzelentscheidungen der Individuen entsteht. Diese Vorstellung entsteht durch den Kunstgriff, die Handlungsoptionen der Individuen daran zu ketten, indem die tauschbare Erstausstattung als vorgegeben gesetzt wird. Das hat zur Folge, daß damit die globale Budgetrestriktion a priori vorgegeben ist. Genau dieser Umstand ermöglicht es der allgemeinen Gleichgewichtstheorie als Paradetheorie der Marktwirtschaft ein globales Aktivitätniveau abzuleiten und zu argumentieren, daß die Funktionsweise des Preismechanismus dieses Gleichgewicht garantiert.

Einer der wenigen Versuche dem etwas entgegenzustellen ist der Ansatz des monetären Keynesianismus von Hajo Riese, wo versucht wird die Budgetrestriktion des Marktsystems auf einer monetären Grundlage zu definieren. Der Grundansatz ist dabei darin zu sehen, daß erst die Verfügung über Geld zu einer Bewirtschaftung der Ressourcen (einschließlich der Ressource Arbeitskraft) führt und somit das volkswirtschaftliche Aktivitäteniveau aus monetären Bedingungen abgeleitet werden soll. Damit wird das keynesianische Element aufgegriffen, welches die monetäre Investition zum zentralen Bestimmungsfaktor der Ökonomie macht. Denn in einer Ökonomie, die auf Kooperationsbeziehungen und nicht auf elementare Tauschhandlungen abstellt ist die Verwendung eines sozialen Abrechnungssystems eine ‚conditio sine qua non‘, also eine unabdingbare Notwendigkeit, was schon durch das Stecknadelbeispiel von A. Smith eindrücklich illustriert wird.

Aus dieser Perspektive gibt es in einer arbeitsteiligen Ökonomie im wesentlichen zwei Märkte, den Finanzmarkt einerseits, sowie den Finanzerwirtschaftungsmarkt alias Gütermarkt andererseits. Der von der Neoklassik so mystifizierte Arbeitsmarkt ist damit lediglich ein Appendix des Finanzmarktes, weil die Beschäftigung von Ressourcen wie Rohstoffe und Arbeitskraft ebenso einem finanzwirtschaftlichen Kalkül unterliegt wie eine Investition in Maschinen und Zwischenprodukte.

Eine Investition, also eine Zahlungsreihe, die mit der Ausgabe von Geld beginnt (Kruschwitz), ist dabei immer von Geldvermögensinteressen geprägt, weil die Erwartung über die Wahrscheinlichkeit monetärer Verluste/ Gewinne die Investitionsbereitschaft steuert. Dabei muß man sehen, daß nicht nur die Gruppe der Unternehmer, sondern auch die Banken mittelbar diesem Verlustrisiko unterliegen, so daß die Beziehung Unternehmer – Bank die zentrale prekäre Relation einer monetären Ökonomie darstellt.

Das ist deswegen der Fall, weil der Markt zur Erwirtschaftung des Schuldendeckungsmittels – der Warenmarkt alias Gütermarkt – darüber entscheidet, wie hoch die Investitionsbereitschaft (und damit der Grad der Ökonomisierung der Ressourcen) der Gruppe der Unternehmer ist. Es ist damit das Zusammenspiel beider Märkte, welches darüber bestimmt wie hoch der Auslastungsgrad einer Ökonomie ist. Aus einer derartigen Perspektive wird das Nichtausgeben von Geld seitens der Bezieher von Einkommen zu einer zentralen Restriktion der Investitionsbereitschaft und damit des gesamtwirtschaftlichen Aktivitätsniveaus. Dabei ist es unerheblich, ob aus Unternehmer- oder Arbeitnehmereinkommen gespart wird, weil beides zu einer Reduktion desjenigen Potentials führt, aus dem eine Erwirtschaftung des Schuldendeckungsmittels möglich wäre.

Wenn man so will ist das entscheidende Wechselspiel in der kapitalistischen Marktwirtschaft die Interaktion von Finanzmarkt und dem Markt für die Erwirtschaftung von Schuldendeckungsmitteln, wobei man dieses im Gegensatz zum statischen neoklassischen Marktmodell als dynamisches System interpretieren kann, insofern als zum einen Aktionen des einen Pols direkte Rückwirkungen auf den anderen Pol des Systems ausüben und andererseits die Kreditverhältnisse, die zu den Investitionsprozessen führen eine Zeitstruktur aufweisen, so daß Entscheidungen der Gegenwart Wirkungen über den gesamten Planungshorizont verteilt aufweisen.

Für die Frage, wie dann ein Markt in einer monetären Ökonomie aussieht kann man sich daran erinnern, daß in einem Einkommen-Ausgaben-Diagramm

http://makroo.de/Das%20keynesianische%20Modell/Der%20Guetermarkt/Das%20Einkommen-Ausgaben-Diagramm.htm

das Zurückbleiben der Nachfrage hinter dem Einkommen mit kontraktiven Entwicklungen verbunden ist, während eine Nachfrage oberhalb des Einkommens mit expansiven Prozessen einhergehen dürfte. Nun ist die verlinkte Darstellung suggestiv auf den Fall eingeengt, daß das Einkommen den Ausgaben entspricht, was aus vorstehenden Gründen für eine monetäre Ökonomie eine zu enge Sicht der Dinge darstellt. Denn durch diese Verengung wird unterschlagen, daß die Gleichgewichtsbedingung „Einkommen = Ausgaben“ unterstellt, daß es eine Abweichung der gleichgewichtigen Ausgaben von dem Einkommen nicht geben könne. Denn ein Kennzeichen einer monetären Investitionsökonomie ist, daß den anfänglichen hohen Investitionsausgaben erst im Zeitablauf sukzessive die Amortisationen wieder entgegenströmen und somit die Anfangsphase einer Investition typischerweise davon geprägt ist, daß die Einkommen systematisch höher sind, als der auf dem Markt befindliche Angebotswert. Soweit man sich den typischen Verlauf einer Investition ansieht

Produktentstehung

erkennt man unmittelbar, daß die Gleichheit von Einkommen und Ausgaben lediglich eine Episode in einem dynamischen Prozess ist. So läuft z.B. in einer Phase hoher Investitionen die Einkommensbildung dem Angebotswert voraus, so daß sich unmittelbar Preisauftriebstendenzen ergeben, welche die ursprüngliche Investitionskalkulation als zu pessimistisch darstellen. Die damit üblicherweise verbundenen Preisauftriebstendenzen sind über induzierte Lohnsteigerungen dann entweder der Beginn eines Inflationsprozesses oder wahlweise bei einer Lohnstabilität der Beginn einer Ungleichverteilung von Einkommen und dann auch Vermögen.

Begreift man also Marktwirtschaft als ein monetäres System, dann handelt es sich hierbei um eine Rückkoppelungsschleife, bei der es einen unabhängigen Pol und einen abhängigen Pol gibt. Der unabhängige Pol ist die Seite der Investition, die abhängige Seite ist die Seite der Einkommensverwendung, weil diese erst entsteht, wenn investiert worden ist. Das heißt aber wiederum, daß auf der einen Seite die Investition die zentrale Bestimmungsgröße für das Einkommen darstellt und der Konsum damit mittelbar von der Investition abhängig ist, während andererseits die Geldnachfrage auf dem Warenmarkt (= der Markt zur Erwirtschaftung des Schuldendeckungsmittels) ebenfalls von der (zeitlichen Struktur der) Investition bestimmt wird.

Investition-Diagramm

(Man beachte, daß entgegen der Gepflogenheit der Ökonomen hier die unabhängige Variable auf der Abszisse abgetragen ist!!)

Durch diese für eine monetäre Ökonomie charakteristische Hierarchisierung ökonomischer Entscheidungen – Investition einerseits und davon abgeleitet Konsum/ Sparen andererseits – wird für die Marktwirtschaft ein dynamisches Aktivitätsniveau definiert, welches sich aus der Bereitschaft zur Investition speist und damit von genuinen Vermögensinteressen gesteuert wird. Insofern ist eine Theorie einer monetären Marktwirtschaft durch zwei Entscheidungsebenen geprägt: durch eine Interaktion von Banken und Unternehmen, die zu Investitionsprozessen führen, die mit einer Geldausgabe beginnen und die einen kontinuierlichen Amortisationsprozeß nach sich ziehen und dem Komplement der Wiedererwirtschaftung des ausgegebenen Geldes auf dem Warenmarkt und nicht durch eine elementare Interaktionsfigur – dem Tausch – den man heutzutage höchstens noch auf nichtkommerziellen Basaren anzutreffen pflegt.

Die Konsequenzen für die Markttheorie herkömmlicher Prägung sind nicht wirklich erfreulich. Nicht nur, daß der Arbeitsmarkt seine Stellung als eigenstänger Markt verliert, sondern auch die Erkenntnis, daß es auf dem Gütermarkt nicht primär um die Befriedigung individueller Interessen geht. Natürlich wird auf den Arbeits- und Gütermärkten gefeilscht was das Zeug hält, für die Frage, auf welchem Niveau sich das gesamtwirtschaftliche Aktivitätsniveau einpendelt sind derartige Aspekte lediglich sekundär, weil sich dadurch der zentrale Mechanismus, der aus der Kruschwitz-Investition besteht, überhaupt nicht aushebeln läßt.

Man mag eine gewisse Trauer dabei empfinden, daß die Vorstellung vom Konsum als Endzweck ökonomischen Handelns einer nüchternen Kalkulation über den monetären Ertrag einer Investition weichen muß – aber Märchen sind ja auch nur dazu da, um Emotionen zu befriedigen.

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Makroökonomie: die Frage nach dem Machbaren

Hirschmedaillon mit NußkrusteDas Forschungsfeld Makroökonomie wird üblicherweise dadurch beschrieben, daß dort Untersuchungen über gesamtwirtschaftliche Größen wie Konjunktur, Inflation, Außenwirtschaft und nicht zuletzt auch Geldpolitik stattfinden. Für den oberflächlichen Betrachter mag damit die Frage nach dem Stellenwert von Mikro- und Makroökonomie erledigt sein. Anders sieht es dagegen aus, wenn man anfängt die methodologischen Grundlagen zu analysieren, die beiden Forschungsfeldern zugrundeliegen. Denn das Verhältnis von Mikro- und Makroökonomie ist nicht so, wie man es aus gleichberechtigter Kommunikation kennt, sondern durch eine Hierarchieebene getrennt, die es nicht erlaubt symmetrische Anforderungen an beide Ebenen stellen zu können.

Das betrifft im wesentlichen die Frage, auf welcher Ebene tatsächlich Handlungen vorgenommen werden und die Antwort darauf ist auch klar: auf der Mikroebene. Denn dort und nur dort können Akteure nach Maßgabe der ‚ceteris paribus‘-Klausel handeln, was nichts anderes heißt, als daß sie ohne Berücksichtigung von Rückwirkungen handeln können und dabei auch die sogenannten „makroökonomischen Ziele“ durchaus ignorieren können (und müssen). Eine handlungstheoretisch ausgerichtete Wissenschaft muß schon aus diesem Grunde postulieren, daß alle ökonomischen Effekte und Phänomene aus den Handlungen von Individuen heraus erklärt werden müssen. In gewisser Weise ist dies auch verständlich, weil es ein „Handeln der Gesamtgruppe“ schon allein deswegen nicht gibt, weil es an informationellen Bedingungen scheitert, die Rückwirkungen der (existierenden) Einzelaktionen explizit nachzuvollziehen – das ist das analoge Problem der nutzengesteuerten Entscheidungsfindung, was Berechnungsleistungen erfordern würde, die noch nicht mal von den schnellsten Supercomputern bereitgestellt werden können.

Diese Tatsache muß eine Theorie der Makroökonomie auf eine spezifische Weise durchaus ernst nehmen, denn sonst setzt sie sich automatisch dem Vorwurf aus, ökonomische Entwicklungen nicht aus der rationalen Wahl von Individuen ableiten zu können. Dieser Vorwurf ist so richtig wie faul, denn natürlich bestehen makroökonomische Entwicklungen aus individuellen Handlungen, nur können selbst diejenigen, die derartige Forderungen nach einer „Mikrofundierung“ aufstellen, ihren eigenen Anspruch nicht erfüllen und versuchen die Welt damit zu überzeugen, daß ein „repräsentatives Individuum“ schon geeignet sei, makroökonomische Phänomene abbilden zu können. Natürlich ist klar, daß mit einem solchen Ansatz sämtliche sich widersprechenden Gegensätze unterschiedlicher Akteure per Annahme (!!) ausgeblendet werden, insbesondere ist damit ausgeschlossen, daß es durch diese „individualistischen“ DSGE-Modelle keinen Raum für so widerlich reale Dinge wie Kreditverhältnisse gibt, die sich dadurch auszeichnen, daß Individuen offensichtlich doch nicht alle die gleichen Interessen haben, wodurch ihre jeweiligen Handlungsweisen durchaus andersartig sein und ohne weiteres auch widersprechen können.

Das stellt natürlich die Frage nach dem Erkenntniswert von Makroökonomie bzw. die Frage nach einer Vorgehensweise, die nicht von vornherein sich des Vergehens schuldig macht, Entwicklungen von Aggregaten ohne Umweg über die Handlungsinteressen von Individuen erreichen zu wollen. Ein prominentes Beispiel für ein derartiges Desaster ist der sog. „hydraulische Keynesianismus“, dessen Philosophie von einer Allmachtsphantasie getragen wurde, die sich aus dem IS-LM-Modell ableitete, in dem die „Stellschrauben“ Budgetdefizit und Geldangebot als ausreichend angesehen wurden, um eine verläßliche gesellschaftliche Wirtschaftssteuerung betreiben zu können. Dieser Schuß ging natürlich nach hinten los, weil sich diese Theorie der Annahme verschrieben hatte, daß sich makroökonomische Entwicklungen gestalten lassen, ohne dabei irgendwelche Ausweichreaktionen berücksichtigen zu müssen. Besonders ärgerlich in dieser Hinsicht ist, daß die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung in dieses Konzept insoweit eingebettet war, als sie gewissermaßen den „Identitätsrahmen“ dafür bereitstellen mußte und folgerichtig mit dem Untergang des IS-LM-Keynesianismus gleichermaßen diskreditiert wurde. Es hat durchaus seine Gründe, warum die VGR bzw. in ihrer monetär fixierten Variante, die „volkswirtschaftliche Saldenmechanik“ einen derart schlechten Ruf in der ökonomischen Profession besitzt.

Das hat natürlich seinen Grund der darin besteht, daß man monetären Aggregaten keine selbständige „Entwicklung“ unterstellen kann. Darauf hat auch W. Stützel als Hauptprotagonist der „Saldenmechanik“ immer wieder zu Recht hingewiesen. Doch auch wenn der Meister seine Warnungen ausspricht, sind die Lehrlinge dann doch immer wieder in Versuchung, die Fähigkeiten des Meisters sich selbst zuzurechnen nur um festzustellen, daß ihre Versuche dann doch in einer kolossalen Pleite enden. So ist beispielsweise der Schluß von einer „negativen“ Saldenänderung des Staates auf die „positiven“ Saldenänderungen im privaten Sektor korrekt, was nicht korrekt ist, sind die Vermutungen, welche Auswirkungen sich daraus auf den privaten Sektor ergeben, denn eine Aggregataussage läßt sich nicht ohne weiteres auf individuelle Auswirkungen herunterbrechen. Natürlich sind die Ausgaben des einen die Einnahmen des anderen, daraus läßt sich aber nicht schließen, daß diese Einnahmen wieder zu Ausgaben werden müssen, weil in gleicher Weise Einnahmen auch zur Tilgung von Krediten verwendet werden können und damit die Einnahme/ Ausgabe-Mechanik ins kreditäre Nirwana verdampfen kann. Stützel hat deswegen auch immer wieder betont, daß Saldenmechanik nur dazu dient zu ergründen, ob und inwieweit die Handlungsmöglichkeiten von Individuen bzw. Gruppen auch den Konsistenzerfordernissen einer modernen (monetären) Wirtschaft entsprechen, oder wegen saldenmechanischer Unvereinbarkeiten von vornherein auf einen nicht möglichen Zustand abzielen.

Damit bestimmt sich denn auch der Stellenwert von Makroökonomie: es geht darum zu entscheiden, ob z.B. Gesetze oder politische Entscheidungen, die das Staatsbudget betreffen überhaupt geeignet sind die Ziele zu erreichen, die mit der betreffenden Maßnahme beabsichtigt worden sind. Derartige Dinge sind durchaus ernstzunehmen, obwohl die Akzeptanz saldenmechanischer Argumente äußerst schleppend ist. So ist z.B. der saldenmechanische Vorbehalt, Sparmaßnahmen würden zu einem Rückgang des Wachstums, ja sogar zu einer Reduktion des Wirtschaftsniveaus führen durchaus als richtig rezipiert worden, auch wenn der aktuelle Fall (Griechenland) zu diesem Zeitpunkt längt tief im Brunnen liegt. Das betrifft auch eine „Wettbewerbsphilosophie“, die glaubt, „Wettbewerbsfähigkeit“ wie eine gute Eigenschaft auf alle verteilen zu können, die sich nur den Kriterien der „Sparsamkeit“ verpflichten. (Letzteres ist noch nicht einmal eine genuin saldenmechanische These, obwohl sie sich aus der Saldenmechanik auch ableiten läßt.) Was Makroökonomie nicht ist: ein Werkzeugkasten, den man zur Erreichung mehr oder weniger gewünschter ökonomischer Ziele benutzen kann wie eine Pumpe, deren Anwendungsbereich klar definiert ist.

Damit wird aber auch gleichzeitig das Feld der Kontroverse umrissen, welche die Makroökonomie ausmacht. Denn die Frage danach, was überhaupt möglich ist dreht sich nicht erst seit gestern um die Frage, welche Funktionsbedingungen sind anzulegen, um die Frage zu lösen, ob bestimmte Maßnahmen zum Erfolg führen und welche nicht. Die zentrale Kontroverse um die es hierbei geht besteht im Grunde genommen aus der I=S Frage, genauer nach der Wirkungsrichtung dieser Beziehung. Klipp und klar ausgedrückt geht es darum ob erst die Ersparnis vorliegen muß, um Investition zu ermöglichen, oder ob Investition die Voraussetzung von Ersparnis ist. Je nachdem, wie man diese Frage beantwortet, ist damit der Bereich des Machbaren abgegrenzt, obwohl das Ziel identisch ist: die Steigerung der Investition. Die eigentliche Zentralkontroverse geht darum wie die Investition erklärt wird: durch Sparen oder durch Kredit. Die erstere Theorie (Sparen) ist die allgemeine Gleichgewichtstheorie, die Investition aus Nicht-Konsum erklärt. Die andere Theorie (Investition = Geldvorschuß) existiert eigentlich bisher überhaupt nur in Fragmenten, weil sich die ökonomische Forschung der Idee verschrieben hat, neue Erkenntnisse nur dann zu akzeptieren, wenn das „Alte“ dabei erhalten bleiben kann. Das hat dazu geführt, daß immer dann, wenn keine unmittelbare geldtheoretische Antwort auf eine Sachfrage offensichtlich war zu den Theorien und Konzepten der Gleichgewichtstheorie zurückgegriffen wurde, nur um festzustellen, daß man sich damit von der eigentlichen paradigmatischen Plattform nicht emanzipieren kann.

Das ist unter anderem deswegen so virulent, weil die Welt schon lange nicht mehr durch die Regeln einer „übersichtlichen“ Kornökonomie gesteuert wird, in der man sogar noch eine „reale Ertragsrate“ als sinnvolles Konzept akzeptieren könnte, sondern das makroökonomische Koordinationsproblem dadurch gekennzeichnet ist, die Handlungsweisen von Millionen von „Individuen“ derart zu steuern, daß das Ergebnis gewissen (abstrakten) Erfolgskriterien genügt. Dieser Sprung von der heimeligen selbstversorgenden Kleinstwelt zu einer nach unpersönlichen Kriterien operierenden Funktionsweise des Kreditgeldkapitalismus ist von der zuständigen Wissenschaft nur in mikroskopischen Fragmenten überhaupt rezipiert worden. Daß jedoch in einer solchen Welt die Frage der Kooperation mit der Frage von Verschuldung zusammenhängt, geht bis heute nicht in die Köpfe der Professoren hinein. Dabei ist die Idee, daß kooperative Handlungen erst zu denjenigen Ergebnissen führen, die dann auf dem Markt als Waren auftauchen nicht so schwer zu begreifen, denn es gilt ja das Motto: Ohne Fleiß kein Preis. Damit der Fleiß sich entfaltet muß erst die Frage nach der Gegenleistung geklärt werden, wodurch man unmittelbar eine konkurrierende Erklärung für den Arbeitslohn erhält, die nichts mehr mit der „Wahl“ zwischen Freizeit und Arbeitsleid zu tun hat. Hier hinkt die theoretische Ökonomie der aktuellen Entwicklung, auch und insbesondere hinsichtlich der Behandlung des Finanzsystems, um Lichtjahre hinterher.

Aber unabhängig davon wird durch die Organisation gesellschaftlicher Arbeitsteilung durch ein Kreditarrangement die Makroökonomik auf einmal zu einer abstrakten Klammer, die im Gegensatz zu den Beschränkungen der realen Welt auf einmal Konsistenzerfordernisse setzt, die sich in der „Saldenmechanik“ wiederfinden lassen. Und unabhängig von der Tatsache, daß sich erst durch die Dekomplexierung durch Geld die Wirtschaftswelt handhabbar darstellt, wird auf einmal der Zwiespalt von Forderungen und Verbindlichkeiten, d.h. die Bedienbarkeit von Schulden zu einer Existenzfrage, die sich nicht auf ein „repräsentatives Individuum“ reduzieren läßt. Denn in der Geldwirtschaft gilt notwendig, daß jedes Individuum entweder Nettoschuldner oder Nettogläubiger ist – so daß sich deshalb die Reaktionsweisen der Individuen je nach spezifischer Rahmenbedingung auch verschieden darstellen. Man kann es auch umgedreht sehen: weil Geld ein soziales Verhältnis darstellt und der physische Ausdruck in Form der Banknote lediglich dazu gebraucht wird, Kontrolle über die Organisatoren des gesellschaftlichen Abrechnungssystems (Banken) auszuüben*, wird Makroökonomik auf einmal zu einer Theorie der strategischen Steuerung monetärer Interaktion. Dann wird es auch möglich Geldtheorie als Delegationsproblem zu interpretieren, wo die Funktionsfähigkeit des gesellschaftlichen Abrechnungsmediums zu erhalten zu einer konstitutiven Bedingung gesellschaftlicher Entwicklung wird. Damit entscheidet statt der individualistischen Methodologie die Qualität einer sozialen Methode bzw. ein Kooperationsverhältnis darüber, ob das Kreditgeldsystem eine kohärente Wirtschaftsstruktur generiert und sich damit Dimensionen eröffnen, von der die individualistische ‚mainstream‘-Schulweisheit noch nicht einmal weiß, daß sie davon träumen kann.

 

*Aus diesem Grund kann man die QE oder die LTRO-Operationen der (westlichen) Zentralbanken, die versuchen über verschiedene „Kanäle“ die individuellen Entscheidungen zu steuern, auch als eine Kapitulation vor ihrer eigentlichen Zentralaufgabe ansehen, nämlich die Kreditkonditionen „ihres“ Bankensystems qualitativ zu nivellieren, sowie nachhaltig zu gestalten. Man mag das mit der Begründung rechtfertigen, daß sonst unüberschaubare Kettenreaktionen zu desaströsen Entwicklungen führen würden. Das heißt jedoch nur, daß man sich darüber Gedanken machen muß, wie man diese Kreditketten auf ein gesundes Maß verkürzt. Solange allerdings die Bildung von Kreditketten sogar noch steuerlich begünstigt wird, braucht man eine vernünftige Lösung dieses Problems in nächster Zukunft nicht zu erwarten.

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42 – die Linkliste

SpecklesHier die Linkliste der verwendeten Blogposts, die im Überblicksartikel „42 – das Große Ganze und so…“ verwendet wurden:

https://soffisticated.wordpress.com/2012/06/20/die-buddelkasten-wirtschaftspolitischer-kommentatoren/

Unser ökonomischer Mainstream: Aufzucht und Hege

Homo Oeconomicus – Mißverständnisse der Erklärbären

Ist Ökonomie ein System?

Grundsätze ökonomischer Paradigma

Jesse James oder die Abstraktheit sozialer Verpflichtungsrelationen

Geldschleife – nicht Geldkreislauf!

Paradigmatische Aspekte von I und S

Verirrungen zwischen Geld und Forderungen

Wozu sind Banken da?

Verirrungen zwischen Giralgeld und Zentralbankgeld

Warum Zentralbanken Zentralbanken sind

Können Zentralbanken das Preisniveau beeinflussen?

Logische Typenlehre III – Überschuß und Gewinn

Paradigmatische Nachdenkliste

Zinsen – Individual- oder Gemeinschaftskonzept?

Das Geldsystem braucht keinen Wert sondern Bonität

Dynamische Einsichten zu Geld und Zins

Die Wunder geldpolitischer Hierarchien

Stufen von Geldsystemen – ein Kurzdurchlauf

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Fraktaler Konstruktivismus

treefractalDie Theorie der Fraktale ist davon geprägt, daß sie äußerst vielschichtige Formen erzeugt, welche aus der vielfachen Anwendung einer im Grundsatz einfachen Formel entstehen. Dieser Ansatz ist durchaus geeignet dazu beizutragen eine Vorstellung von Ökonomie zu entwickeln, die nicht a priori davon ausgeht, daß Ökonomie wie in den Lehrbuchdarstellungen durch einen Kreislauf zu beschreiben ist, sondern durch eine Abfolge einzelner Kreditgeldschleifen, deren kontinuierliche Abfolge den Eindruck! erweckt, als handele es sich um einen Kreislauf. Damit stellt sich die Frage, wie es sich in einem Modell darstellen läßt, daß ein derartiges Phänomen konstruierbar wird. Die Sinnhaftigkeit eines solchen Vorgehens kann einmal dadurch motiviert werden, daß natürliche Phänomene sich ebenso aus einer Zusammenstellung von Zufluß und Abfluß darstellen lassen, so ist z.B. das Phänomen eines Sees von dem Zusammenspiel von zwei Komponenten darstellbar, deren Einfluß je nach Stromstärke einen unterschiedlichen Pegelstand erzeugen. Zum anderen wird diese Konstruktion auch deswegen nahegelegt, weil Wirtschaften ein ‚ongoing concern‘ ist, dessen Kontinuität den Blick auf das entscheidende Grundelement, die Kreditgeldschleife, die als individualisierte Entität lediglich eine begrenzte Existenz besitzt, verstellt.

Eine fraktale Struktur wird dadurch erzeugt, daß eine im Grunde einfache Formel eine Vielzahl von Iterationen durchläuft und dabei Formen erzeugt, die in keiner Weise aus der zugrunde liegenden Formel ersichtlich sind. Das entspricht etwa der Tatsache, daß das Grundmuster der Funktionsweise von Computern aus der Kombination von zwei Zuständen besteht. In gleicher Weise kann man sich vorstellen, daß das vielfältige und ineinander verwobene Finanzgeflecht durch einen einfachen Prozeß erzeugt wird, welcher durch vielfältige Reproduktion zu dem führt, was gegenwärtig zu den Verflechtungen auf den Finanzmärkten führt, deren Charakter meistens mit der Modevokabel „komplex“ beschrieben wird. Dabei muß gleich an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß Fraktale zwar eine hohe Variabilität der Struktur sowie eine hohe Sensitivität gegenüber den Anfangsbedingungen aufweisen, ohne daß dadurch der einfache Charakter ihrer Entstehung irgendwie in Frage gestellt würde.

Darüber hinaus besitzen Fraktale noch zwei weitere Eigenschaften: zum einen sind sie selbstähnlich in dem Sinne, daß sie beständig gleichartige Strukturen erzeugen. Zum anderen existiert bei Fraktalen so etwas wie eine Systemgrenze, wo Elemente, die bestimmte Schwellenwerte über oder unterschreiten nicht mehr zu der Fraktalbildung beitragen, weil sie entweder ins Unendliche verschwinden, oder implodieren. Alle diese Eigenschaften lassen sich für den aufmerksamen Beobachter auch in der heutigen Finanzwirtschaft wiederfinden.

Da eine solche Darstellung von vornherein nur in einem dynamischen Kontext sinnvoll ist, was auch dem dynamischen Kontext des Erkenntnisobjekts Ökonomie geschuldet ist, dessen Charakter durch ein statisches Modell ohnehin nicht abgebildet werden kann, läßt es sich nicht vermeiden den wesentlichen Faktor des Kapitalismus, den Kredit, in die Darstellung mit einzubeziehen. Und um den ‚ongoing concern‘ mit einzufangen macht es sich besser, gleich die Zeitverschiebung von mehreren Kreditprozessen mit einzubeziehen. Das ist u.a. deswegen erforderlich, um von vornherein das Problem zu vermeiden, welches sich aus der Beendigung von isolierten Einzelkreditprozessen ergibt. Mit dieser Darstellung ist es ganz nebenbei auch möglich, die vermaledeite Geschichte, daß ein einzelner Kredit niemals komplett zurückgezahlt werden kann, ein für alle Mal zu erledigen. Dabei sollte auch gleich klar werden, daß die prominente Frage nach den „Abteilungen“ der Wirtschaft (Produktionsmittel- bzw. Konsumgüterindustrie) einer spezifischen Auffassung über das Wesen des ökonomischen Prozesses geschuldet ist, die sich in kreditgeldökonomischer Hinsicht lediglich als zeitlich verschobene Kreditprozesse darstellen, die (nur) deswegen auch in einem einheitlichen Modellstruktur ineinander integrierbar werden.

Dann sieht das Modell genau so aus:

Kalecki00

Das Interessante dabei ist, daß sich ein kontinuierlicher Absorptionsprozeß (Konsum) mit sich ständig verändernden Kreditbeständen verträgt, was ein besonderes Licht auf die Tatsache wirft, daß Kreditbeziehungen auf einer längerfristigen Ebene angesiedelt sind und nicht unbedingt den kurzfristigen Schwankungen unterworfen sind wie man es von Konsumprozessen kennt. Besonders interessant ist auch, daß sich der Einkommenskreislauf gewissermaßen als Unterfunktion des Kreditprozesses abspielt und beide gewissermaßen ein Zentrum-Peripherie Verhältnis aufweisen, etwa so, wie man es aus dem Verhältnis von Erde und Sonne kennt. Dabei sollte man sich aus gegebenem Anlaß klar machen, daß die Vorstellung des Sonnensystems als Gebilde von konzentrischen Kreisen auch nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht, sondern vielmehr das Sonnensystem sich in einer spiralförmigen Weise durch das Weltall bewegt. Die Vorstellung eines statischen Kreislaufes sollte daher ein für alle Mal beerdigt und auch keineswegs wieder mit dem Hinweis auf irgendwelche „didaktischen Erfordernisse“ oder aus bloßer Faulheit heraus exhumiert werden. Denn die Konstruktivierung von Ökonomie als kreditgesteuerter Prozeß erlaubt es nicht, die technischen Grundlagen einer von Kredit gesteuerten Ökonomie zu ignorieren. Denn was im Kapitalismus zählt sind Zahlungen, deren nachhaltiger Zusammenhang den arbeitsteiligen Prozeß der Produktion überhaupt erst möglich macht! Und darüber hinaus sind ebenso die Verbindlichkeitsverhältnisse maßgeblich für die ökonomische Trajektorie, weil diese die Zahlungsmuster für die von ihnen definierte Zukunft bestimmen.

Genau das macht auch die Attraktivität der fraktalen Modellvorstellung aus, denn in einer Geldwirtschaft geht es ebenso um die Frage, welche Prozesse sich behaupten können, insofern als sie genau den Pfad zwischen Implosion (Konkurs) und Explosion (Hypertrophie) (Bei: Mandelbrodt Math -> Sensitivity. Anm. die Sicherheitsabfrage kann man in diesem Fall genehmigen!) einzuhalten in der Lage sind. Und auch dahingehend, daß zwar jedes Element für sich funktionieren muß, aber alle Prozesse Teil eines Gesamtsystems sind, das sich als Ganzes als überlebensfähig beweisen muß. (Cf. „Ist Ökonomie ein System?“) Es geht hierbei also darum, eine konsistente Formulierung des funktionalen Hintergrundes dessen zu denken, was immer so leichthin und unter Auslassung sämtlicher „kapitalismusrelevanten Elemente“ als einfacher Wirtschaftskreislauf in den Lehrbüchern zu finden ist, ohne daß dort die zugrundeliegenden Prozesse des monetären Komplexes ausreichend adressiert würden. Wenn man also den heute vorfindlichen Kapitalismus als Vervielfachung eines isolierten Prozesses versteht, gewinnt man auch eine andere Einstellung zu der Frage, inwieweit Ökonomie als komplex anzusehen ist oder nicht. Das Entscheidende der fraktalen Denkweise ist ja, daß die Grundmuster „sehr überschaubar“ sind, die Vorgabe der Funktionsbedingungen jedoch definiert, ob ein Prozeß zu einem Teil des Gesamtsystems gehört oder ausgesondert wird. Diese Differenz zwischen der Einhaltung der Funktionsbedingungen und ihrer Verletzung bringt das Gesamtbild Ökonomie erst überhaupt zur Erscheinung. Sonst würde auch nie ein Apfelmännchen entstehen können.

Apfelmännchen

Man mag sich darüber wundern, daß hier in keiner Weise über die „realen“ Dinge dieser Welt geredet wird, das hat seinen Grund darin, daß die Probleme des durch Kreditgeld gesteuerten Kapitalismus nicht primär in der Frage bestehen, wie die Eigentumsordnung mit Produktionsmitteln verfährt, eine Fragestellung, die zu Marx Zeiten den Diskurs beherrscht hatte, sondern darin, wie eine Gesellschaft mit der Frage umgeht, was passieren soll, wenn sich Schuldverhältnisse als nicht bedienbar erweisen. Aus einer solchen Perspektive werden die Abstrusitäten, mit denen sich die ökonomische Weltpolitik beschäftigt eher erklärlich, als mit den altbackenen Konzepten wie Wirtschaftskreislauf und Quantitätstheorie.

Sic transit gloria mundi!

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Paradigmatische Aspekte von I und S

puppi0Heiner Flassbeck hat einen Aufruf gestartet das Rätsel von Sparen und Investieren noch einmal unter die Lupe zu nehmen. Ich bin mit dem folgenden Beitrag insofern diesem Aufruf zwar insofern nicht gefolgt, als ich auf die außenwirtschaftlichen Aspekte an dieser Stelle nicht eingehe. Aus grundsätzlicher Perspektive habe ich mir die Ausführungen jedoch unter die Lupe genommen und denke, daß eine umfassende Antwort auf das ’savings conundrum‘ (mindestens) drei Bereiche umfassen müßte.

1. Real vs. Monetär

Die Behandlung des I = S Themas kann nicht davon getrennt werden, daß es sich hierbei um zwei Denkrichtungen handelt, von denen die eine in einer ausformulierten Version vorliegt. Die Theorie des allgemeinen Gleichgewichts kann im Grunde genommen als die Basis der Neoklassik verstanden werden, da sich alle Argumente hinsichtlich dieses Problemkreises auf die darin enthaltene Logik der relativen Preise beziehen. Legt man dieses Weltbild zugrunde sind alle widersinnig erscheinenden Thesen der Neoklassik logisch ableitbar, was dann zu den von Ihnen angemerkten widersinnigen Resultaten eines Mayer führt. Der Punkt den ich damit herausstellen will ist, daß es keinen Erfolg versprechen kann mit modellimmanenten Argumentationen gegen Vertreter dieser Theorie vorzugehen, weil denen stets der Rückhalt eines konsistenten Denkmusters zur Verfügung steht.

Das führt dazu konstatieren zu müssen, daß es ein derartiges vergleichbar konsistentes Denkmuster auf Seiten der Kritiker des ‚mainstream‘ nicht gibt, auch wenn einige Ansätze durchaus eine hohe Qualität aufweisen. Das macht es naturgemäß schwierig gegen die Orthodoxie einen Fuß auf die Erde zu bekommen. Dennoch ist es nicht aussichtslos zu einer (Kredit-) Geldtheorie zu kommen, welche eine vergleichbar konsistente Ordnung aufweist, um damit der Neoklassik etwas Ebenbürtiges entgegenzustellen.

Das führt mich schon zu Punkt

2. Begriff der Investition

Der Investitionsbegriff der Neoklassik ist real orientiert, so daß man stets im Kopf behalten muß, daß damit keine monetären Ausgaben verbunden sind. Das wird dadurch überlagert, daß üblicherweise von monetären Größen gesprochen wird, obwohl sich eine derartige Argumentation aufgrund der realen Grundkonzeption der Neoklassik eigentlich verbietet. Das wird immer wieder dann deutlich, wenn Kritik an der Neoklassik geübt wird und deren Vertreter dann immer wieder darauf zurückgreifen müssen, daß es ja eigentlich nicht das Geld sei, welches eine Investition ausmachen würde. Die Mimikry der Neoklassik, über Geld zu reden aber gleichzeitig reale Güter zu meinen ist manchmal schwer zu durchschauen, so daß sich die Kritik gelegentlich davon irritieren läßt.

Dabei wird doch gerade für den deutschen Sprachraum nahegelegt, daß Investition als eine monetäre Angelegenheit zu behandeln ist. Denn man kann das Diktum von Kruschwitz: „Eine Investition ist eine Zahlungsreihe, die mit einer Auszahlung anfängt.“ durchaus ernst nehmen, indem man es zum Ausgangspunkt einer Geldtheorie macht, die sich nicht mehr von dem Realanspruch (principles) der Neoklassik beeindrucken lassen muß.

Letzteres hat aber bereits Auswirkungen auf den Investitionsbegriff bzw. auf den Begriff der Ersparnis. Denn Investition als Ausgabe (Auszahlung) zum Kauf von Produktionsfaktoren erzeugt automatisch Einkommen, so daß man als Status der Einkommenschaffung konstatieren muß: 1000€ Kredit aufgenommen, 1000€ Einkommen und gleichzeitig 1000€ Ersparnis geschaffen. Der Punkt dabei ist: solange der Kredit nicht getilgt wird/ ist, bleiben die dadurch erschaffenen Nettogeldvermögen erhalten und verteilen sich allenfalls von den Einkommensempfängern zu den Unternehmen.

Wenn man das aber auf diese Weise zu sehen gewillt ist, gewinnt die Keynes-Formel auf einmal einen anderen Stellenwert, so daß es dann nicht mehr

Q = I – S

heißt, sondern

I = Q + S

was letztlich anzeigt, daß das durch den Kredit geschaffene Nettogeldvermögen sich letzlich entweder bei den Haushalten oder den Unternehmen wiederfinden muß. Das Entscheidende dabei ist, daß sich die Summe Q + S solange nicht ändern kann, wie sich die Größe I nicht ändert, was nichts anderes bedeutet, als daß man durch noch so häufiges Ausgeben (flows) die Bestandsgröße Geldvermögen (stock) nicht reduzieren kann.

Ein derartiger Begriff der Investition grenzt sich jedoch von vornherein von einem Investitionsbegriff ab, der den Wert des Realkapitals zum Inhalt hat. Die Konsequenz dieser geldtheoretischen Interpretation ist, daß im Rahmen einer Geldwirtschaft Investition und Ersparnis nicht mehr simultan aus den preisgesteuerten Entscheidungen von Unternehmen und Haushalten entstehen, sondern aus Entscheidungen darüber ein Kreditverhältnis (dem im Nachgang die Einkommensbildung entspricht) zu begründen oder eben nicht. Letzteres ist jedoch nicht eine Entscheidung über reale Dinge, sondern über die Wahrscheinlichkeit, ob ein vergebener Kredit auch fristgemäß getilgt werden kann oder nicht. Für die I=S Problematik bedeutet das einerseits, daß I begriffen als einkommenschaffende Verpflichtungsgröße völlig unabhängig von S ist, oder schärfer formuliert, daß S völlig von der Entscheidung über I abhängig ist und somit eine eindeutige Kausalität begründet werden kann.

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Das lenkt die Frage darauf, was es denn ist, was die VGR stets mit dem Begriff Ersparnis meint. Richtig ist, daß es diese Entscheidung der Haushalte über die Verausgabung ihres Einkommens tatsächlich gibt. Von einem vermögenstheoretischen Standpunkt gesehen entscheiden sie aber nicht über die Höhe der volkswirtschaftlichen Ersparnis, sondern lediglich über die Aufteilung der Ersparnis auf die Ersparnis der Haushalte sowie die Ersparnis der Unternehmer, mithin:

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Wie von vielen Volkswirten bereits angemerkt, handelt es sich bei der Entscheidung der Haushalte über Konsum oder Ersparnis um die Entscheidung über die Verteilung des gegebenen Einkommens, jedoch nicht um die Determinierung von I, so wie es in der Neoklassik noch formuliert wird. Es ist lediglich so, daß man formulieren kann, daß ein hohes Q, d.h. hohe Gewinne möglicherweise die Unternehmer dazu anregen ihrerseits – und das in Verbindung mit den Banken, die das Geld für die Investition bereitstellen – steigende Investitionen zu tätigen. Q ist also lediglich ein Indikator dafür, daß die Unternehmer und Geldgeber sich darüber Gedanken machen, ob diese Sachlage auch für die Zukunft, wenn denn eine neue Investition beschlossen und umgesetzt ist, noch Bestand hat.

3. Die Funktion des Zinses

Diese Frage ist damit verknüpft, wer dasjenige zur Verfügung stellt, womit dann investiert werden soll. Die Neoklassik postuliert gemäß der Grenzproduktivitätstheorie ein Einkommen für Kapital, welches den Gebern der Investitionsgüter an die Unternehmen zum Zwecke der Produktion zufließen solle. Dabei ist festzuhalten, daß in der Neoklassik Investition nichts mit monetären Dingen zu tun hat, denn zwischen Unternehmen und Haushalten werden nur relative Tauschraten vereinbart und Güter übergeben. Daß Neoklassiker – damit es nicht so weltfremd klingt – gerne auch darüber reden, daß ja das (monetäre) Sparkapital erst von den Haushalten bereitgestellt werden muß, um dann für Investitionen Verwendung zu finden, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß für sie die Verwendung von Geld lediglich ein identisches Abbild dessen ist, was in der Realtheorie ohnehin schon richtig sein soll. (Die ‚principles‘ bleiben halt dominant und ‚money‘ ist lediglich der passive Reflex.) Folgerichtig sind für die Neoklassik Zinsen der reale Überschuß der Produktion über die eingesetzten Güter – für die Zeiten eines Ricardo kann man diese Vorstellung noch einigermaßen nachvollziehen, womit sich auch gleichzeitig die Vorstellung erklärt, der Zins würde ein Ausdruck der Zeitpräferenzrate der „Kornanbieter“ sein. Sicherlich: wer mit seinem Getreidevorrat mit Ach und Krach über den Winter kommt, dem kann man mit der Aussicht bzw. Versprechen auf noch so viel Überschuß das Korn nicht entlocken – denn dann ist man schon kurzfristig tot.

Nun ist Geld wie man nicht erst seit Keynes weiß keine produzierte Ressource, die mit Hilfe von Produktion vermehrt werden könnte. Da Geld aber ein von Vermögensentscheidungen gesteuerter Bestand ist, kann die Frage des Geldzinses auch nicht damit beantwortet werden, daß ja die Unternehmen „produktiv“ oder „effizient“ produzieren würden. In gleicher Weise muß auch die Vorstellung beerdigt werden, daß „Ersparnis“ die Grundlage für die Vergabe von Kredit sei, da ja die Haushaltsersparnis lediglich die Verteilungsrelation des Nettogeldvermögens zwischen Haushalten und Unternehmern bestimmt. Damit bleibt lediglich die Möglichkeit, daß das Geld, welches für die Durchführung von Investitionen (im o.g. Sinne) benötigt wird aus dem Nichts geschaffen wird was den interessanten Aspekt aufweist, daß es keinen Anspruchsberechtigten auf die für dieses Geld zu fordernden (Netto-) Zinsen gibt. Während in der Neoklassik die Haushalte wegen ihrer Entäußerung von den „Investitionsgütern“ den letzlichen Anspruch auf die Erträge der Produktion beanspruchen können, gibt es in der Geldwirtschaft weder einen letzten Anspruchsberechtigten, noch eine Verbindung zu einem Realwert, in dem Gewinne aus Zinsen ausgedrückt werden müßten.

Das wiederum verweist auf den angelagerten Aspekt, daß bei einer „Geldschöpfung aus dem Nichts“ die Frage was Zinsen sind anders beantwortet werden muß als in der Neoklassik, wo Zinsen den Ausgleich der Zeitpräferenzraten mit den Erträgen von Investition garantieren sollen. Die hier bereits gegebene Antwort, daß Zinsen zuförderst die Neutralisierung von Aufwendungen von Abschreibungsverlusten bei den Banken garantieren verweist darauf, warum das Element der Zukunftsunsicherheit bei Keynes/ Knight einen für die Geldtheorie so wesentlichen Stellenwert aufweist: es ist eben nicht klar, welches von den vielfältigen hoffnungsvollen Investitionsprojekten in eine Schieflage gerät und – selbst nach Verwertung der Sicherheiten – Verluste erzeugt, die von den Banken durch ihre Erträge aufgefangen werden müssen. (Daß die Banken sich heutzutage einbilden, sich von der Übernahme dieser Verluste durch Verbriefung befreien zu können, steht auf einem anderen Blatt.) Damit lassen sich aber Zinsen als allgemeine Versicherungsprämien interpretieren, die dann ohne weitere Auszahlung (für monetäre Schadenfälle) gegen die Verluste von Abschreibungen aufgrund von Kreditausfällen gegengerechnet werden und somit aus dem volkswirtschaftlichen „Kreislauf“ vollständig verschwinden. Erst nach dieser Bilanzoperation wird es möglich davon zu reden, daß Zinsen zu Einkommen werden – was zwar manchmal möglich ist, manchmal eben aber auch nicht.

Fazit:
Die Interpretation dessen, was die Bedeutung von I und S angeht muß immer vor dem Hintergrund der jeweiligen Theorie gesehen werden und läßt sich nicht mit einer immanenten Kritik klären, die sich mit den Kriterien der Neoklassik unkritisch auseinandersetzt. Denn sobald man die Vision der Neoklassik über die als korrekt interepretierten Begriffsbestimmungen akzeptiert, wird es aussichtslos, zu einer Sichtweise zu kommen, die dem geldwirtschaftlichen Charakter des Kreditgeldkapitalismus in angemessener Weise entspricht. Die Ansätze, die von L.A. Hahn, W. Lautenbach und W. Stützel, sowie die Überlegungen von F. Knight und J.M. Keynes bieten dagegen ein ebenso schlüssiges Konzept, mit der die Volkswirtschaftslehre als Wissenschaft wieder zu einer angemessenen Behandlung ihres Forschungsobjektes gelangen kann.

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MMT – 2

LangusteDie zweite Geschichte, die es lohnt anhand der MMT zu besprechen, ist die Frage was als Funktion des Geldes angesehen wird und wie die Integration von Geld in die Ökonomie erfolgen sollte. In dieser Hinsicht bezieht die MMT eine klare Position. Für sie ist Geld als Geschöpf der Rechtsordnung durch den Staat bereitzustellen, indem dieser durch seine Ausgabentätigkeit der Wirtschaft Geld zur Verfügung stellt, welches dann gewissermaßen nach dem „Durchlauf“ durch die Wirtschaft hinterher durch Steuern wieder eingezogen wird. Das kann man als so etwas wie einen Geldkreislauf ansehen, obwohl dieser erheblich von den üblichen konventionellen Vorstellungen abweicht. (An dieser Stelle kommt auch die alberne Austrian Vorstellung zum Vorschein, daß der „Erstverwender“ von Geld – der mit der ’seigniorage‘ – dadurch eine privilegierte Stellung im Wirtschaftsgeflecht einnimmt, indem er kaufen kann ohne zu leisten. Das widerspricht zwar den Funktionsbedingungen des Kreditgeldsystems, aber das kümmert doch MMTler nicht. Die Theorie ist ja, daß das Geld hinterher per Steuern auch wieder eingenommen wird.)

Geld per Seigniorage

Bei dieser Geschichte ist jedoch ein anderer Aspekt wesentlich, denn diese Art der Integration von Geld in die Wirtschaft reflektiert das Verständnis von Geld als Gut und entspricht insofern der ‚mainstream‘-Auffassung von Geld als exogen vorgegebenem Bestand, welcher von den privaten Wirtschaftssubjekten nun vermittels der Banken dann den Unternehmen zur Verfügung gestellt wird. Diese Bestandstheorie ist analog zu dem Konzept der Quantitätstheorie, die ebenso ein exogen vorgegebenes Geldvolumen postuliert, welches dann von den Haushalten auf Konsum und Ersparnis aufgeteilt wird. Das Witzige daran ist, daß sich die MMT damit genau dieselben Probleme mit der Geldmengensteuerung einfängt wie die Standard-Geldtheorie, die auch an dem Problem knabbert, wie durch Angebot und Nachfrage gesteuert ein gewünschter Zins sich einstellt und wie das Geldvolumen so gesteuert werden kann, daß die Wirtschaftssubjekte auch bereit sind dieses Geldvolumen auch in ihrem Portefeuille zu halten. Man muß es an dieser Stelle mal betonen: diese Probleme gibt es nur bei Geldtheorien, die von einer exogen bestimmten Geldmenge ausgehen. Daß MMTler das nie zugeben werden versteht sich fast von selbst.

Interessant dabei ist, daß die Frage der Steuerung der Geldmenge an einer ganz anderen Stelle festgemacht wird als in der Standardtheorie, wo die optimale Geldmenge durch die Bestandshalteentscheidungen der Individuen bzw. durch deren Wirkungen auf das Preisniveau bestimmt wird. In der Sichtweise der MMT ist die optimale Geldmenge dann erreicht, wenn alle Produktionsfaktoren (weitgehend) vollbeschäftigt sind. Damit wird eine Vollbeschäftigungspolitik formuliert, die offenbar gegen die monetaristische Version der Phillips-Kurve gerichtet ist, womit gleichzeitig die Verantwortung des Staates für Vollbeschäftigung reaktiviert wird. Das mag man als Beitrag für eine aktive Arbeitsmarktpolitik durchaus begrüßen, allerdings werden dadurch die Wirkungen auf die Entwicklung der monetären Bestandsgrößen weitgehend ausgeblendet, deren Nachhaltigkeit (oder eben nicht) unmittelbar die Frage berührt, inwieweit ein derartiges Regime auch eine nachhaltige Vermögenssicherungsqualität der Währung garantieren kann – eine Frage, der man in Bezug auf den US-Dollar einfach ausweichen kann, weil dessen Stellung als Weltwährung derzeit derartige Fragen überflüssig macht.

Im Grunde genommen wird durch eine derartige Sichtweise das Finanzierungsproblem des Staates auf eine naive Art einfach umgedreht, da nicht mehr die Einnahmen des Staates die Ausgaben bestimmen, sondern die Ausgaben die Einnahmen, wobei wohl die Vorstellung vorherrscht, daß man nichts einnehmen kann, was vorher nicht ausgegeben wurde. Diese Sichtweise hat schon einen gewissen Appeal, weil sie genau die Logik beschreibt, welche bei Unternehmen vorliegt, die Unternehmen ihre Umsätze erst dadurch erzeugen, daß sie Kosten aufwenden, die sie dann im Umsatzprozeß wieder einspielen wollen. Das entspricht der Weisheit von Henry Ford bzw. dessen Bonmot: Autos kaufen keine Autos! Die Frage die dabei offenbleibt ist, inwieweit der Gleichlauf von Ausgaben des Staates mit den entsprechenden Einnahmen – den Steuern – stets gewährleistet werden kann  und das auch noch vor dem Hintergrund, daß die Ausgaben des Staates durch sein Steueraufkommen nicht restringiert sein sollen. Nun ja, der Glaube trägt weit! (Vielleicht sollte jemand auch mal den MMTlern erklären, daß ein Staat kein Produktionsunternehmen ist, auch wenn Heerscharen von Ökonomen nicht müde werden zu erklären, wie bedeutend doch die „Investitionen“ des Staates seien. Daß Staatsausgaben für jedes Gemeinwesen wichtig sind, steht nicht in Frage; daß sie genauso finanziert werden können wie private Investitionen ist jedoch mehr als fraglich.)

Damit diese Geschichte nicht ganz so im Regen stehenbleibt hier auch noch die Konstruktion, wie Geld in einem Kreditgeldkapitalismus in Erscheinung tritt.

Geld per Bankkredit

Denn soweit Geld ein Ausdruck sozialer Beziehungen ist, wird die Frage akut, aus welchem Grund Geld als attraktives Medium für die Entlohnung einerseits und die (zumindest temporäre) Wertaufbewahrung andererseits von den Wirtschaftssubjekten gehalten wird – und zwar in dem Sinne, daß die betreffende Währung eine „Realwertsicherung“ hinsichtlich der Preisentwicklung in der Zukunft erlaubt. Das funktioniert dann, wenn Unternehmen Investitionen durch die Vermittlung von Banken finanzieren, womit gleichzeitig durch den daraufhin entstehenden Schuldendruck von den Unternehmen ein reales Leistungsangebot entsteht, welches dazu führt, daß das investierte Geldvolumen, welches ja bei den Haushalten als Einkommen anfällt, für diese die Möglichkeit eröffnet, für Geld etwas Reales kaufen zu können. Dieser simple Mechanismus bewirkt auch, daß Geld in keiner Weise eines Eigenwertes bedarf, weil schon die abstrakte Rückzahlungsverpflichtung der Unternehmen Geld zu einem begehrten Wirtschaftsobjekt macht – und das ohne die Auflage einer staatlichen Stelle Geld zwangsweise als Kompensation für die Übertragung einer realen Ware annehmen zu müssen.

Das Witzige dabei ist, daß Banken, die i.d.R. über Geld ohne eine realwirtschaftliche Leistung verfügen können, durchaus nicht daran interessiert sind, ob der Realwert der Geldeinheit Schwankungen unterliegt oder nicht. Das liegt daran, daß sie letztlich eine genuin nominale Rechnung pflegen und somit für sie realwirtschaftliche Sachverhalte, wie sie beispielsweise in der „Grenzproduktivität“ von Realkapital von der Standard-VWL formuliert wird, überhaupt keine Rolle spielen. Darüberhinaus ist noch erwähnenswert, daß ein Kreditgeldsystem Sparer deswegen nicht braucht, weil der Prozeß der Kredittilgung durch Sparen höchstens behindert wird – was allerdings abhängig von der jeweiligen konjunkturellen Situation ist, ein dynamisches Problem, was bei der Besprechung von Theorie wie der MMT sowieso nicht angesagt ist.

Das ist wahrscheinlich die bitterste Pille für die orthodoxe Wirtschaftstheorie, daß nämlich die gepflegten Realwertkonzepte innerhalb der Funktionsbedingungen des gegenwärtigen Kreditgeldkapitalismus überhaupt keine Rolle mehr spielen. Wie heißt es doch so schön? Im Kapitalismus kennt man den Preis von allem und den Wert von nichts! Klingt nicht schön, bleibt aber so und wird auch nicht mehr geändert. Träumen darf man dennoch.

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Die Realillusion von Investition

calafigueraDie Geschichte rund um die Beziehung von Investition und Sparen hat eine lange Geschichte und war oft Gegenstand hitziger Debatten. Das Witzigste was zur Motivation von Investitionen aufgrund einer Entscheidung zum Sparen herangezogen wird (in dem Sinne, daß die Ersparnis der Investition vorausgeht), sind stets die Robinson Geschichten, welche motivieren sollen, daß sich die Produktivität einer Ökonomie nur durch die sogenannte Mehrergiebigkeit der Produktionsumwege erreichen ließe. Aus dieser Argumentationsfigur wird dann geschlossen, daß die Aktivitäten zur Produktion eines Kapitalgutes die volkswirtschaftliche Ersparnis sei. So weit so gut, das kann man ja machen, so wie die Austrians es tun die stets davon schwadronieren, daß dann, wenn „Kapitalgüter“ produziert werden, eine Zeit angebrochen ist, in der man nicht konsumieren kann – also hungern muß. Möglicherweise haben die da die Phase der industriellen Revolution im Sinn, wo die Industrialisierung mit dem Elend von Millionen von Arbeitern einherging. Sklaverei ist sicherlich eine Methode, um zu Wohlstand zu kommen – allein es löst nicht das funktionelle Problem, welches darin besteht, wie man selbst unter Ausbeutungsbedingungen zu einem Gewinn kommen kann, weil die Frage des Mehrwerts (= Mehrergiebigkeit der Produktionsumwege) sich nicht automatisch in persönlichen Wohlstand verwandeln läßt.

Die Entwicklung der Vorstellung, warum Investition eine Folge des Sparens sein soll und automatisch mit der Anschaffung von Kapitalgütern assoziiert wird, muß man unter Auslassung des Robinson-Märchens in Etappen darstellen, weil sich sonst die dahinterstehenden Theorien nicht identifizieren lassen.

A) Die klassische Version behandelt I und S als Einheit und ist eine Konsequenz dessen, was das Grundkonzept der allgemeinen Gleichgewichtstheorie beinhaltet. Dort verfügen die Haushalte über die in ihrem Eigentum stehenden Ressourcen, indem sie diese den Unternehmen für die Produktion überlassen. Das liegt im Wesentlichen an dem Umstand, daß in dieser Welt die Haushalte ihre Entscheidung zwischen Konsum und Nicht-Konsum fällen und damit von vornherein alles was die Unternehmen als Produktionsmittel verwenden definitionsgemäß der Nicht-Konsum der Haushalte ist, also ihre Ersparnis. Damit ist eine Differenz von dem, was die Haushalte den Unternehmen an Ressourcen übertragen zu dem, was die Unternehmen zur Investition einsetzen von vornherein nicht einmal denkbar. Der Charakter dieser „Ersparnis“ als Nichtkonsum beleuchtet sehr schön den Umstand, daß die angeblich erforderliche Enthaltsamkeit diese Ressourcen nicht zu konsumieren, letztlich nur das puritanische Weltbild illustriert, wo die Erlösung für die Schwernisse der Gegenwart in einem aufgeschobenen Konsum liegt.

(Interessanterweise gilt diese Entscheidungssituation auch für einen Haushalt, der nichts weiter anzubieten hat als seine Arbeitskraft. Denn dieser entscheidet sich halt zwischen dem Konsum von Freizeit und eben dem Nicht-Konsum von Freizeit. Da aber Freizeit als ein Gut definiert wird, welches mit einem positiven Grenznutzen in die Nutzenfunktion eingeht stellt sich der – mehr oder weniger – kuriose Effekt ein, daß ein Arbeitsloser per definitionem einen positiven Nutzenwert aus der Vermeidung des „Arbeitsleides“ zieht,  indem er „Freizeit“ konsumiert, auch wenn er dabei verhungert. Man mag eine derartige Argumentation für idiotisch halten, dennoch ist sie Teil der konventionellen Theorie des Arbeitsmarktes – aber das nur am Rande.)

Wichtig an dieser Stelle zu betonen ist der Umstand, daß es sich hierbei um reale! Ressourcen handelt und in keiner Weise um Geld. Dieses Defizit wird meistens dadurch beschönigt, daß behauptet wird, daß es sich schließlich um die „wahre“ Ökonomie handeln würde und somit auf diese Weise die ehernen Grundsätze der Wissenschaftlichkeit eingehalten würden.

A1) Damit diese Story nicht allzu albern klingt wird dann das Geld als Tauschmittel eingeführt, was dann mit Hilfe der Quantitätstheorie und der darauf aufbauenden primitiven Banktheorie zu der Version führt, daß die Geldersparnis den Konsumverzicht der Haushalte reflektiert, dem automatisch die nicht konsumierten Ressourcen entsprechen. Diese Banktheorie erzeugt dann die unsägliche Vorstellung, daß Banken die Ersparnisse (Nichtkonsum!) von Haushalten an die Unternehmen weiterleiten würden und sich so durch den Zinssatz (als negatives bzw. positives „Anreizmittel“) Investition und Ersparnis zum Ausgleich bringen ließen. Im Grunde ist Geld in dieser Theorie lediglich ein homomorphes Abbild dessen, was von der Grundtheorie als wahre Vision des ökonomischen Prozesses bereits „unverrückbar“ vorformuliert worden ist. Aus diesem simplen Analogschluß (von Gütern bzw. von Ressourcen auf Geld) zieht eine ganze Wissenschaft den Schluß, daß das Geldystem lediglich ein Schleier wäre, der bloß den Blick auf die „wahren“ ökonomischen Realitäten verstellen würde. (Man mag es kaum glauben, daß diese primitiven Vorstellungen es tatsächlich geschafft haben, das einzige „Wissenskorsett“ in ökonomischer Hinsicht zu werden, was sich auch daran zeigt, daß derartige Argumentationsmuster täglich über den Nachrichtenticker gehen und dann auch noch als „gesichertes Wissen“ präsentiert werden. Sancta simplicitas!)

B) Die zweite Beziehung zwischen I und S entspringt der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, wo auf einer monetären Grundlage die (Netto-) Investitionen durchaus richtig als Identität zu der volkswirtschaftlichen Ersparnis definiert werden (wobei an dieser Stelle eine Betrachtung über die Kausalität der beiden Variablen unterbleibt). Dabei ist zu beachten, daß die volkswirtschaftliche Finanzierungsrechung (als Teilbereich der VGR) durchaus sieht, daß die monetäre Ersparnis ein Reflex des (Netto-) Kreditvolumens ist. Immerhin ist dieser Begriff der Ersparnis von dem Begriff der Ersparnis aus A) fundamental verschieden, weil bereits an dieser Stelle Ersparnis als Differenz von monetären Bruttoinvestitionen einerseits und Abschreibungen (Kredittilgungen) andererseits definiert wird. Diese Version von Ersparnis stellt darauf ab, daß Ersparnis als Phänomen der Differenz von Bruttoinvestition und Abschreibung (+/- Finanzierungssaldo) daraus resultiert, daß monetäre Größen darüber entscheiden, was in einer Gesellschaft als (monetäres) Erfolgskriterium entscheidend ist. Aber auch wenn die VGR durchaus wichtige Erkenntnisse über diese Beziehungen liefert, bleibt dennoch der intertemporale Aspekt der Kreditverhältnisse in letzter Konsequenz unadressiert. Darüberhinaus ist in der VGR die Bruttoinvestition definiert als ein Zugang des Sachvermögens, so daß auch hier wieder der Vorstellung gehuldigt wird, daß Investitionen direkt mit der Bildung von Sachkapital verbunden seien.

C) Sobald man anfängt Ökonomie als ein Phänomen von Geldströmen zu sehen wie es in der Tradition eines M. Copeland noch bekannt war, muß man sich auch den Bedingungen stellen, die sich aus der Existenz von Geldvermögensbeständen ergeben. Das hat den kuriosen Effekt, daß monetäre Ersparnis, die nur sinnvoll definiert werden kann, wenn ein Wirtschaftssubjekt über Nettogeldvermögen verfügt, von vornherein ein Reflex der Ausgabeentscheidungen der Unternehmen ist, und damit nicht mehr als eine souveräne Entscheidung der Haushalte interpretiert werden kann, wie es das Grundmodell der liberalen Ökonomie postuliert.

Das hat was damit zu tun, daß die Bildung von Nettogeldvermögen essentiell daraus resultiert, daß ein Wirtschaftssubjekt eine Geldzahlung aufgrund einer realen Leistung erhält – prototypisch dafür steht die Einkommenserzielung aufgrund des Verkaufs von Arbeitsleistung. (Die zweite Art der Erzielung von Nettogeldvermögen steht nur Unternehmern zur Verfügung – der Überschuß der Erträge über die Aufwendungen. Dabei darf man nur nicht Umsatz mit Gewinn verwechseln – auch volkswirtschaftlich gesehen nicht! Das passiert immer dann, wenn unbesehen der Spruch präsentiert wird, daß die Ausgaben des Einen doch das Einkommen des Anderen sei – darüber muß man sich aber an dieser Stelle nicht aufregen.)

Diesen Aspekt des Wirtschaftslebens hat die konventionelle Wirtschaftstheorie noch nicht realisiert, weil immer noch die Vorstellung vorherrscht, daß Ersparnis stets einen realen d.h. materiellen Hintergrund haben müßte. Dabei entsteht das Mißverständnis aus dem Umstand, daß die konventionelle Wirtschaftstheorie Investition stets in „realem Kapital“ sieht und nicht in dem, was tatsächlich Investition bedeutet. Dazu kann man sich ein meist mißverstandenes Diktum in Erinnerung rufen, daß auch und insbesondere reale Investitionen letztlich vorgetane Arbeit sind. Nimmt man das ernst bedeutet das schlichtweg, daß man nur in Arbeit investieren kann, weil auch die Preise (Kosten) von Maschinen sich aus einer Kombinationskette von Arbeitsleistungen zusammensetzen.

An dieser Stelle wird das Versagen der ‚mainstream‘-Ökonomie deutlich: sie kann aufgrund ihrer epistemologischen Selbstbeschränkung nicht erkennen, daß Investition stets und immer Investition in (vorgetane) Arbeitsleistungen bedeutet. Das mag sich zwar ein bißchen marxistisch anhören, ist es aber nicht! Denn der intellektuelle Widerspruch ist nicht akzeptieren zu wollen, daß reale Investitionsgüter immer durch den Einsatz von Geld bzw. durch die durch Geld zur Erzeugung von Investitionen gesteuerte Arbeit erst geschaffen wird. Etwas Anderes zu behaupten bedeutet einen 200jährigen Irrtum zu pflegen, der die Ökonomie in das Desaster geführt hat, in dem sie sich gegenwärtig befindet!

Der zentrale Widerspruch liegt in der Verwechslung von natürlichen Ressourcen mit Realkapital: das Erstere betrifft die Wirtschaftsweise, die Arbeit zur Erzeugung von Wohlstand instrumentalisiert, während das andere einen (Real-) Fetisch darstellt, welcher bis heute dafür verantwortlich ist, daß die Ökonomie nicht über das Stadium einer Prätheorie hinausgekommen ist, weil sie nicht akzeptieren will, daß auch Realkapital aus einer Kette von Arbeitsleistungen entstanden ist. Wenn man irgendwo ein gutes Beispiel für den Begriff „Hypostasierung“ braucht – hier findet man ihn, weil hier zum wiederholten Male ein Phänomen für den Inhalt angesehen wird. Nicht zuletzt deswegen wird heutzutage die Investiton in Realkapital als produktivitätsfördernd gefeiert, während Arbeit stets als zu minimierender Kostenfaktor interpretiert wird. Blöder gehts nicht!

Man kann es auch anders ausdrücken: Investition ist Geldverwendung für Arbeit, nicht für Maschinen, die letzten Endes durch Arbeitsleistungen und dementsprechende Kosten geschaffen wurden! Ein Kalecki hat das noch gewußt! Dabei ist die Gedankenkette ganz einfach: der Kauf einer Produktionsanlage bei dem Produktionsmittelhersteller führt dazu, daß er dadurch den Erlös seiner Produktionsmittelkosten (Abschreibungen bzw. Kredittilgung), sowie seine Lohnkosten bezahlen muß und hoffentlich noch einen Gewinn realisiert. Dieser Prozeß – die Produktionskette noch ein paar Stufen weitergedacht – führt dazu, daß man im Endeffekt bei reinen Lohnkosten ohne nennenswerten Kapitalkostenanteil landet und sei es bei den unter menschenunwürdigen Bedingungen schuftenden Lohnarbeitern, die z.B. Coltan für die Smartphone-Produktion aus dem Boden kratzen müssen.

Vorleistungskette

Das noch schlimmere Desaster der ‚mainstream‘-Ökonomie besteht daraus, daß diese Vorstellung von Sparen als Konsumverzicht auch noch unbesehen per Analogschluß nicht nur auf die Tauschmittel-Geldwirtschaft, sondern auch auf die Kreditgeldwirtschaft übertragen wird und zwar mit fatalen Konsequenzen. Denn diese Vorstellung bedeutet in der Konsequenz, daß der Sinn und Zweck von geldorganisierter Produktion, deren zentrale Aufgabe darin besteht, aus natürlichen Ressourcen (‚from scratch‘) etwas Reales zu schaffen, nicht mehr gesehen wird. Dabei ist geldorganisierte Produktion davon geprägt zusätzliche (Arbeits-) Prozesse in den gesellschaftlichen Zusammenhang der Arbeitsteilung mit einzubeziehen, ein Prozeß, der sich stets und ständig in sich entwickelnden Ökonomien abspielt. Daß das von der konventionellen Ökonomie nicht gesehen werden kann! liegt daran, daß in dieser Welt die zur Verfügung stehenden Ressourcen stets voll ausgelastet sind –  und das auch dann, wenn die Wohlfahrt dieser Gesellschaft zum großen Teil darin besteht, daß die Haushalte eben Freizeit konsumieren. Denn auch das ist letztlich ein sogenanntes wohlfahrtsökonomisches Optimum!

Aber genug der intellektuellen Kuriositäten! Wenn man die Robinson-Welt verläßt und sich ansieht, wie die heutige Welt aussieht, stellt man fest, daß das, was die volkswirtschaftliche Statistik als Ersparnis definiert, ein Derivat der Investitionsentscheidungen der Unternehmen ist, denn alles was – wohlgemerkt – monetäre Ersparnis sein kann ist ein Ergebnis der Verschuldung von Unternehmen, deren Motivation daraus gespeist wird einen monetären Gewinn zu erzielen. Soweit man das Problem der Staatsverschuldung einmal beiseite läßt, besteht die gesamte monetäre! Ersparnis einer Gesellschaft aus offenen Kreditlinien, die aus (unternehmerischen) Schulden resultieren und sonst nichts. Das liegt halt daran, daß es zu einem Nettogeldvermögen nur dann kommen kann, wenn ein Kreditnehmer Nettokäufe vornimmt, welche mit einer buchhalterischen Konsequenz als Nettogeldvermögen eines davon begünstigten Wirtschaftssubjektes führen – und zwar ohne wenn und aber! Aber das ist ja schon wieder keine Ökonomie… weil damit die Idiotie des methodologischen Individualismus nicht adressiert wird…

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Ist Ökonomie ein System?

GeckosSystemtheoretische Aspekte von Ökonomie

Der Begriff des sozialen Systems läßt sich damit in Verbindung bringen, daß salopp gesagt eine Gruppe von Akteuren eine Interaktionsweise pflegt, die sich als gruppenspezifischer Sinn interpretieren läßt. Damit setzt eine Diskussion ökonomischer Zusammenhänge als System eine Betrachtung darüber voraus, welche Charakteristika ein ökonomisches Modell aufzuweisen hat, um vor den Normen der modernen Systemtheorie als System akzeptierbar zu sein. Dabei läßt sich zunächst feststellen,  daß der Anspruch der allgemeinen Gleichgewichtstheorie, Ökonomie auf eine systemtheoretische Basis zu stellen und Ökonomie damit als Wissenschaft zu etablieren durch den Umstand eingegrenzt werden muß, wenn man feststellt, daß es sich bei derartigen Modellen um Quasi-Systeme handelt:

„Quasi-Systeme entstehen aus der elementaren Interaktion von Anwesenden.“ (Willke 1987, S. 51)

Die elementare Interaktionsfigur der Neoklassik ist der Tausch, wobei die Tauschrelationen durch eine zentrale Koordinationsinstanz, die Fiktion des Auktionators, etabliert werden müssen. Die angebliche Geschlossenheit des neoklassischen Modells erweist sich also bei näherem Hinsehen in systemtheoretischer Perspektive als Glaubenssatz, bzw. als unhinterfragte Affirmation der methodischen Grundlage, nur individuelle Entscheidungen als ökonomisch bedeutsam zu interpretieren, deren Koordination einer Instanz übertragen werden muß, weil bei Berücksichtigung der Optimalitätsanforderungen von Gleichgewichtsmodellen die individuelle Orientierung an gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtsnotwendigkeiten ausgeschlossen ist. Diese Kluft zwischen Anspruch und Bedürfnis nach Geschlossenheit läßt sich durch derartige ad—hoc Annahmen wie das „Gesetz von Angebot und Nachfrage“ oder die ‚hidden hand‘, die eine Gesellschaft zu einem wohlfahrsökonomikschen Optimum führt, nicht letztgültig überbrücken und verweist eher darauf, daß zur Koordinierung ökonomischer Handlungen mehr vonnöten ist, als purer Glaube an die Stabilitätseigenschaften von Märkten.

„Eine über die Mitglieder hinausgehende zusätzliche Systemidentität und eine bewußte, innere wie äußere Identifikation der Mitglieder mit dem System bildet sich erst aus mit der Verdichtung des Quasi-Systems zum System.“ (Willke 1987, S. 53)
„Daß Sozialsysteme auf der Basis von Sinn organisiert sind, klingt zunächst überraschend. Denn wir sind gewohnt, in Anlehnung an biologische Modelle auch vom Gleichgewicht oder vom Überleben eines sozialen Systems als letztem Bezugspunkt der Analyse auszugehen.“ (Willke 1987, S. 29)

Dabei ist die Frage was Sinn bzw. Nicht—Sinn konstituiert daran gebunden, daß ein Kriterium existiert, welches das sinnhafte vom nicht-sinnhaften Umweltereignis unterscheidet.

„Die Systemgrenze sozialer Systeme kann verstanden werden als der Zusammenhang selektiver Mechanismen, die auf einer ersten Stufe der Differenzierung von System und Umwelt die Kriterien setzen, nach denen zwischen dazugehörigen und nicht-dazugehörigen Interaktionen unterschieden wird. … Da soziale Systeme nicht aus konkreten Menschen, sondern aus Kommunikationen bestehen, kann im Anschluß an Max Weber die gemeinsame sinnhafte Orientierung wechselseitig verstehbaren Handelns als Grundbedingung eines systemischen Zusammenhangs von Interaktionen betrachtet werden. Nimmt man im Anschluß an Luhmann hinzu, daß Sinn eine selektive Beziehung zwischen System und Umwelt beinhaltet, dann bezeichnet Sinn in allgemeiner Weise die Ordnungsform sozialen Handelns: intersubjektiv geteilter Sinn grenzt systemspezifisch ab, was als sinnvoll und was als sinnlos zu gelten hat.“ (Willke 1987, S. 30)

Die Abgrenzung dessen, was als Äußeres bzw. als Inneres eines Systems gelten soll, bestimmt dann die Normen nach denen Systeme funktionieren.

„Die Präferenzordnung eines sozialen Systems bezeichnet den Zusammenhang sinnhaft-symbolisch konstituierter regulativer Mechanismen, welche die Transaktionen zwischen System und Umwelt steuern. … Denn erst die Leistung spezifischer Selektionen aus den überkomplexen Möglichkeiten der Umwelt erzeugt die Differenz zwischen System und Umwelt, die das System zum System macht. Diese Selektionsleistung ist funktional bezogen auf das Problem der Ausbildung und Erhaltung einer bestimmten Systemidentität angesichts bestehender Zwänge und Zufälle der relevanten Umwelt. Die Steuerung der Selektion von Umweltdaten durch eine nach Sinnkriterien gebildete Präferenzordnuug ist Bedingung der Möglichkeit der Systembildung.“ (Willke 1987, S. 31)

Die Konstituierung von Systemzusammenhängen bedarf aber noch eines Mediums, eines äußeren Ausdrucksmittels, um die Zugehörigkeit eines Ereignisses zum System entscheiden zu können.

„Soziale Interaktionen sind sinnhaft orientiert, wenn ihr Bedeutungsgehalt durch ein Repertoire verbindlicher Symbole (Symbole hier verstanden als generalisierte Interaktions- und Zurechnungsregeln) gesteuert und sie mithin aufeinander bezogen und dadurch in zeitlich offene, verstehbare Handlungsketten verwoben werden können. Die Frage nach dem Sinngehalt von Interaktionen erlaubt dann die Unterscheidung von solchen, die in bezug auf ein bestimmtes Symbolrepertoire dazugehören und solchen, die nicht dazugehören. Sinnhaft konstituierte Symbole sind die — inhaltsanalytisch und hermeneutisch zu erfassenden – Merkmale, die für einen bestimmten Handlungszusammenhang stehen und auf ihn verweisen.“ (Willke 1987, S. 35)

Diese Heraushebung von systeminternen und systemexternen Vorgängen hängt mit der Schwerpunktverlagerung der modernen Systemtheorie zusammen, die damit ihr Erkenntnisobjekt redefiniert:

„Die neuere Systemtheorie ist eine Theorie der Beziehungen zwischen Systemen und Umwelt in dem Sinne, als sie die herkömmliche analytische Isolierung von Einzelsystemen überwinden will und Systeme immer nur im Zusammenhang mit ihrer jeweiligen Umwelt zu erfassen sucht. Dies bedeutet zunächst, daß der Systembegriff der neueren Systemtheorie nicht mehr nur ein Netz von Beziehungen bezeichnet, welches Teile zu einem Ganzen zusammenordnet; vielmehr wird unter System ein Netz zusammengehöriger Operationen verstanden, die sich von nicht-dazugehörigen Operationen abgrenzen lassen. In der Bestimmung des Systems wird also das Nicht-dazugehörige als Umwelt immer schon mitgedacht und mithin in der Auseinandersetzung des Systems mit seiner Umwelt das grundlegende Problem gesehen. Denn die spezifische Problematik seiner Umwelt macht für ein bestimmtes System überhaupt erst erkennbar, welche interne Systemstruktur zu welchen Zwecken und mit welchen Stabilisierungs- und Veränderungschancen funktional sein kann. Die Ordnung eines Sozialsystems wird damit zum relationalen Begriff und auf ihre Zwecke abfragbar. … Mit dieser Neuorientierung wird auch deutlicher, daß die Systemtheorie nicht auf die Analyse von Gleichgewichtsprozessen beschränkt ist …“ (Willke 1987, S. 37f)

Der entscheidende Grund der zu dieser Trennung von Innen— und Außenwelt als Grundgedanke der modernen Systemtheorie geführt hat, ist in den Mechanismen zu suchen, die es überhaupt erst erlauben von einem zwar interaktionsfähigen aber im Prinzip abgeschlossenen System zu sprechen. Die grundlegende Idee dabei ist, daß ein System essentiell zwei Aufgaben bewältigen muß, wobei die Interaktionsfähigkeit mit der Umwelt bzw. die Verarbeitung und Selektion relevanter Umweltdaten bereits angesprochen wurde.

„Das von den Biologen Maturana und Varela entwickelte Autopoiese—Konzept bezieht sich auf die Beobachtung, daß es offensichtlich Systeme gibt, die sich selbst reproduzieren; und zwar sich selbst reproduzieren nicht nur im herkömmlichen Sinne der genetischen Replikation in der Generationenfolge, sondern in dem sehr viel spezifischeren Sinne einer kontinuierlichen gegenwärtigen Selbsterzeugung des eigenen Systems. Autopoietische Systeme sind operativ geschlossene Systeme, die sich in einer ‚basalen Zirkularität‘ selbst reproduzieren, indem sie in einer bestimmten räumlichen Einheit die Elemente, aus denen sie bestehen, in einem Produktionsnetzwerk wiederum mit Hilfe der Elemente herstellen, aus denen sie bestehen (Maturana, 1982). Etwas vereinfacht ausgedrückt: ein autopoietisches System reproduziert die. Elemente, aus denen es besteht, mit Hilfe der Elemente, aus denen es besteht. … Und genau daraus folgt das eigentlich Aufregende: lebende oder autopoietische Systeme erscheinen nun entgegen dem systemtheoretischen Grundpostulat der notwendigen Offenheit lebender Systeme in ihrem Kernbereich, in ihrer inneren Steuerungsstruktur als geschlossene Systeme. In der Tiefenstruktur ihrer Selbststeuerung sind sie geschlossene Systeme, also gänzlich unabhängig und unbeeinflußbar von ihrer Umwelt. Wird diese operative Geschlossenheit zerstört, so bricht ihre Autopoiese zusammen, sie hören auf als lebende Systeme zu existieren. … Das Autopoiese—Konzept ist wichtig, weil es gegenüber der einseitigen Betonung der Umwelt-Abhängigkeit von Systemen deren interne Strukturdeterminiertheit primär setzt. Damit kommt ins Blickfeld, daß Systeme zunächst und vor allem ihre eigene Kontinuierung organisieren müssen, um als Systeme in Beziehungen zu ihrer Umwelt treten zu können. … Größere Schwierigkeiten bereitet es, auch soziale Systeme als autopoietische zu begreifen. Grundlage einer solchen Konstruktion ist die Annahme, daß soziale Systeme nicht aus einer Ansammlung von Menschen bestehen, sondern aus dem Prozessieren von Kommunikationen. … Soziale Systeme bilden sich auf der Grundlage von Kommunikationen. Für ihre Kontinuität ist fortlaufende Kommunikation unerläßlich. … Streng analog (zu biologischen Systemen, R.M.) können soziale Systeme dann als operativ geschlossen angesehen werden, wenn sie semantische Strukturen ausbilden, die die in ihnen ablaufenden kommunikativen Operationen auf selbstreferentielle, rekursive Umlaufbahnen zwingen. Diese Bedingung ist für die Gesellschaft als dem Gesamtzusammenhang aneinander anschließbarer Kommunikationen qua Definition gegeben. Für gesellschaftliche Teilsysteme und andere soziale Systeme aber nur dann, wenn sie Spezialsemantiken ausbilden …“ (Willke 1987, S. 43-47)

Damit sind Begrenzung und Dynamik die beiden Facetten eines einheitlichen Prozesses, wobei deren interne gegenseitige Bedingtheit ein System von seiner Umwelt absondert, wodurch es sich gewissermaßen selbsttätig etabliert und abgrenzt:

„Die eigentümlichste Charakteristik eines autopoietischen Systems ist, daß es sich sozusagen an seinen eigenen Schnürsenkeln emporzieht und sich mittels seiner eigenen Dynamik als unterschiedlich vom umliegenden Milieu konstituiert.“ (Maturana/Varela 1987, S. 54)

Steuerungs— und Kommunikationsfunktionen des Finanzsystems

Mit der Auflistung der Anforderungen, die die Systemtheorie an soziale Systeme stellt, ist im wesentlichen bereits vorgezeichnet, durch welche Elemente das ökonomische System repräsentiert wird. Werden soziale Systeme nach der Prozessierungsform von Sinn unterschieden, so läßt sich damit die These aufstellen, daß auf makroökonomischer Ebene die Sinngebung durch die Operationsweise des Finanzsystems etabliert wird und damit auch die entsprechende Kommunikationsform über (absolute) Preise und die für dieses System relevanten Interaktionen, die (Geld-) Zahlungen, festgelegt sind. Mit dieser These wird in gewisser Weise dem Ausgangspunkt der Marx’schen Vorstellungen über das Wesen des kapitalistischen Produktionsprozesses nachträglich Referenz erwiesen, indem die Postulate der orthodoxen Ökonomie, repräsentiert durch die W-G-W Formel, zugunsten des kapitalistischen G-W-G‘  Schemas der Marx’schen Theorie ins Abseits gestellt werden. Dabei braucht der Fundamentalsatz der Nationalökonomie vom Konsum als Endzweck allen ökonomischen Handelns nicht preisgegeben zu werden, wenn nachgewiesen werden kann, daß derartige Vorstellungen nicht mit der hier vertretenen Konzeption, das ökonomische System als durch Finanzbeziehungen charakterisiert zu sehen, kollidieren müssen. (Daß kreditgeldtheoretisch gesehen der Schluß von G auf G´ unzulässig ist und eher auf einer Verwechslung der Phänomenologie von Zinsen mit den grundlegenden Funktionsbedingungen des Kreditgeldkapitalismus beruht, macht dieses Modell letztlich als Analyseinstrument für den Kreditgeldkapitalismus unbrauchbar.) Selbst wenn die Marx’sche Formel noch nicht ausreichend ist, um das ökonomische System in der Gesamtheit zu erfassen, weist sie doch auf einen entscheidenden Sachverhalt hin, auf den das oben skizzierte Autopoiese—Konzept sinnvoll angewandt werden kann.

„Die Ausdifferenzierung von sozialen Systemen erfordert die Schließung eines selbstreferentiellen Verweisungszusammenhangs für alle Operationen des entsprechenden Systems. Bei allem, was wirtschaftlich geschieht, also der Wirtschaft als System zurechenbar ist, muß demnach Selbstreferenz mitlaufen. Die Kommunikationen der Wirtschaft müssen sich als wirtschaftlich ausweisen, damit man sie nicht falsch interpretiert, etwa als auf Intimität zielenden Annäherungsversuch auffaßt; sie müssen, was immer sie sonst leisten, immer auch das Wirtschaftssystem selbst reproduzieren. Andererseits ist diese Geschlossenheit des selbstreferentiellen Zirkels nie als ein Sachverhalt für sich möglich; sie kann nur als mitlaufende Selbstreferenz eingerichtet werden.“ (Luhmann 1983, S. 154)

Übertragen auf die finanzielle Sphäre bedeutet dies, daß eine ökonomische Handlung im hier verstandenen Sinne von Ökonomie sich durch die Verkettung mit einer Zahlung ausweist und somit unentgeltliche Leistungen, obwohl sie aus wohlfahrtstheoretischen Gesichtspunkten für eine Gesellschaft eine immense Bedeutung genießen, sich nicht als ökonomisch relevant ausweisen. Die Transaktion Ware gegen Geld reflektiert aber nur auf der phänomenologischen Ebene das, was die Interaktion der Geldsphäre mit der Gütersphäre ausmacht, und ist damit der allfällige Ausdruck der Interaktion des Finanzsystems mit seiner Umwelt. Insofern bleibt die Fixierung auf die Tauschmittelaufgabe des Geldes lediglich eine oberflächliche Betrachtungsweise, die sich mit dieser Annäherung an das Geldproblem letztlich immer an die Tauschökonomie, und als Folge davon stets an die Quantitätstheorie festklebt. Die Betrachtung der selbstreferentiellen Tiefenebene ergibt dagegen, daß letztlich nicht Geld gegen Ware, sondern Geld gegen (kalkulierten) Geldwert getauscht wird, es also bildlich gesprochen bei der Erreichung eines Umsatzziels in letzter Konsequenz nicht darauf ankommt was verkauft wird, sondern wieviel und zu welchem Preis. Eine Zahlung ist also nicht schon deswegen als ökonomisch zu interpretieren, wenn dabei ein Gut den Besitzer wechselt, sondern es ist noch zusätzlich erforderlich, daß dabei das Geldsystem auf sich selbst verweist, d.h. wenn eine Zahlung ein Defizit, repräsentiert durch die Verbindlichkeiten des betreffenden Wirtschaftssubjektes, abbaut oder begründet. Die Öffnung des internen Verweisungszusammenhangs besteht somit in der Etablierung einer Schuldposition eines Unternehmers, die Schließung dementsprechend in dem Rückfluß der Auszahlungen über den Umsatz, wobei je nach Höhe der Rückflüsse die Reproduktion des Schuldverhältnisses vorgenommen wird oder nicht.

„Produktion ist nur Wirtschaft, Tausch ist nur Wirtschaft, wenn Kosten beziehungsweise Gegenzahlungen anfallen. Dann realisiert der Vorgang einen Verweisungskontext, der auf Güter und Leistungen, auf Wünsche und Bedürfnisse, auf Folgen außerhalb des Systems Bezug nimmt; und zugleich einen anderen, in dem es nur um Neubestimmungen der Eigentumsverhältnisse an Geld, also an Möglichkeiten der Kommunikation innerhalb des Systems geht. Diese mitlaufende Selbstreferenz ermöglicht durch ihre Geschlossenheit die Offenheit des Systems. ‚L’ouvert s’appuie sur le ferme.‘ Die Sicherheit der Selbstverweisung ist Bedingung des Ausgreifens in die Umwelt.“ (Luhmann 1987, S. 155)

Genauer formuliert: die Sicherheit der Selbstverweisung ist nicht selbstverständlich, da eine Zahlung nur dann für Ökonomie relevant ist, wenn sie auf diesen Verweisungszusammenhang trifft, sprich: wenn sie zu ihrem Entstehungsort, der Bilanz einew verschuldeten Wirtschaftssubjektes zurückkehrt. Aus diesem Grund sind Zahlungsmittelumschichtungen zwischen Haushalten, deren Charakteristikum die Geldvermögensbestände der Aktivseite sind, für diesen speziellen relevanten Verweisungszusammenhang irrelevant. Etwas weniger abstrakt bedeutet das: das Ausgreifen des Finanzsystems in die Umwelt ist nur dann zu erwarten, wenn sich Investitionen lohnen und damit die Erweiterung des internen Verweisungszusammenhangs über eine höhere Krediteinräumung das Ausgreifen in die Umwelt noch weiter steigert. (Das verweist auch auf den Umstand, daß sich auf Wertpapiermärkten genau die Tauschoperationen abspielen, welche die allgemeine Gleichgewichtstheorie für das allgemeine Prinzip des Wirtschaftens hält – ein sonderbarer Fehlschluß!)

„Ein System, das auf der Basis von Zahlungen als letzten, nicht weiter auflösbaren Elementen errichtet ist, muß daher vor allem für immer neue Zahlungen sorgen. Es würde sonst von einem Moment zum anderen schlicht aufhören zu existieren. Und dabei geht es nicht um die abstrakte ‚Zahlungsfähigkeit‘, die sich aus dem Besitz liquider Mittel ergibt; es geht also nicht um eine relativ konstante Größe, sondern um die konkrete Motivation zur Zahlung und ihren aktuellen Vollzug. Die Wirtschaft ist demnach ein ‚autopoietisches System‘, das die Elemente, aus denen es besteht, selbst produzieren und reproduzieren muß. Der adäquate Bezugspunkt für die Beobachtung und Analyse des Systems ist daher nicht die Rückkehr in eine Ruhelage, wie Theorien des ‚Gleichgewichts‘ suggerieren, sondern die ständige Reproduktion der momenthaften Aktivitäten, eben der Zahlungen, aus denen das System besteht.“ (Luhmann 1987, S. 155)

Obwohl diese Sätze einen richtigen Kern beinhalten, bleiben sie jedoch auf der phänomenologischen Ebene stehen, denn wären Zahlungen allein schon konstitutiv für die Selbstreferenz des Finanzsystems, so wären diese Gedanken auch auf das Konzept der allgemeinen Gleichgewichtstheorie übertragbar, da die Bereitstellung von Außengeld über Staatsverschuldung den Haushalten dasjenige Kommunikationsinstrument zur Verfügung stellt, welches den autopoietischen Charakter des Finanzsystems bereits sicherstellen soll.

Die allgemeine Gleichgewichtstheorie hat aber mit Autopoiese nichts zu tun, da sie auf der Güterebene einen Reproduktionsgedanken zugunsten des Erstausstattungs- und Allokationskonzepts lediglich indirekt thematisiert und bei der Kommunikations- und Koordinationsfrage sich auf Unwissen, dokumentiert durch Auktionator und ‚invisible hand‘ berufen muß, bzw. alternativ konsequent durchgeführt, den Koordinationsteil dieser Theorie mit Hilfe der rationalen Erwartungen in die Köpfe der Wirtschaftssubjekte verpflanzt. Dagegen hat Sraffa in seinen Produktionsgleichungen immerhin für die physische Ebene eine Reproduktionstheorie entworfen und in gewisser Weise eine Unternehmergesellschaft postuliert, die ihre Kalküle nach einem Geldzinssatz ausrichten (vgl. Sraffa 1976, S. 56), beschränkt sich aber dann auf formale Analyse von linearen Gleichgewichtssystemen und hält sich bei der Koordinationsfrage gleichermaßen bedeckt.

In beiden Fällen läßt sich jedoch gleichermaßen die Vorstellung eines Tauschmittels formulieren und integrieren, ohne daß damit belegt wäre, daß die Zahlungen den selbstreferentiellen Kern der Ökonomie ausmachen würden. Im Gegenteil sind derartige Zahlungen an die Gleichgewichtslösungen gebunden, und sind damit nur der institutionelle Reflex vorgegebener Tauschverhältnisse, ganz im Sinne der W-G-W Formel, die ja dann auch auf einen nichtkapitalistischen gesellschaftlichen Kontext hinweist. Demgegenüber ist der kapitalistische Vergesellschaftungszusammenhang über die finanzielle Sphäre vermittelt, so daß sich damit die Sprache des Geldes als die relevante Kommunikationsebene erweist, die es letztlich ermöglicht, daß ein allgemeiner gesellschaftlicher Konsens über die Kriterien der Verteilung von Gütern hergestellt werden kann. Dieser Konsens ist insbesondere dann herstellbar, wenn die Schaffung von Kredit mit der Verpflichtung verbunden ist ein Güter- oder Leistungsangebot zu machen, was gerade dann der Fall ist, wenn der gebilligte Kredit zu Investitionszwecken Verwendung findet, und damit die Ausweitung des Investitions- bzw. Kredit- und gegebenenfalls Geldvolumens keine Inflation, sondern ein expandierendes Güterangebot bei steigendem Nachfragepotential schafft. Die Existenz dieses Kausalzusammenhangs rechtfertigt die Akzeptanz des G-W-G Schemas als allgemeines Koordinationsinstrument der verschiedensten Tätigkeiten des wirtschaftlichen Lebens. Die autopoietische Qualität des Finanzsystems ist dabei eher sekundär an eine erfolgreiche Produktion im Sinne des Grenzproduktivitätskonzepts, sondern primär an eine erfolgreiche Vermarktung der Waren bzw. Produktionswerte gebunden, so daß Produktivität und Marketing und Vertrieb die realökonomischen Spiegelbilder des Systemaspekts „Rückfluß der Investitionsausgaben“ sind, welche die Erhaltung der Investition und damit des Zahlungsstroms sicherstellen (sollen).

Damit bleibt noch zu diskutieren, welches die treibende Kraft, bzw. sozusagen der genetische Code ist, der die Systemstruktur lebendig bzw. dynamisch erhält. Die Antwort darauf ist in dem Umstand zu finden, daß es unmöglich und unnötig ist eine Kreditgeldökonomie gesamtwirtschaftlich wieder zu liquidieren, da in letzter Konsequenz Zinszahlungen stets in dem Geld geleistet werden müssen, in dem auch der Kredit zu tilgen ist. Diese vertraglich festgelegte praktische Unerfüllbarkeit eines einzelnen(!) Kreditvertrages läßt sich als treibender Impuls bzw. als primärer Reproduktionsanreiz identifizieren, da die Erfüllung des gesellschaftlichen Mißerfolgskriteriums, die Insolvenz, mit individuellen Nachteilen verschiedenster Art gekoppelt ist. Dieser Sachverhalt verweist auch unmittelbar auf den sekundären Reproduktionsimpuls, den Gewinn, dessen abgeleiteter Charakter sich dadurch ergibt, daß er mindestens die Höhe der Zinszahlungen erreichen mußte, um das finanzielle Lebensfähigkeitskriterium zu erfüllen. (Das einzelwirtschaftliche Problem des „fehlenden Zinses“ löst sich in einem dynamischen Kontext ohnehin in einem logischen Rauchwölkchen auf!)

Die zugrundeliegende Interpretation von Geld als Vermögen aus individueller Perspektive erweist sich denn auch als der eigentliche Grund für eine Dominanz des Gewinnmaximierungskalküls der Unternehmen über das Nutzenmaximierungskalkül der Haushalte. Der perspektivische Wechsel dieser Theorie zu einem abstrakten Erfolgskriterium gegenüber dem Realkriterium Nutzen der ‚mainstream‘-Ökonomie bedeutet trotz des primären Reproduktionsinteresses an monetären Größen nicht, daß damit ein Konsumziel als treibendes Motiv ökonomischen Handelns ausgeschlossen wäre. Im Gegenteil bedeutet ja die erfolgreiche Reproduktion von ausgegebenem Finanzvermögen nicht nur eine mögliche Fortsetzung des Investitionsprozesses, sondern auch je nach Gewinnhöhe eine unmittelbare Zugriffsmöglichkeit auf Güter. Die Dominanz der Unternehmen über die Haushalte aufgrund der Verfügung über das gesellschaftlich akzeptierte ökonomische Kommunikationsmittel schließt dabei eine Realisierung von Tauschgewinnen der Haushalte untereinander nicht aus, verweist aber gleichzeitig auf den abgeleiteten Charakter haushaltsinterner Transaktionen und klassifiziert derartige Vorgänge zwar nicht als ökonomisch unsinnig, jedoch als in Bezug auf die Erhaltungsbedingungen einer Kreditgeldökonomie als irrelevant: Der Tausch ist hinsichtlich des Finanzsystems neutral!

Die Fassung des Zinses als zentralem Reproduktionsimpuls der finanziellen Sphäre bedeutet auch, daß Luhmann sich ein grobes Mißverständnis leistet, wenn er schreibt:

„Für die Systemtheorie ist es eine geläufige These, daß komplexe Systeme Instabilitäten schaffen müssen, um den Problemen Rechnung tragen zu können, die sich aus der Erhaltung von geordneter Komplexität in einer noch komplexeren und weniger geordneten Umwelt ergeben. Diese Aussage läßt sich auch umkehren: Instabilitäten lassen sich in Systemen nur halten und gegen Verhärtung schützen, wenn eine hinreichend komplexe Umwelt besteht, die überraschende Informationen auslöst, welche durch Inanspruchnahme systeminterner Instabilität, hier also durch Änderung der Preise, verbraucht werden können. … Die Funktionssysteme gewinnen an Autonomie, werden in sich komplexer, benötigen infolgedessen höhere Instabilitäten und müssen selbst für deren Kontrolle sorgen. In der neueren Zeit werden hierfür zwei verschiedene Lösungswege bereitgehalten. Beide haben ein Prinzip gemeinsam: sie überlassen die Kontrolle der Instabilität Instabilitäten anderer Art. Die eine Möglichkeit ist: die Kontrolle des Fluktuierens der Preise über Geldkosten laufen zu lassen. Die Verteuerung des Kredits limitiert das Steigen der Preise. Die Schranken von Instabilität werden im Wirtschaftssystem selbst geregelt, und zwar durch Instabilitäten einer höheren Ebene der Reflexivität: durch den Preis nicht für Waren, sondern durch den Preis für Geld. Die andere Lösung liegt im Rückgriff auf die Instabilitäten eines anderen Funktionssystems; sie nimmt kollektiv bindende Entscheidungen des politischen Systems in Anspruch.“ (Luhmann 1987, S. 159f)

Wie man aus leidvoller Erfahrung weiß, sind die Instabilitäten des politischen Systems, sprich: eine öffentliche Preiskontrolle, stets eine Einladung an alle Wirtschaftssubjekte gewesen in solchen Fällen reichhaltig Umgehungsmöglichkeiten zu erfinden oder auf Schwarzmärkte auszuweichen. Die Kontrolle der Fluktuation der Preise ist dagegen viel effizienter: es ist schlichtweg der Grad der Nachfrageelastizität, der ein Steigen der Preise ins Uferlose verhindert, und somit die „Institution der Konkurrenz“ durch die Souveränität der Nachfrage Preisfluktuationen direkt und spielend begrenzt, und damit eine Konkurrenzwirtschaft sich als notwendiges Gegengewicht zur potentiellen Despotie einer Industriemonopolisierung etabliert.

Aus systemtheoretischer Perspektive bietet sich viel eher eine Interpretation des Zinses in Zusammenhang mit den ihn konstituierenden Schuldverhältnissen an: die nominal fixierten Passivpositionen in den Bilanzen bilden quasi das Gedächtnis des Finanzsystems, welches in Verbindung mit dem Zins die Aktionen der betroffenen Individuen für die Zukunft steuern, ihnen, genauer gesagt, einen bestimmten Aktionsraum aufzwingt, insofern, als geleistete Zinszahlungen die Bonität der Schuldverhältnisse anzeigen und eine Fortführung des Schuldverhältnisses angezeigt erscheinen lassen, falls nicht müssen die systemkonformen Konsolidierungsprozesse einsetzen, um das Kreditportfolio in seiner Bonität nicht absinken zu lassen.

„Die Zunahme zeitlicher Komplexität ist demnach eine zweite Bedingung der Notwendigkeit einer Fortentwicklung des Quasi-Systems zum System. Es bedarf schärfer strukturierter Verfahren und genauer abgestimmter Prozesse, um die kontingent werdenden zeitlichen Verknüpfungsmöglichkeiten zwischen den funktional differenzierten Rollen und Teilen gemäß den Präferenzen und Relevanzen des Gesamtsystems einzuschränken und auf eine verbindliche Systemzeit zu synchronisieren. Wieder fällt auf, daß die Möglichkeit einer Steigerung der zeitlichen Komplexität auf einer strategisch ansetzenden Reduzierung beruht: der Reduzierung frei fließender Weltzeit auf prozessual synchronisierte Systemzeit.“ (Willke 1987, S. 66)

So gesehen fängt das ‚mainstream‘-Konzept kontingenter Zukunftsmärkte zwar den Aspekt der zeitlichen Differenzierung ein, ohne daß jedoch damit die Konstituierung einer eigenen Systemzeit außerhalb der elementaren Präferenzen der Haushalte vollzogen wäre. Gegenüber dieser anarchischen zeitlichen Strukturierung der Gleichgewichtstheorie, steuert der Zins in der Kreditgeldökonomie die zeitliche Dimensionierung des wirtschaftlichen Abrechnungsprozesses und koordiniert damit die realen Handlungsmuster der angekoppelten realwirtschaftlichen Aktivitäten.

„Mit der Einrichtung geregelter Prozesse als temporaler Ordnungsform kontrolliert das Quasi-System die Folgewirkungen der internen funktionalen Differenzierung und erreicht damit eine neue evolutionäre Stufe der Komplexitätsverarbeitungskapazität.“ (Willke 1987, S. 67)

Perspektivische Nachbemerkungen

Die Wohlfahrt einer Gesellschaft in ökonomischer Hinsicht wird bestimmt von der Gesundheit des zugrundeliegenden Finanzsystems. Dieser Satz faßt in aller Kürze die Quintessenz des vorstehenden Posts zusammen und beinhaltet schon deswegen nicht nur eine uninteressante Trivialität, weil eine ökonomische Orthodoxie, die von der Neoklassik bis zum neueren Marxismus reicht, seit über 200 Jahren die Dominanz der Gütersphäre über den Geldschleier zu predigen nicht müde wird. Und insbesondere eine Entwicklungstheorie, die auf einer realwirtschaftlichen Basis gebaut ist, zeigt in unerfreulich deutlicher Weise, wie durch falsche Konzepte und Theorien mit bestem Gewissen und lauteren Absichten eine Katastrophe nach der anderen angestellt werden kann. Demgegenüber erweist sich ein funktionierendes Kreditgeldsystem als das effizienteste Steuerungsmittel, wenn es darum geht für einen gesellschaftlichen Rahmen eine Kohärenz der Individualaktionen zu erzeugen. Das Kreditsystem fungiert somit als das informale Band, welches geeignet ist, einer Gesellschaft den ökonomischen Zusammenhalt zu liefern, welcher als eine Grundbedingung der Stabilität des übergeordneten Gesellschaftssystems anzusehen ist.

Diese Einsicht in die Zusammenhänge moderner Ökonomien bedeutet auch die endgültige Abkehr von einem Gleichgewichtsbegriff, für den die Balance widerstreitender Kräfte die Grundlage des Raisonnements abgibt. Die wesentliche Änderung in der Analyse der innergesellschaftlichen Beziehungen besteht darin, nicht mehr die Konfrontation als das Gegeneinander im Tauschprozeß, sondern die Kooperation in der Produktion in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken, um damit die Defizite der statischen Gleichgewichtsvorstellung zu kompensieren.

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Von Pulverfässern und ungeplanten ökonomischen Einsichten

springDirk Elsner hat in seinem Post über die Konsequenzen aus der Zypern-Krise eine interessante Schlußfolgerung gezogen, die es wert ist noch ein wenig untersucht zu werden:

„Aber man kann Herrn Dijsselbloem und die ganze EU dafür kritisieren, dass sie auf dem Pulverfass sitzend mit dem Feuer spielt, den Sprengstoff herangeschafft hat Dijsselbloem jedenfalls nicht.“

A) Das ist richtig!
Es gilt aber auch:
B) Auch die EU hat den ganzen Sprengstoff nicht herangeschafft!

Und wo kommt der nun her?

Man muß sich dabei überhaupt erst mal klarmachen, woraus der Sprengstoff besteht. Üblicherweise wird eine „übermäßige“, „exzessive“ oder „überbordende“ Verschuldung dafür verantwortlich gemacht und dann so getan, als wäre der Grund für diese sicherlich nicht nachhaltige Verhaltensweise in einem moralischen Defekt der „Couponschneider“, in einer „Gier“ der „Anleger“ oder in einem genetischen Defekt des Finanzkapitalismus zu verorten. Mit einer derart moralisch aufgeplusterten Keule wird dann zum Feldzug gegen „die Bankster“, „die Spekulanten“ oder – damit es moralisch noch mehr trieft – „die Ausbeuter“ und „Bezieher leistungsloser Einkommen“ aufgerufen, womit der Empörung der Gerechten dann Genüge getan worden ist.

Nun, mit Verschuldung hat das Ganze schon was zu tun, es nützt aber nichts, wenn man über eine „zu hohe“ Exposition klagt, denn „zu hoch“ setzt ja bereits voraus, daß irgendetwas „zu viel“ ist, ohne daß ein Kriterium dafür existieren würde, an dem man das „zu viel“ messen könnte. Leider ist man in Bezug auf die Finanzmärkte immer erst hinterher schlauer, so daß es ohne weiteres passieren kann, daß ein „normales“ oder „solides“ Kreditengagement auf einmal zu einem „unkalkulierbaren Risiko“ wird. Die Gründe der Schieflage der zypriotischen Banken sprechen Bände.

Wenn man sich nun die nicht mehr so ganz taufrische Option ansieht, wie in Zukunft in Europa die Sanierung einer Bankbilanz ablaufen soll gewinnt man auch schon das erste Gefühl dafür was passieren müßte, wenn man den Fall der Fälle schon mal von vornherein verhindern wollte. Denn dieser ‚bail-in’ der unbesicherten Bankgläubiger, welcher im wesentlichen auf einer Umwandlung von nominal fixierten Forderungen in nominal variabel taxierte Eigentumsrechte beruht, hat ja offenbar seinen Grund darin, daß die Entscheidung zwischen nominal fixierten und nominal nicht fixierten Wertpapieren „normalerweise“ eindeutig zugunsten der nominal fixierten Kredite ausgeht.

Das hat natürlich seinen Grund der darin besteht, daß die nicht mehr so ganz moderne Hebelung von Finanzkapital es unattraktiv macht mit Eigenkapital zu wirtschaften und sich somit ganz zwanglos eine Schlagseite zugunsten wertfixierter Forderungen ergibt. Dazu kommt noch der Umstand, daß Fremdkapitalzinsen steuerlich als Kosten absetzbar sind und von daher der Einsatz von eigenem Geldvermögen sich noch weniger lohnt.

Nun mag man den Hang zur Bildung von Spareinlagen mit Hilfe von Erwägungen hinsichtlich deren vermeintlicher Sicherheit für „natürlich“ halten. Für diese Gegebenheiten stehen die inzwischen angekratzten Vorstellungen von der Sicherheit der Spareinlagen Pate, welche von der Finanzwirtschaft immer wieder in den höchsten Tönen beschworen wird. Das ist aber noch nicht alles: auch die Vorstellungen, die hinsichtlich der „normalen“ Finanzierung von Unternehmen existieren sind davon geprägt, daß Sparer über die Transformation der Banken die Investitionen der Unternehmen finanzieren und damit die moralische Rechtfertigung für die Bildung nomineller Forderungen alias Sparguthaben auch einen ökonomischen theoretischen Heiligenschein aufgesetzt bekommt. Dieser Heiligenschein resultiert letztlich aus der Quantitätstheorie, deren Sinn es ist die Bildung absoluter Geldpreise abzuleiten, ohne mit dem System relativer Preise, die sich aus einem allgemeinen Gleichgewicht ergeben, ins Gehege zu kommen. Getreu dem Erstausstattungskonzept ist in dieser theoretischen Sichtweise auch Geld eine Erstaustattung, die über Losgrößen- und Fristentransformation den Unternehmen zur Ökonomisierung zur Verfügung gestellt werden soll.

Woran liegt das?

Der theoretische Hintergrund ist dergestalt, daß im Grundmodell der Ökonomie – der allgemeinen Gleichgewichtstheorie – die Allokation der Ressourcen durch die Fiktion des Erstausstattungsprinzips ausgestaltet wird. Aus dieser Anlage der ökonomischen Orthodoxie hat eine ganze Forschungsrichtung den Schluß gezogen, daß auch in Bezug auf Geld dieses Prinzip als theoretische Grundforderung bei der Formulierung einer Geldtheorie Pate zu stehen habe. Das Ergebnis dieser methodologischen (!) Zwangslage ist die Quantitätstheorie, die seit 200 Jahren ihr Unwesen in der Ökonomie treibt. Denn dadurch wird Geld als ein Bestand definiert, der durch die Anwendung der üblichen Allokationsmechanismen seine Funktion zur Finanzierung von Investitionen erhält. (Sinnbildlich steht dafür Friedmans Bild von dem Abwurf von Geld aus einem Hubschrauber heraus!) Nun ist es natürlich nicht so, daß damit überhaupt kein ökonomischer Tatbestand eingefangen werden würde, denn die Relativität dessen, was den „Geldwert“ ausmacht ist durch dieses Konzept durchaus eingefangen. Was allerdings großflächig die Sinne vernebelt ist das damit verbundene ominöse Konzept der Umlaufgeschwindigkeit, welches lustige Vorstellungen von einer umherhetzenden „Geldmenge“ erzeugt, die nichts anderes zu tun hätte, als wie wild von einem Kauf zum anderen zu eilen. Wenn dann aus derart infantilen Vorstellungen heraus auch noch daraus geschlossen wird, daß man „nur“ die Umlaufgeschwindigkeit „erhöhen“ müsse, um Inflation oder die Konjunktur zu stimulieren, ist der intellektuelle Kopfschuß perfekt.

Das hat etwas damit zu tun wie man die Frage beantwortet was Geld ist. Ich drücke das immer so aus, daß Geld ein relatives Maß der Produktion ist, welches seine Funktion darin findet, daß es ein Verbindungsglied zwischen Kosten und Preisen darstellt. Anders gesagt: die kapitalismustypische Form der Arbeitsteilung erfordert eine Modalität der Abrechnung, die nicht das jeweilige Arbeitsergebnis zum Gegenstand hat, sondern eine abstrakte Form der Abrechung alias Entlohnung, die es ermöglicht, eine Vielzahl von produktiven Prozessen miteinander zu koordinieren. Wie man auf die blöde Idee kommen konnte das mit einer inkonsistenten Trivialgleichung einzufangen wird zukünftigen Generationen von Ökonomen ewig unerfindlich bleiben.

Schon von Marx stammt die Einsicht, daß Geld ein soziales Verhältnis ist. Und auch wenn Marx diskreditiert erscheint ist dennoch sein Hinweis auf den sozialen Charakter des Geldes immer noch als aktuelle theoretische Einsicht zu bewerten. Denn letztlich orientiert sich die gesamte Buchhaltung an diesem Konzept. An anderer stelle habe ich mal geschrieben: Kapitalismus ist eine Form geldwirtschaftlich organisierter Form der Arbeitsteilung. Diese Einsicht ist in der Ökonomie bisher noch nicht angekommen! Die Konsequenz daraus wäre Geld als Medium der Organisation produktiver Veranstaltungen zu interpretieren und nicht als „Schatz“, dessen Akkumulation für die Bewältigung menschlicher Versorgungsphasen immer weiter vorangetrieben werden muß. Diese Motivation mag ehrenwert sein, allein ist nominelles Geldvermögen dennoch stets von der Funktionsfähigkeit der gesellschaftlichen Produktionspotenz abhängig und wird es auch immer bleiben – irgendwelchen albernen politischen Garantien zum Trotz!

Man kann der Sichtweise von Geld als absolutem „Schatz“ einen gewissen Spaßfaktor sowie eine gewisse historische Bedeutung nicht absprechen, jedoch hat sie mit den Funktionsbedingungen einer modernen Geldwirtschaft nichts zu tun. (Warum das so ist, ist eine etwas längliche Geschichte.) Die Folgen einer derartigen Konzeptionalisierung von Geld durch die herrschende „Erstausstattungstheorie des Geldes“ sind jedoch anhand des EURO-Schlamassels ausgiebigst zu besichtigen.

Was läßt sich als Lehre aus der neuesten Entwicklung ziehen, wo doch gerade die Sicherheit von Spareinlagen zur Disposition gestellt wurde? Es geht darum, daß die Einsicht sich durchsetzt, daß Geldforderungen nicht aus einer Einzahlung von Bargeld am Bankschalter entstehen, sondern sich aus einer Akkumulation von Nettogeldvermögen heraus bilden, die ihre Begründung in einer Einkommensbildung findet, die sich aus Rentabilitätserwägungen von Unternehmen speist. Daß diese Rentabilitätserwägungen sich nicht dadurch ergeben, daß Einkommen großflächig gespart wird, kann zumindest einen Unternehmer nicht überraschen, denn die Wirtschaft lebt davon, daß Einkommen auch ausgegeben werden. Was sagte Norma Jean doch gleich: ‚money makes the world go round‘! Oder weiter östlich: der Rubel muß rollen!

Die Schlußfolgerung hinsichtlich der Akkumulation von Spareinlagen bzw. der Drohung, daß sie für die Sanierung von Bankbilanzen herangezogen werden, ist eigentlich ganz einfach: würden die Sparer schon von vornherein ihr Geld in Sachwerten – wozu in allererster Linie Aktien zählen – investieren, und nicht durch entgegengesetzte steuerliche Anreize und dem Moralappell des ökonomischen ‚mainstream‘ auf eine falsche Fährte geführt werden, würden sich derartig eklige Konsolidierungsprozesse, wie sie gerade in Zypern ablaufen, schon im Vorfeld vermeiden lassen. (Witzigerweise findet sich sogar im aktuellen Koalitionsvertrag eine Passage, welche das steuerliche Problem zwischen Eigen- und Fremdkapital adressiert!) An sich ist es ganz leicht es gleich richtig zu machen!

Was folgt aus alledem? Man muß Herrn Dijsselbloem attestieren irgendwie eine höhere Einsicht in geldtheoretische Funktionsbedingungen aus den aktuellen Sachzwängen gezogen zu haben, auch wenn es vermessen wäre ihm zu unterstellen, daß er diese aus einer theoretischen Einsicht heraus gezogen hätte. Darauf kommt es aber auch nicht an! Man kann auch ‚right for the wrong reasons‘ sein!

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Das Geld ist weg?

Patrick Bernau hat in der FAZ eine interessante These aufgestellt, die als Aufruf verstanden werden kann, die Kreditübernahme im Zuge der Umschuldung Griechenlands von privaten auf öffentliche Gläubiger als verloren zu betrachten. Das Argument dabei ist, daß Griechenland seine Schulden nicht wird bedienen können – von einer Rückzahlung ganz zu schweigen. Dabei zitiert er Reinhart/ Rogoff mit der „Erkenntnis“, daß Schuldenstände über 90% – selbst für Industrieländer – nicht tragbar seien. Und weiter führt er aus, daß bereits 60% schon „eine gefährliche Zone“ seien und damit eine Nachhaltigkeit des Staatsschuldenstandes nicht mehr gegeben sei.

Und schließlich sei die Vorstellung, eine Entlastung des Schuldendienstes durch eine Senkung der Zinsen vorzunehmen, eine „seltsame Idee“.

Zunächst mal: der Unterschied von Privat- und Staatsschulden ist: private Kredite werden i.d.R. durch Zins- und Tilgungszahlungen zurückgeführt, während Staatsschulden in 99,9% aller Fälle verzinst und rolliert werden. D.h. bei Staatsschulden hängt die Bedienbarkeit an der Höhe der Zinsen und der Bereitschaft der Gläubiger, auslaufende Papiere zu ähnlichen Konditionen zu prolongieren. (Das ist das viel zitierte „Vertrauen“!)

Aber nun: gibt es aus irgendeinem Grund eine Kreditverweigerung der Kreditgeber, ist JEDER Staat von heute auf morgen „pleite“ in dem Sinne, daß eine Refinanzierung nicht mehr zu akzeptablen Konditionen möglich ist. Und soweit eine Finanzierung über die Zentralbank nicht möglich ist, ist das Spiel aus!

Das Beispiel Japan und demnächst USA zeigen jedoch, daß Schuldenstände auch jenseits der 90% sehr wohl hauptsächlich durch private „Investoren“ „tragbar“ sind, auch wenn es entgegen! mutmaßlicher Prognosen einer Markttheorie dabei zu sinkenden! Zinsen kommt. Denn die Intervention der Zentralbank kann auch derartige Schuldenstände bedienbar halten, indem der Schuldendienst durch niedrige Zinsen und einer impliziten Garantie der Zentralbank reibungslos vonstatten geht. Das mag man als ökonomisches Foulspiel interpretieren, aber das ist die gegenwärtige und zukünftige Realität! (Daß Versicherer und Fonds diese Situation nicht so toll finden, steht auf einem anderen Blatt! Das ist übrigends ein Argument dafür, daß eine Niedrigzinspolitik einer Zentralbank keineswegs die Blasen-aufpumpenden Effekte hat.)

Es gibt aber noch einen anderen Aspekt, der die Eingangsfrage in ein völlig anderes Licht stellt. Wie man so schön sagt, sind Staatsschulden nicht erhobene Steuern! Was heißt das? Üblicherweise steht dem Einkommen des produktiven privaten Sektors eine reale Leistung gegenüber, die der Staat durch Steuern für sich beanspruchen kann. Aus der Perspektive der Theorie der öffentlichen Aufgaben ist das auch notwendig und berechtigt. Sobald aber der Staat bei seinen Bürgern Kredit aufnimmt wird der eigentlich private „Konsumanspruch“ in der betreffenden Periode durch den Staat ausgeübt, so daß die reale Leistung damit – wie beim privaten Konsum auch – untergeht. Provozierenderweise könnte man auch sagen: der Staat hat einen Teil des BIP „verfrühstückt“! (Daß die öffentlichen Ausgaben des Staates auch positive externe Effekte aufweisen, steht dem nicht entgegen – diese positiven externen Effekte sind auch für jede Gesellschaft notwendig!)

Das heißt dann aber auch auf gut Deutsch, daß mit der kreditfinanzierten Staatsausgabe reales BIP genutzt wird, welches in Folgeperioden durch keinerlei staatliche Leistung kompensiert werden kann, weil das Grundmuster realer Leistungserstellung durch zu tilgende private Kredite geprägt ist. Das bedeutet, daß eine staatliche Leistungsinanspruchnahme eine einmalige private Leistung zu einem dauerhaften staatlichen Zahlungsanspruch transformiert, welcher seitens des Staates nicht mehr (real) einlösbar ist – denn der Staat erbringt per definitionem keine privatwirtschaftliche Aktivität, die auf einen Konsumvorgang zielt! Aus diesem kühlen Grunde ist eine Staatsschuld letztlich aufgrund der Organisationsstruktur im Kreditgeldkapitalismus eine gesamtwirtschaftlich gesehen uneinbringliche Forderung, die von der Gesamtheit der Gläubiger NIE wieder in reale Leistungen zurücktransformiert werden kann. Für die Gesamtheit der Gläubiger gilt demnach stets: „Das Geld ist weg!“ Natürlich gilt diese Aussage nicht für den einzelnen Gläubiger, denn insoweit ein anderer Gläubiger in seinen Zahlungsanspruch eintritt, gibt es tatsächlich eine Möglichkeit zum Ausstieg! (Wer an den Unterschied von Global- und Partialsatz denkt, denkt richtig!)

Das heißt aber, daß es von der Grundkonstruktion! her gesehen zwischen den Staatsschulden Deutschlands und Griechenlands keinen Unterschied gibt!

Was ist also der Unterschied? Eben: die Zinshöhe und die Möglichkeit, die Schulden zu rollieren – sonst nichts! Und weil das so ist, geht die Idee der Zinsreduktion für Griechenland auch in die richtige Richtung, denn ein halbes Prozent über dem Niveau der deutschen gegenwärtigen Zinsen ist für eine Sanierungspolitik durchaus tragbar – solange der korrespondierende Schuldenstand erhalten bleibt. Und die Rollierung des Schuldenstandes sollte für die EURO-Staaten im Grunde genommen auch kein Problem sein, soweit die Bedienbarkeit des Schuldenstandes gewährleistet wird. Was wäre die Voraussetzung für ein derartiges Szenario? Ganz einfach: Griechenland müßte sich damit abfinden, daß es ein Staatsdefizit von 0,0% fahren müßte, was nur bedeutet, daß die Staatsausgaben durch Steuern, d.h. durch Beiträge der eigenen Bevölkerung, finanziert werden müßte – realiter geht es sowieso nicht anders, wenn man denn Ehrlichkeit walten lassen würde. Anders gesagt: Griechenland müßte halt mit seinen Steuereinnahmen auskommen – eine immerhin vergleichsweise komfortable Situation, die keine Konsequenz aus der einstmals luxusorientierten Staatsschuldenpolitik zieht – weil es in diesem Fall um eine Sanierung geht!

Und: sollten die Griechen das 0,0% Kriterium schaffen, wäre auch eine Staatsschuldenquote von 200% kein Problem. Der Pferdefuß dürfte jedoch sein, daß Griechenland bei Goldman Sachs noch mit einigen „baloon-payments“ in der Kreide stehen dürfte. Über US-Forderungen sollte man sich jedoch keine Illusionen machen – die sind noch bekloppter als … je nach Gusto einsetzen!

Nun gibt es derzeit vielfach und vielerorts die Neigung, komplexe Realitäten extrem zu vereinfachen. Zahlreiche Sachverhaltserklärungen, insbesondere solche im politischen Raum, treten mit dem Anspruch auf, die Wirklichkeit auf eine Wahrheit zurückzuführen und sie zugleich dichotomisch aufzuspalten in gut und böse, richtig oder falsch, Freund oder Feind. Das hat zu tun mit dem Bedürfnis nach Rechtfertigung, nach einem ‚ideologischen Unterbau‘, mit der modernen Legitimitätsfrage. Daraus entstehen ‚Feind-Stereotypen‘ und ‚Sündenbockstrategien‘, die im Extremfall in Verratslegenden ihre endgültige Aburteilung finden.
Einer derartigen Verfahrensweise möchte ich mich nicht schuldig machen.
A. Herrhausen RIF

 

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Überlegungen am Rande…

Nirgends bekommt man so blöde Antworten auf eine Erkenntnisfrage wie bei den Ökonomen, wenn es darum geht zu sagen, was denn eigentlich „Geld“ sei. Die am meisten bescheuerte Antwort darauf ist die Nicht-Antwort: „Geld ist das, was Geld tut.“ Das ist schon deswegen nichtssagend, weil das Erkenntnisinteresse nach der funktionalen Bestimmung von Geld durch einen Verweis auf die phänomenologischen Aspekte des Geldes (eben nicht) „beantwortet“ wird. Man hat irgendwie den Eindruck, daß es sich dabei so verhält wie mit der Kinderfrage „Was ist Sex?“, woraufhin dann vielfach noch die Geschichte mit den Bienchen (wahlweise den Klapperstörchen) erzählt wird – als wäre die Frage danach, was Geld denn nun eigentlich sei irgendwie anrüchig. Aber genauso sind die Pseudo-Antworten auch, wenn es darum geht, irgendwelche Wortkombinationen vorzustellen, die der Fragende dann bitteschön als Antwort hinnehmen soll. (Ich erspare es mir, für diesen Unsinn noch irgendwelche Links zu posten, die findet jeder selber.) Und nur durch die Aufbietung jeglicher Autorität der Wissenschaft ist es bisher weitgehend ausgeblieben, daß vom Fragesteller das Urteil gefällt wird: Thema verfehlt, Frage nicht beantwortet. Denn was soll man denn auch davon halten, daß der Frage nach einer der wichtigsten Dinge der menschlichen Gesellschaft mit den dürren Begriffen: Tauschmittel, Recheneinheit bzw. Wertaufbewahrungsmittel entgegnet wird?

Was ist da passiert? Im Grunde wurde statt einer funktionalen Erklärung des wesentlichen Sachverhalts ein Kaleidoskop beobachtbarer Umstände zur Antwort gegeben, die zwar phänomenologische Aspekte des Geldes beschreiben, aber letztlich nur dazu geeignet sind, die inhaltliche Leere dessen, was Geldtheorie ausmacht, zu kaschieren. Denn die Geldtheorie des ökonomischen ‚mainstream‘ (sowie witzigerweise auch etlicher „Geldsystemkritiker“) ist durch nichts anderes geprägt, als daß die Quantitätstheorie den blinden Fleck des Tauschparadigmas – nämlich die Bestimmung der absoluten „Geld“-Preise – übertünchen muß. Denn ohne diese würde die allgemeine Gleichgewichtstheorie schlichtweg eine inhaltlich korrekte, jedoch nichtsdestoweniger unangemessene Theorie bleiben, deren Aussagekraft sich darin erschöpft, für die Ökonomie einen „Laplace´schen Dämon“ zu postulieren, welcher zu der Gleichgewichtskonstellation führen soll, die als Qualitätsmerkmal stets herausgestellt wird. (Letzteres – das Gleichgewicht – ist als theoretisches Postulat durchaus sinnvoll!) Die unsägliche Folge dieser Rationalisierung von Geldtheorie ist, daß der funktionale Inhalt der gegenwärtigen Geldtheorie denn auch die Verknüpfung einer „Geldmenge“ mit einem „Güterberg“ zum Inhalt hat, wobei die Pseudo-Definition einer „Umlaufgeschwindigkeit“ diesen Zusammenhang illustrieren soll – erklären wäre etwas anderes. (Wer an die Quatsch-Theorie glauben will, soll es tun!)

Was ist die Alternative? Nun, nachdem der paradigmatische Kern der bisherigen Geldtheorie der Tausch war, kann im Gegensatz dazu der paradigmatische Kern der Kooperation als Grundlage einer Geldtheorie fungieren. Das funktioniert so:

Kooperation hat was damit zu tun, daß die Ergebnisse der kooperativen Unternehmung auf die teilnehmenden Wirtschaftssubjekte verteilt werden müssen. Wie kann man das machen? Für den Fall, daß es eine im vornherein „sichere“ Ertragsaussicht gibt, kann man jedem Teilnehmer das entsprechende Ergebnis zusichern. Falls es eine unsichere Ertragsprognose gibt – und irgendwie hat ja jeder irgendeine Zukunft – kann man dem einzelnen Teilnehmer nur einen Prozentsatz des gemeinsamen Ertrages zusichern. Und schon sind wir beim Geld. Denn das Versprechen einer Verhältnismäßigkeit ist etwas anderes, als das Versprechen einer Absolutität. Heißt was? Da niemand weiß, ob die Kooperationsveranstaltung (aka Unternehmung) erfolgreich ist, kann man nur jedem Teilnehmer eine QUOTE des Unternehmensergebnisses garantieren.

Und schon ist man beim Funktionsprinzip von Geld: Geld hat die Funktion, die Erträge eines gemeinschaftlichen Projektes auf die teilnehmenden Individuen zu verteilen. (Das kann mal gut oder auch mal schlecht gehen!) Und das hat was damit zu tun, daß Geld von seinem Grundprinzip eine relative Geschichte ist, denn die Frage was Geld wert ist, wird erst mit der Vermarktung der realen Ergebnisse sichtbar. Heißt: die Relativität von Geld kommt dadurch zum Vorschein, daß die gesellschaftliche Sanktionierung unternehmerischer Aktivität durch die durch das Unternehmen selbst erzeugte Liquidität honoriert wird. Das ist leicht zu begreifen und schwer zu verstehen – eine bekannte Art kognitiver Dissonanz!

Da aber Geld eine Form gesellschaftlich geschaffener Hoffnung ist, gilt auch Folgendes:

Geld repräsentiert ein Funktionsprinzip, nämlich die Verteilung eines gemeinsamen Erfolgs. Dabei ist das Unternehmerdasein eine soziale Funktion und keine persönliche Qualität (es schadet auch nichts, wenn sie ausgeprägt vorliegt). Nur: die ultimative Haftung für die Risiken der Unternehmer wird – jenseits sämtlicher Erwägungen hinsichtlich irgendwelcher Besicherungen von Krediten – von den Banken getragen. Der Grund ist, daß die (residualen) Verluste aus fehlgeschlagenen Unternehmungen von der Allgemeinheit getragen werden (müssen), indem Zinsen – welche von allen kreditnehmenden Unternehmen gezahlt werden müssen – die Verluste aus den fehlgeschlagenen Investitionen neutralisieren – denn irgendwie ist die Sache mit der Zukunft immer noch mit Unsicherheit behaftet. DAS ist die Funktion von Banken und nicht die Transformation irgendwelcher Sparbeträge, die ja letzten Endes immer aus der Kreditvergabe entstammen. Diese Neutralisierungsfunktion der Banken ist jedoch eine im Kreditgeldkapitalismus institutionalisierte Funktion, welche nicht(!) eine persönliche Qualität besitzt. Deswegen ist die übliche Fokussierung auf den Unternehmer zwar nicht falsch, jedoch hinsichtlich der Bedingungen der Funktionsprinzipien der Gegenwart nicht mehr richtig gepolt. Diese kann man schick finden sie ist jedoch einer falschen Geldtheorie geschuldet, auf gut Deutsch: nur einem Ausfluß einer billigen Phänomenologie des Geldsystems geschuldet.

Denn: die Banken sind letztlich die Unternehmer des Kreditgeldkapitalismus! Es scheint so, als würde man mal ein bißchen umdenken müssen!

Der wesentliche Unterschied zu der Tauschmitteltheorie der Geldes ist: Geld ist nur so viel wert, wie die unternehmerischen Erfolge, die damit erzeugt werden. Es ist nun mal das Wechselspiel von Investition (= Nettogeldausgabe) und Gewinn (= Nettogeldeinnahme) welches die Gegenwart erklären kann. Man kann sich ja darauf versteifen, daß Geld für den Tausch da ist (nicht mal das stimmt…), aber kann damit nicht erklären, warum es das Geld ist, was die Welt ‚go round‘ macht! Heißt: der Tausch ist das vergehende Erklärungsprinzip des Geldes…

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Vollgeldspielereien

Zunächst mal: das Vollgeldkriterium ist eine Mindestreserve von 100%. Das heißt auf gut Deutsch, daß jede Bank für die Genehmigung eines Kredits die Zustimmung der Zentralbank braucht, damit sie die für die Erteilung des Kredits notwendige Zentralbankgeldmenge zugeteilt bekommt.

Der unmittelbare Effekt ist eine unsinnige Zentralbankgeldhaltung der Banken, die entweder in bar gehalten werden müßte, oder als Gutschrift bei der Zentralbank vorhanden wäre, weil ja ja eine Gutschrift der Zentralbank über Zentralbankgeld für die Geschäftsbanken quasi dasselbe ist wie Bargeld. Aus der Konstruktion des Bankensystems weiß man aber, daß diese Zentralbankgeldbestände nie gebraucht würden, es sei denn im Fall eines ‚bank-run‘. Ansonsten wird Bargeld von Banken nur für den Bargeldverkehr gebraucht, während Forderungen über Zentralbankgeld bei der Zentralbank für ‚clearing‘-Operationen Verwendung findet.

Dabei ist die vermeintliche Regulierungsfalle Zentralbankgeld keine valide Restriktion, was die Zahlungsfähigkeit der Geschäftsbanken angeht. (Leider ist das Missverständnis Vollgeld auch einer falschen Darstellung der Bundesbank hinsichtlich der Frage der „Geldschöpfung“ geschuldet. Das ist ein anderes Thema!)

In Kurzform die richtige Version: das Knapphaltung des nötigen Bargeldes seitens der Zentralbank ist an sich die bindende Restriktion für die Banken den Umlauf von Bargeld zu minimieren. Denn die Effizienz der Verwaltung von Zentralbankgeld ist die eigentliche Aufgabe der Geschäftsbanken und nicht die Vorhaltung eines „Schatzes“ an Bargeld in ihren Tresoren. Das klingt so wie die Trottelnummer von „Fabian der Goldschmied“! Diese Effizienz zeichnet sich dadurch aus, daß der Interbankengeldverkehr dazu führt, daß bei allen, die sich im Interbankengeldmarkt beteiligen eine Erwartung existieren muß, daß die Bonität des Geschäftspartners gewissermaßen genauso hoch ist, wie die eigene Bonität. Denn dann ist ein Ausgleich an Zentralbankgeld zwischen Banken mehr oder weniger ein durchlaufender Posten der betrieblichen Kalkulation.

Vollgeld überträgt aber nun die Verantwortung für die Kreditvergabe auf die Zentralbank. Die Frage wäre, ob diese Verantwortung überhaupt dorthin gehört. Denn salopp gesagt ist die Funktion einer Zentralbank die: die Erzeugung von einheitlichen Bonitätsstandards für alle an sie angeschlossenen Geschäftsbanken.

Diese Aufgabenstellung kollidiert natürlich mit der landläufigen Interpretation der Aufgaben einer Zentralbank. Doch das ist ein Mißverständnis. Eine Zentralbank ist nicht für die Steuerung der Inflation da (geschweige denn NGDP), weil sie innerhalb ihres eigenen Aufgabenspektrums die Entscheidungen, welche dann mittelbar zu einer Steigerung der unternehmerischen Kosten und mithin der Steigerung der Verkaufspreise führen würden, überhaupt nicht treffen kann und in einer liberalen Ökonomie auch nicht treffen soll. Insofern ist die Erwartung, daß eine Zentralbank eine Steuerung des Preisniveaus beeinflussen könne, auf eine von ihr unmöglich zu erfüllende Aufgabe gerichtet. (Sobald man das einmal kapiert hat, fragt man sich, warum man an solche schöngeistigen Konzepte wie „Umlaufgeschwindigkeiten“ jemals geglaubt hat. Umlaufgeschwindigkeiten gehören auf den Rummel, nicht in die Ökonomie!)

Woran liegt das? Nun, das Verhältnis einer Zentralbank zu einer Geschäftsbank ist durch ein Delegationsverhältnis geprägt. Ein ‚principal-agent‘-Verhältnis ist jedoch dadurch charakterisiert, daß es anreizkompatible Arrangements geben muß, die den ‚agent‘ dazu bringen, die Ziele des ‚principal‘ mitzutragen. Das geht nur dann, wenn die Operationsweise zwischen beiden Parteien dazu führt, daß es zu Differenzierungen kommt, wenn ein ‚agent‘ (= Bank aus der Menge aller Banken) von den gestellten Qualitätsforderungen des ‚principal‘ (= Zentralbank) abweicht. Das heißt, der ‚principal‘ muß selbst differenzieren oder die ‚agents‘ differenzieren lassen, um die gestellten Qualitätsvorgaben zu erfüllen. Ein weites Feld…

Aber kurz und gut: die unvollkommene Kontrollkapazität der Zentralbank erlaubt es nicht Kreditentscheidungen zentral zu treffen. Denn das würde zu einer Duplizierung der ‚monitoring‘-Aufgaben einer Geschäftsbank führen, deren originäre Aufgabe es ja ist, die Kreditwürdigkeitsprüfung des Kreditantragstellers durchzuführen und zu beurteilen. Eine Einführung von Vollgeld würde demgegenüber dazu führen, daß von der Zentralbank Entscheidungen erwartet würden, welche sie aufgrund ihrer sachlichen Vorgangsferne überhaupt nicht einschätzen könnte. Das heißt aber im Endeffekt, daß von ihr sachnahe Entscheidungen erwartet würden, die im real existierenden Sozialismus von der Zentralplan-Behörde gefällt werden sollten. Daß eine derartige Konstruktion – gelinde gesagt – suboptimal wäre, muß wohl nicht besonders betont werden.

Und nun die ’seignorage‘!

Das bezeichnet im Grunde genommen einen „Gewinn“ aus der erstmaligen Verwendung von Zentralbankgeld. Das ist letztlich die alberne „Fabian-Goldschmied“-Vorstellung. Dabei wird zweierlei übersehen:

a) Der Zusammenhang des finanziellen Rechnungswesens erlaubt es nicht, daß eine „Geldausgabe“ über den Staat ohne eine begleitende Schuldbuchung erfolgen kann. Die Gegenposition mag ja in der Vorstellung der „Vollgeld“-Jünger bei der Zentralbank zinslos erfolgen, dennoch geht kein Weg daran vorbei deutlich zu sagen, worum es sich dabei handelt: nämlich eine zinslose Staatsfinanzierung durch die Zentralbank. Das kann man gut finden oder auch nicht, entscheidend ist

b) daß es dabei eigentlich nur um eine Aneignung realwirtschaftlicher Güter und Leistungen geht, welche nicht durch ein zusätzliches Güterangebot seitens des Staates begleitet wird. Denn Ausgaben des Staates sind a priori Konsumausgaben, auch wenn dadurch im günstigsten Falle die Bedingungen der privaten Unternehmen verbessert werden. Entscheidend ist jedoch etwas anderes, nämlich der Umstand, daß nicht rückzahlbare Schulden postwendend zu einer Erhöhung des Nettogeldvermögensbestandes der privaten Sektoren führt, womit im Endeffekt eine Aufblähung der Vermögenspreise induziert wird. In gleicher Richtung wirkt die von den „Vollgeld“-Vertretern angeregte Liquidisierung der Staatsschulden durch die zwangsweise „Deckung“ der von den Banken vergebenen Kredite mit Zentralbankgeld, was in der Vorstellung der „Vollgeld“-Vertreter im Grund dadurch erfolgen soll, daß die Geschäftsbanken ihren Bestand an Staatsschuldtiteln durch eine Bargeldhaltung, mit Hilfe eben dieser Liquidisierung von Staatspapieren, substituieren sollen. Heißt auf gut Deutsch: die Banken sollen statt Staatspapiere Zentralbankgeld halten, um die von ihnen vergebenen Kredite zu „decken“!

Eine unmittelbare Folge davon wäre ein großflächiger Zusammenbruch des Geschäftsmodells der Kapitalsammelstellen, weil deren Funktionsweise daran hängt, über „sichere“ Wertpapiere jedwede notwendige (Re-)Finanzierung geräuschlos bewerkstelligen zu können. Denn Staatsschuldtitel sind die unabdingbare Geschäftsgrundlage von Finanzmärkten, weil deren Liquidität die Flexibilität der Operationen von Finanzmärkten gewährleistet. Man kann ja meinen, daß das alles nicht notwendig sei, eine stillschweigende Inkaufnahme potentieller Katastrophen ist jedoch nicht das, was man von einer gelungenen Finanzmarktreform erwartet.

Das hat auch was mit der Frage zu tun, was das „Wesen“ von Staatsschulden angeht: kurz gesagt sind Staatsschulden in letzter Konsequenz in Vorjahren konsumiertes Sozialprodukt, welchem in der Gegenwart kein entsprechendes Güter- und Leistungsangebot gegenübersteht. Staatsschulden sind demzufolge „vergangenes Nichts“. Aus diesem Grunde ist jedoch die Abhängigkeit von Staat und Kapitalsammelstellen nicht auflösbar, sondern gehört eher zu einer spezifischen Qualität des Staatsschuldenkonzepts von Ökonomie. Denn insoweit es die Bestrebung der privaten Akteure zur Bildung von Nettogeldvermögen gibt gilt für die Verklammerung von Staat und Kapitalsammelstellen: It´s not a bug (Teufelskreistheorie), but a feature! Und das gilt auch und insbesondere für die Zinsen von Staatsschulden, welche im Grunde genommen mit den Zinsen finanziert werden, die vom Staat „gezahlt“ werden. Oder anders: Staatsschulden werden stets revolviert und die Zinsen auf die Staatsschuld werden mit den kurz zuvor vom Staat gezahlten Zinsen finanziert, indem diese in gleicher Höhe der Staatsschuld zugeschlagen werden. Man glaubt es kaum, das funktioniert! (OK, manchmal muß auch die Zentralbank deutlich machen, daß es so zu funktionieren hat – was anderes hat Draghi mit seiner OMT-Ankündigung auch nicht gemacht.)

Was gibt es sonst noch zu der „Vollgeld“-Szene zu sagen? Ach ja, natürlich verwechseln diese „Protagonisten“ wie üblich Schulden mit Geld, denn daß Zentralbankgeld und Sichtforderungen zwei verschiedene Dinge sind, kann man als „Vollgeldler“ nicht akzeptieren, weil sonst das ganze Konzept in sich zusammenfällt. Mal abgesehen davon, daß Sichtforderungen („Einlagen“ oder „Giralgeld“ ist eigentlich eine Falschbezeichnung) eine Folge der Kreditvergabe der Geschäftsbanken sind und nicht umgekehrt. (Einlagen hat man in den Schuhen und nicht auf der Bank!) Leider trägt auch die Bundesbank zu diesem Mißverständnis bei, indem immer wieder die „Einlage“ bei einer Geschäftsbank zu einer Ursache der Kreditgewährung hochstilisiert wird. Aber das ist im Vergleich zu der „Vollgeldler“-Konzeption ja noch harmlos.

Was lernt man daraus?
Die Vollgeld-Phantasie ist nur dazu geeignet Verwirrung zu stiften, sonst nichts. Es ist ja verständlich, daß die Suche nach einer Alternative zu der herrschenden Geldtheorie kuriose theoretische Vorstellungen hervorbringt. Das heißt aber nicht, daß dadurch die Errungenschaften des Kreditgeldkapitalismus völlig vor die Hunde gehen müssen. Auch wenn´s schwerfällt – ja, die gibt es!

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Wird aus Geld „Mehr-Geld“?

Prolegomena zu einer strittigen Systemtheorie des Finanzmarktes

Es kann in einem Blogbeitrag natürlich nicht darum gehen einen Abriß der Systemtheorie darzustellen, so daß zum Verständnis der folgenden Zeilen ein Abschnitt eines Glossars eines Lehrbuches genügen muß.

„System … bezeichnet einen ganzheitlichen Zusammenhang von Teilen, deren Beziehungen untereinander quantitativ intensiver und qualitativ produktiver sind als ihre Beziehungen zu anderen Elementen. Diese Unterschiedlichkeit der Beziehungen konstituiert eine Systemgrenze, die System und Umwelt des Systems trennt. Komplexe Systeme sind durch die Merkmale Selbstorganisation, Grenzerhaltung, Selbstreferenz und Generativität charakterisiert. Die Besonderheit der Klasse der … sozialen Systeme liegt darin, daß ihre Grenzen nicht physikalisch-räumlich bestimmt sind, sondern symbolisch-sinnhaft.“ (Willke, Systemtheorie)

Relevante Kriterien zur Analyse der Frage, was den Systemcharakter des Finanzmarktes ausmacht, können demnach folgende Aspekte sein:

  • die Frage nach der Systemgrenze, die den Finanzmarkt von anderen marktwirtschaftlichen Aktionsformen unterscheidet;
  • die Kommunikationsmuster, welche eindeutig zum Finanzmarkt zu rechnen sind;
  • das Kommunikatonsmedium, welches das Kriterium für die Zugehörigkeit zum Finanzmarkt bildet;
  • – und –
  • der Sinn des Ganzen, wobei „Sinn“ für den Komplex gemeinsam verstehbarer und systemzugehöriger Handlungsweisen steht, die zur Erreichung der Systemzwecks – nicht Systemziels(!) – eingesetzt werden!

Und die Frage nach der Emergenz von Systemstrukturen innerhalb des Finanzmarktes kann an dieser Stelle erst recht nicht angesprochen werden! (Das Thema ist viel zu umfangreich, um dieser Stelle behandelt werden zu können – mal abgesehen davon, daß es sich nicht auf den Finanzmarkt begrenzen läßt!)
Ich möchte mich an dieser Stelle darauf beschränken die Bedingungen anzusprechen, die gegeben sein müssen, damit der Finanzmarkt sein zentrales Versprechen – aus Geld „Mehr-Geld“ zu machen – erfüllen kann. Irgendwo muß man ja schließlich mal anfangen, dieses vielfältige Thema aufzugreifen.

Was macht also ein Finanzsystem – wenn es denn ein System ist – aus? Die Frage nach dem Kommunikationsmedium des Finanzmarktes ist so einfach gestellt wie beantwortet: es geht um Geld, so daß Finanzmarktakteure das Handwerkszeug „Geld“ verwenden, wie Bauarbeiter ihren Hammer. Dazu kommt noch, daß es eine spezifische Semantik gibt, deren Inhalte sich – nicht abschließend – mit Kursbewegungen, Charts und Wertentwicklung charakterisieren lassen, so daß sich ein gemeinsames Merkmal der Finanzmärkte dahingehend herausschälen läßt, was sich mit der „Erzeugung von Mehr-Geld“ beschreiben läßt. Diese Vorstellung findet in der Sozialisation der Menschen ihren Niederschlag in „Spartagen“ und der allgemeinen Vorstellung eines absoluten Berechtigungsanspruchs von Zinsen, die – verbrämt mit einem moralischen Absolution – zu einer unhinterfragten Vorstellung führen, daß Zinsen einen notwendigen Anspruch aus dem Lebensleid „Nichtkonsum“ darstellen.

Dieser Anspruch durchzieht die Finanzmärkte mit dem gemeinsam geteilten Verständnis von Realität, daß das „Anlegen“ von Geld zu einem „Mehr-Geld“ führen muß, so daß sich der kommunikative Charakter des Finanzmarktes durch die „Formel“ G -> G‘ darstellen läßt. Dies ist schon mal insofern kurios, als sich genau diese Vorstellungsweise bei Marx wiederfinden läßt, der dies allerdings in einer Sozialtheorie eingebettet hatte, welche die inhärenten Widersprüche des Kapitalismus erklären wollte. Das soll aber an dieser Stelle nicht Thema sein.

Die Systemgrenze des Finanzmarktes läßt sich idealtypisch durch die Abwesenheit von „W“ – Ware – kennzeichnen, denn Finanzmärkte sind nicht mit realen Produktionsprozessen befaßt. Soweit sie Finanzanlagen in realen Produktionsprozessen durchführen, sind die Bewertungskriterien dennoch nach Maßgabe der Ertragsvorgaben, die sich auf dem Finanzmarkt als Vorstellung durchsetzen, dominant. Es geht also nie um die Sinnhaftigkeit oder gesellschaftliche Erwünschtheit einer Produktion, sondern um deren monetäre Ertragskraft – was im Grunde genommen das einzige Kriterium ist, welches für Finanzmärkte zählt. Das mag man bedauern, ist aber für die hier zu behandelnde Frage das entscheidende Kriterium.

Diese Frage macht übrigends den Unterschied der Theorie des Kreditgeldkapitalismus zu der allgemeinen Gleichgewichtstheorie aus. Denn es ist nicht nebensächlich, ob man denkt, die Menschen würden ja vom Grunde ihres Herzens ja nach realen Gütern streben, oder ob das abstrakte Erfolgskriterium – monetäres „Mehr-Geld“ – zur Leitlinie ökonomischen Handelns wird. Das ist ein weites Feld… Denn damit ist die berüchtigte Kontroverse von I und S verbunden, die allerdings nur eine Scheindebatte ist, weil sich jeder, der einen Buchhaltungskurs verstanden hat, darüber klar ist, daß Ersparnis nur aus Einkommen erfolgen kann, deren Ursprung in einer kreditfinanzierten Unternehmung zu suchen ist. Für die Behandlung dieser Sachfrage ist denn auch Schumpeter (1911) einschlägig.

Ein Rekurs auf Schumpeter klassifiziert jedoch den Finanzmarkt als ein „Sub-System“ des Kreditgeldkapitalismus, wobei naturgemäß offen bleibt, woher die Gewinne des Finanzmarktes resultieren. Die „normale“ Antwort auf derartige Fragen besteht darin, daß ja der „Realsektor“ die Gewinne des Finanzmarktes „verdienen“ muß. Eine derartige Antwort ist aber von dem Mißverständnis geprägt, welches seit Ricardo und seiner „Korntheorie des Zinses“ in der ökonomischen Theorie herumgeistert. Nur kurz gesagt ist es doch so: die „Realwirtschaft“ produziert – hoffentlich – Wohlstand, ist jedoch von ihrer Anlage nicht dazu gemacht, auch die „Sparvolumina“ zu erzeugen, welche dann von einem Finanzmarkt auch noch vermehrt werden könnten. Salopp gesagt: Unternehmen produzieren Güter, aber kein Geld! Insofern ist diese landläufige Vorstellung nicht gut begründet. (Falls jemand meint, daß das doch alles Dummfug sei – ja sicherlich, nur die gegenwärtige ‚mainstream‘ Theorie des Zinses alias Grenzproduktivitätstheorie folgt dem Muster von Ricardo – ein epistemologisches Desaster!)

Das kann man sich daran klarmachen, indem man versucht, das in systemtheoretischen Darstellungen gelegentlich gebrauchte „Black Box“-Modell ernst zu nehmen: denn dem Input der Einzahlungen in das Finanzsystem muß auch ein Output entsprechen, welcher dieselbe Eigenschaft aufweist wie der Input: er besteht aus Geld. Das wirft die Frage auf – wie gesagt: es geht hier um die Frage des Finanzmarktes als eigenständiges System – inwieweit der Finanzmarkt seinen eigenen Anspruch einhalten kann, daß aus Geld eben „Mehr-Geld“ wird. Damit kommt man aber zu einer entscheidenden systemtheoretisch motivierten Vermutung: denn wenn es sich erweisen sollte, daß der Finanzmarkt lediglich ein Derivat der „Realwirtschaft“ ist, ist seine Eigenständigkeit als „System“ nicht begründbar.

Besagte Eigenständigkeit hat jedoch noch einen anderen Hintergrund, der aus den Eigenschaften kreditgeldkapitalistischer Ökonomien entspringt: der ärgerliche Hauptsatz der Volkswirtschaftslehre lautet dahingehend, daß nun mal das gesellschaftliche Nettogeldvermögen – d.h. über alle gesellschaftlichen Sektoren gerechnet – den recht übersichtlichen Betrag NULL aufweist! Das ist nun mal eine Konsequenz der Tatsache, daß eine doppelte Buchhaltung keinen Raum für Vermögensansprüche läßt, denen kein negatives Nettogeldvermögen (Nettoschulden) gegenübersteht. Die landläufige Erkenntnis – wo Rauch ist, ist auch Feuer – übersetzt sich in trockenes Buchhalterdeutsch dahingehend, daß die Verbuchung individuellen oder sektoralen Nettogeldvermögens einen ebenso großen Verbindlichkeitseintrag anderer Sektoren zur Voraussetzung hat. (Forderungen und Verbindlichkeiten sind in einer enantiodromischen(!) Weise miteinander verknüpft – das Eine geht nicht ohne das Andere, und zwar ohne wenn und aber. Das bekommt man auch mit Moral nicht weg!)

Wie war es denn in den „goldenen“ Zeiten des wachstumsorientierten Kapitalismus? Da war normalerweise der Unternehmenssektor für die Schaffung von Nettogeldvermögen (Investition) verantwortlich. Dies deshalb, weil der Planungshorizont von Unternehmen in diesen Zeiten über die heute üblichen zwei Quartale hinausging. Letztere Unsitte hat  dummerweise zur Folge, daß rein buchhaltungstechnisch die in den Büchern stehenden Kreditvolumina die sonst notwendigerweise bei den anderen Sektoren als Ersparnis, d.h. nichtkonsumiertes Nettogeldvermögen – quasi als Kollateralschaden – anfallen, inzwischen aufgrund des verkürzten Planungshorizontes seitens der Unternehmen kaum mehr gebildet werden können. Da aber Nettogeldvermögen (=Ersparnis) nur dann gebildet werden kann, wenn jemand auf Kredit (= i.d.R. temporäre Erzeugung von Nettogeldvermögen) kauft, wird es – wenn die Unternehmen sich zunehmend weigern, dieses Prinzip der langfristigen Vorfinanzierung mitzutragen – zu einer virulenten Frage, woher die notwendigen Nettoschulden kommen sollen, die für die Erzeugung von Nettogeldvermögen gebraucht werden! (Wie gesagt, ein Buchhaltungskurs beseitigt viele Fragen!)

Damit verbunden ist die Frage der Nachhaltigkeit von Geldvermögen- ja, die gibt es im Kreditgeldkapitalismus auch! Denn (eigentlich) weder der Staat, noch die privaten Haushalte sind diejenigen, deren Verschuldung die Nachhaltigkeit des Kapitalismus markieren könnte – zumindest nicht im Sinne der Nachhaltigkeit eines arbeitsteiligen sozialen Gefüges. Denn frei nach Schumpeter ist die Erzeugung von verkaufsfähigen Gütern diejenige Tätigkeit, welche zu einer – hoffentlich – Wohlstandssteigerung des Sozialwesens führt. Es ist jedoch nicht so, daß – um auf das eigentliche Thema zurückzukommen – temporäre Verschuldung zu einem dauerhaften Nettogeldvermögenszuwachs führen kann, der vom Finanzmarkt auch noch als originäre Leistung für sich reklamiert wird – es sei denn, es handelt sich um einen „fühlbaren“ Wachstumsprozeß. Eine Dauerhaftigkeit der Nettogeldvermögen läßt sich demzufolge nur mit Schuldnern erreichen, wenn diese – im wahrsten Sinne des Wortes – auch Dauerschuldverhältnisse eingehen (können). Dazu ist in der sektoralen Betrachtung bisher aber nur ein Akteur in der Lage gewesen: der Staat – und auch der inzwischen nicht mehr!

Ärgerlich dabei ist: auch der Staat kann den Finanzmärkten heutzutage nicht mehr zu einer nachhaltigen Rentabilität verhelfen, weil das Potential an Nettoneuverschuldung seitens der Staaten inzwischen, zumindest in Europa, zu einer marginalen Größe werden wird. Daher wird das Erfolgskriterium des Finanzmarktes durch die geplante Reduktion der Staatsverschuldung in EURO-Land in massiver Weise behindert. (Das haben die Lobbyisten-Beauftrager nur noch nicht kapiert, sonst wäre kein Fiskalpakt dieser Welt möglich gewesen! Sancta Simplicitas!) Unabhängig von der makroökonomischen Perspektive: die niedrigen Zinsen, die sich im Zuge der vermeintlichen EURO-Krise als normal etabliert haben, sind für die Finanzbranche ein Desaster, welches in wenigen Jahren zu einer „alternativlosen Rettung“ der Geldsammelstellen (Fonds, Lebensversicherer etc.) führen wird. Denn niedrige Zinsen sind Gift für das zentrale Versprechen des Finanzmarktes aus Geld „Mehr-Geld“ zu machen – was noch nicht mal die Frage der sogenannten Realerhalts von Finanzvermögen adressiert. Und letzteres ist inzwischen zu einer wichtigeren Frage des Vermögensmanagements geworden als die landläufig noch geglaubte vermeintliche „Vermehrung“ von Nettogeldvermögen!  Und da helfen auch „garantierte Südländer-Anleihen“ nichts: denn entweder sind die Zinsen so niedrig wie in Deutschland, Japan, GB oder USA, oder die Zinsen sind hoch und ebenso der potentielle Abschreibungsbedarf. Man kann es drehen und wenden wie man will: Geld im Sinne eines Nettogeldvermögen entsteht dabei nie, denn die Summe allen Nettogeldvermögens ist immer Null.

Das heißt auf gut Deutsch: derzeit ist der Kreditgeldkapitalismus in einer Phase, in der ein strategisches Spiel darüber gespielt wird, welcher Sektor noch über ein wesentliches Verschuldungspotential verfügt, was man als ‚conditio sine qua non‘ des Finanzmarktes interpretieren kann, denn nur dann kann er sein zentrales Versprechen des „Mehr-Geld“ aufrechterhalten. (Die unsittlichen „Erfolgshonorare“ der Traumverkäufer sprechen jedoch eine andere Sprache. Witzigerweise ist zwar jeder davon betroffen, aber alle glauben daran, daß es sie nicht betrifft. Gegen diesen Selbstbetrug ist kognitive Dissonanz ein Kinderspaßportal!) Nur unter dieser Voraussetzung können sowohl der Finanzmarkt, als auch die Unternehmen noch Gewinne ausweisen; der Mechanismus G -> G‘ (den es so ohnehin nie gab) funktioniert nicht mehr, weil die Wachstumsraten des Sozialprodukts, die bisher diese Illusion genährt hatten, inzwischen auf mikroskopische Dimensionen zusammengeschnurrt sind! Bei Wachstumsraten um Null Prozent ist eben auch gesellschaftlich kein Nettogeldvermögensaufbau mehr möglich.

Leicht zu verstehen und schwer zu begreifen – so ist das halt mit der Erkenntnis!

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